Das Gesicht im Dunkel. Edgar Wallace
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Читать онлайн книгу Das Gesicht im Dunkel - Edgar Wallace страница 6
»Nicht so laut!« brummte Elton zwischen den Zähnen.
»Hör zu!« rief Big Bill Stanford. »Ich kann mir denken, was du sagen willst, Dora. Wer soll die Kette hinbringen?«
»Wer? Natürlich meine kleine Schwester!« erwiderte Mrs. Elton kühl.
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Big Bill war nicht sentimental, aber dieser Vorschlag ging selbst ihm zu weit.
»Das ist unmöglich. Bedenke doch, wenn sie gefaßt wird und uns verrät?«
»Das ist auch mein einziges Bedenken, und es ist nur gering«, entgegnete Dora.
Der große Mann starrte einen Augenblick vor sich hin.
»Das Ding muß unbedingt aus dem Haus«, sagte er dann. »Schließe die Tür zu, Dora!«
Sie gehorchte. Auf dem Kaminsims stand eine wunderschön emaillierte Uhr, die mit einer kleinen Faungestalt geschmückt war. Stanford hob den Faun und damit einen Teil der Uhr ab, die ruhig weitertickte. Ein leiser Druck auf eine Feder genügte, um eine Seite des Bronzekastens zu öffnen und ein genau hineinpassendes Stanniolpaket zu zeigen. Er legte es auf den Tisch, und als er es auspackte, flammten blaue, grüne und weiße Blitze blendend auf. Voll Bewunderung sah Dora auf die Steine.
»Hier liegen nun siebzigtausend Pfund«, meinte Stanford nachdenklich, »und daneben liegen zehn Jahre für irgendjemand – sieben für Diebstahl und drei für Majestätsbeleidigung.«
Der elegante Martin Elton schauderte.
»Schenke dir doch solche Bemerkungen. Es handelt sich jetzt nur darum, wer das Ding fortbringt.«
»Audrey natürlich«, erklärte Dora gelassen. »Kein Mensch kennt sie, und niemand verdächtigt sie. Und Pierre ist leicht zu erkennen. Aber dann ist auch Schluß mit diesen Geschichten, Martin. Du weißt, der Krug geht solange zu Wasser, bis –«
»Vielleicht macht Lacy Marshalt ihn zu einem Direktor«, höhnte Stanford.
»Ich kenne den Mann ja kaum«, entgegnete sie. »Ich erzählte dir, daß ich ihn auf dem Ball bei Denshores getroffen habe, Bunny. Er ist Südafrikaner und steinreich, aber unerhört geizig.«
Martin sah sie mißtrauisch an.
»Ich wußte nicht, daß du ihn kennst –«
»Zur Sache!« rief Stanford ungeduldig. »Was soll werden – wenn sie gefaßt wird? Elton, nach der Geschichte in Leyland Hall hast du den Kram doch durch einen Mann aus Bognor außer Landes schaffen lassen. Erinnerst du dich? Nun, mit diesem Freund aus Bognor hat sich Dick Shannon heute stundenlang unterhalten.«
Martins hübsches, blasses Gesicht wurde noch einen Schein bleicher.
»Er wird nichts verraten«, murmelte er.
»Wer weiß! Wenn einer ihn dazu bringt, ist es Shannon.«
»Der Schmuck muß weg«, sagte Dora. »Packe ihn wieder ein, Martin.«
Er machte sich an die Arbeit, wickelte die Kette in Watte und legte sie in eine kleine, flache Zigarrenschachtel, die er mit braunem Papier umhüllte und verschnürte. Dann steckte er das Päckchen unter ein Sofakissen und brachte die Uhr wieder in Ordnung.
»Plaudert deine Schwester aus, wenn sie gefaßt wird?« fragte Stanford.
Dora überlegte einen Augenblick.
»Nein, bestimmt nicht!« sagte sie dann und ging hinauf, um Audrey zu holen.
Als das junge Mädchen ins Zimmer trat, fiel ihr Blick zuerst auf einen großen, breitschulterigen Mann mit kurzgeschorenem Haar, der sie mit ernsten, strengen Augen ansah.
»Mr. Stanford«, stellte Dora vor. »Und dies ist mein Mann.«
Verwundert betrachtete Audrey den zierlichen, stutzerhaften Mr. Elton, dessen bleiche Gesichtsfarbe durch das dunkle Schnurrbärtchen und die kohlschwarzen Augenbrauen noch mehr hervorgehoben wurde. Das war also der vielgepriesene Martin!
»Sehr erfreut, dich kennenzulernen, Audrey!« sagte er und schaute sie begeistert an. »Du hast ja eine entzückende Schwester, Dora!«
»Ja, sie ist jetzt hübscher als früher«, erwiderte seine Frau kühl, »aber fürchterlich angezogen.«
Audrey wurde nicht leicht verlegen, aber der unverwandte Blick des großen Mannes, der sie geradezu durchbohrte und abschätzte, war ihr unbehaglich. Sie atmete erleichtert auf, als er sich verabschiedete. Martin begleitete ihn hinaus, um Dora Gelegenheit zu geben, ihre Geschichte vorzubringen.
Sie erzählte von einer mißhandelten Frau, die sich genötigt gesehen hätte, aus Angst vor ihrem brutalen Gatten das Land zu verlassen, und nicht einmal Zeit gehabt hätte, das Miniaturbild ihres Kindes mitzunehmen.
»Wir haben uns das Bild verschafft«, fuhr sie fort. »Nach dem Buchstaben des Gesetzes waren wir allerdings nicht dazu berechtigt, aber die arme Mutter tat uns so leid. Durch ein gutes Trinkgeld hat Martin einen Diener des Hauses bewogen, uns das Bild zu bringen. Nun scheint der Mann aber die Sache herausgebracht zu haben und läßt uns Tag und Nacht beobachten, so daß wir es nicht wagen, das Bild durch die bereits gewarnte Post oder durch einen Boten fortzuschicken. Heute kommt nun ein Freund der armen Lady Nilligan nach London, und wir haben verabredet, ihm das Bild auf den Bahnhof zu bringen. Nun fragt es sich – würdest du wohl so lieb sein, es hinzutragen, Audrey? Dich kennt hier niemand. Die Spione werden dich nicht belästigen, und du kannst einer bedauernswerten Frau einen großen Dienst erweisen.«
»Aber das ist doch eine sehr sonderbare Geschichte!« rief Audrey und runzelte die Stirne. »Könnt ihr denn nicht einen Dienstboten schicken? Oder kann der Mann nicht herkommen?«
»Ich sagte dir doch, daß unser Haus bewacht wird!« entgegnete Dora ungeduldig. »Aber natürlich, wenn du nicht willst –«
»Selbstverständlich werde ich es tun«, lachte Audrey.
»Wie nett von dir! Aber eins muß ich dir noch sagen: falls die Sache doch herauskommen sollte, darfst du unseren Namen nicht nennen. Ich bitte dich, mir bei dem Andenken an unsere tote Mutter zu schwören –«
»Das ist nicht nötig«, unterbrach sie Audrey kühl. »Ich verspreche es dir – das genügt.«
Aus dem kleinen Diner, von dem Dora gesprochen hatte, schien nichts geworden zu sein, denn um halb neun kam sie zu ihrer Schwester nach oben und übergab ihr ein längliches, fest verschnürtes und versiegeltes Päckchen.
Sie beschrieb ihr den geheimnisvollen Pierre genau.
»Vor allem aber kennst du mich nicht«, schärfte sie ihr noch einmal ein, »und du hast auch das Haus Curzon Street Nr.508 nie in deinem Leben betreten. Und zu dem Mann sagst du weiter nichts als: ›Dies ist für Madame.‹«
Audrey wiederholte die Worte.
»Welche Umstände für eine solche Kleinigkeit!« meinte sie dann. »Ich komme mir fast wie eine Verschworene