Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt

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mit dem Lehrer zu stehen (dabei war er ungeschickt und faul und in Mathematik und Orthographie der Klassenletzte); und er war der einzige, der von meinem Angelvormittag und dem Plan mit der gefälschten Unterschrift auf dem Entschuldigungszettel gewusst hatte …

      Ihr gutes Einvernehmen entpuppte sich später als gemeinsames Hobby. Sie züchteten dieselbe Art seltener Zierfische. Ich glaube, es waren Neon-Salmler – oder etwas ähnlich Verrücktes.

      Dabei machte ich mir nichts vor. Dass ich Kofler von den alten Geschichten erzählte, geschah nicht aus Berechnung. Ich hatte ein Bedürfnis, mit jemandem darüber zu reden.

      Er hörte geduldig zu, ohne Anzeichen von Ermüdung. Wir leerten die Flasche, und ich ging hinüber und holte noch eine Flasche Riesling. Oft, wenn er sprach, schweiften meine Gedanken ab, und ich grübelte darüber nach, wie wenig Anlass es gab, an seine Unschuld zu glauben – und ob es sich bei dem Vertrauen, das ich ihm jetzt entgegenbrachte, nicht nur um jenes ins Gegenteil verkehrte Misstrauen handelte, dem ich so oft aufgesessen war.

      Sicherlich blieb er nach wie vor verdächtig. Die Geschichte mit dem Gipsarm mochte zutreffen – aber das französische Fernsehinterview, die auf ungeklärte Weise verratene Mitgliederliste russischer Dissidenten, seine angeblich nur in der Jugendzeit orthodox marxistische Haltung, das unautorisiert und verfälscht ins Englische übersetzte Buch, vor allem aber sein verdächtiger Aufenthalt in Ost-Berlin sprachen gegen ihn.

      Trotzdem vertraute ich ihm. Ich riskierte es einfach. Jedenfalls verstummte das Gesumme der Hummel oder Wespe in meinem Schädel, wenn ich seine Beteuerungen ernst nahm. Kofler mochte – was die Verwirklichung seiner Überzeugungen anbelangte – ein Narr sein, ein hoffnungsloser Idealist.

      Doch wenn es überhaupt ein Gefühl oder eine Intuition dafür gab, ob jemand die Wahrheit sprach, dann war ich jetzt bereit, ihm diese Ehrlichkeit zuzubilligen.

      Entscheidend blieb aber, dass es sich um einen jener Fälle handelte, die sich nicht vor Gericht verhandeln ließen – dazu waren die Beweise zu mager. Deshalb würde F. weiterhin auf einen Schuldspruch drängen.

      Anscheinend war sich Kofler der Aussichtslosigkeit seiner Pläne sogar bewusst! Er erzählte mir von seinen beiden Töchtern – und dass sie ihn nicht verstanden.

      »Nicht einmal sie – «‚ bemerkte er mit trübsinniger Miene. In ihren Briefen aus dem Gefängnis hatten sie ihn gebeten, »den Sturz des Regimes mit unnachgiebiger Härte« zu betreiben. »Sie wollen in mir den Helden sehen!« klagte er. »Natürlich war man amüsiert, als man ihre Post öffnete. Selbst die Behörden sehen in mir keinen Umstürzler – allenfalls einen Kollaborateur mit dem Klassenfeind. Vermutlich aber nur einen harmlosen Intellektuellen, der mehr Anhänger im Westen als im Osten besitzt.

      Dass ich mich in der Bundesrepublik von allen Organisationen fernhalten werde, die in meinem Namen Veränderung – oft gewaltsame Veränderung – predigen, halten sie schlichtweg für ein Täuschungsmanöver.«

      »Sie wollen auf die Möglichkeit verzichten, über solche Kreise Einfluss zu nehmen?«

      »Ja. Ich werde mich zurückziehen, um an meinem Buch zu arbeiten – das Heil liegt nicht in politischen Parteien, vor allem nicht in einer Bewegung aus Wirrköpfen.«

      Ich war schon ein wenig unsicher auf den Beinen, als ich mich erhob, um eine neue Flasche zu besorgen. Umständlich zog ich den Stuhl zurück.

      »Sie müssen mir glauben …«‚ bat er plötzlich und umfasste mit beiden Händen meine Rechte. Seine Fingerspitzen zitterten leicht. Während ich nickte und einen unsicheren Schritt in den Raum setzte, entglitt ihm die Hand.

      Schon an der Tür, wandte ich mich um und betrachtete seine vorgebeugte, zusammengekauerte Gestalt, die an den Riesen in der Dachsilhouette erinnerte.

      »Es ist gerade das Vertrauen, das uns fehlt«, sagte er mit gesenktem Kopf.

      Der Satz lief mir im Raum nach, und als ich die Klinke drückte, überholte er mich von hinten wie eine düstere Wolke aus Gewissheit und Überzeugung, von der ich ohnehin schon eingenebelt war – düster, weil die Konsequenzen düster waren. Seit ich das Ampheton nahm, vertrug ich nicht mehr allzu viel; doch um zuerkennen, dass man mich in diesem Job nicht für Vertrauen bezahlte, reichte das bisschen alkoholisierter Verstand allemal.

      Ich eckte am Tisch an und ging ohne mich umzublicken zur Tür des anderen Zimmers, bis mir einfiel, dass die Flasche Riesling die letzte gewesen war und sich im Schrank außer Zwieback und schimmeligem Brot nur noch ein Glas Gurken befand. Als ich Kruschinsky mein Gesicht zuwandte, sah ich, dass er mich wie einen Schlafwandler oder ein Wesen aus einer anderen Welt anstarrte (wie die Geliebte, die sich als Gewohnheitstrinkerin entpuppt). Er hatte mich noch nicht blau gesehen.

      »Besorgen Sie für Leo und mich noch zwei Flaschen Riesling … irgendwo an der Trinkhalle. Sie werden schon eine finden, die geöffnet ist. Und bringen Sie sich selbst ein leeres Glas mit.«

      »Beabsichtigen Sie da drinnen ein Besäufnis zu veranstalten?«, fragte er mürrisch (vermutlich, weil er sich noch gut daran erinnerte, dass ich ihn wegen seines »hageren Pickelgesichts« von Koflers angeblich empfindsamer Ästhetenseele hatte fernhalten wollen).

      Ich griff in die Jackentasche und drückte ihm einen zerknüllten Fünfzig-Mark-Schein in die Hand, wobei mir die Nachricht aus dem L.D.A. zwischen die Finger geriet. Als Kruschinsky im Fahrstuhl war, hielt ich den Zettel dicht vor die Augen, denn meine Hand zitterte, zitterte wie Koflers Fingerspitzen. Ich hatte Mühe, den schwimmenden Buchstaben zu folgen. Der Text kündigte an, dass ein Kurier aus Ost-Berlin mit neuen Nachrichten herüberkommen würde.

      Was mich schon beim ersten Lesen stutzig gemacht hatte, war, dass man dafür einen Kurier benötigte …

      Ich trat ans Fenster und sah hinunter. Das Licht innerhalb der Grenzbefestigungen erschien so bühnenhaft unwirklich wie immer; von den Masten der Bogenlampen ausgehend, beleuchtete es scharf und abgezirkelt den Todesstreifen bis hin zu den beiden Reihen Stacheldrahtzaun, zwischen denen sich eine vierfache Barriere aus spanischen Reitern erstreckte.

      Das Gelände dahinter war unbeleuchtet. Erst ein gutes Stück weiter – jenseits der wie düstere Mahnmale aufragenden Fabrikgemäuer und leerstehenden Wohnhäuser – zeigte sich Licht in einzelnen Fenstern, wie kleine Inseln der Wärme.

      Mit dem Nachtglas suchte ich die Hauswand in der Roßstraße ab. Eine schmale Straße, fast eine Gasse, zog diagonal und schwach beleuchtet, aber völlig menschenleer, durch mein Gesichtsfeld. Zwischen den Dachausschnitten und Hauswänden war der Gehsteig zu erkennen. Der Hauseingang lag im Schatten. Ich presste das Glas gegen die Scheibe, um nicht zu wackeln.

      Das Dachfenster drüben sah aus wie gewöhnlich. Keine Spur einer Veränderung.

      Ich musterte die künstlich eingespiegelte Gardine mit dem geblümten Schirm der Wohnzimmerlampe dahinter, die anheimelndes Licht verbreitete, und mit einem Male befiel mich bleierne Müdigkeit …

      Es war nicht der Alkohol: Ich fühlte mich alt und ausgelaugt; ich ahnte, dass alles nur Fassade war und dass man nie zum eigentlichen Kern der Dinge vordringen würde – Augenschein, Fassade, Theater-Kulisse wie dieses Fenster oder der Todesstreifen dort unten, der Angst und Unsicherheit maskierte, Misstrauen und Argwohn.

      Der Prophet des Dritten Weges würde sterben, weil es das große Marionettentheater so verlangte – nicht etwa ein Stück, das die Herren rechts und links des Eisernen Vorhangs inszeniert hatten (man hätte es vielleicht durchschauen können), ja nicht einmal Gott oder der Teufel, sondern der blindwütige

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