Stirb endlich Alter. Georg Christian Braun

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Stirb endlich Alter - Georg Christian Braun страница 3

Автор:
Серия:
Издательство:
Stirb endlich Alter - Georg Christian Braun

Скачать книгу

Tisch.

      Renate ging die Treppe hoch ins Schlafzimmer und suchte ihre Kleidung zusammen. Sie stapelte sie und legte sie zur Seite auf den Boden. Ihr war klargeworden, wie chancenlos und einsam sie im eigenen Haus dastand. Roland hing an seinem Vater. Er konnte sich genauso wenig von Franz trennen wie umgekehrt. Aber die Pflegearbeiten musste sie größtenteils leisten, ihre Erschöpfung wurde nicht zur Kenntnis genommen. Annika und Lars passten ab und an auf Franz auf oder kochten ihm einen Tee. Roland stand nachts auf. Umfangreichere Hilfe sah anders aus.

      Sie stieg zum Dachboden hoch und holte zwei Koffer. Zeichen, die Roland die Ernsthaftigkeit ihres Vorhabens vor Augen führen sollten. Annika und Lars schliefen bereits. Ihretwegen zögerte Renate noch, ob sie tatsächlich gehen wollte. Es wäre eine Option für die Familienmutter, die Kinder zurückzulassen. Und das war schon eine ganze Zeit so. Sie rang mit ihrer Mutterrolle und der aus der Erschöpfung gediehenen Sehnsucht, auf eigenen Füßen zu stehen. Weihnachten erkor sie aus, für klare Verhältnisse zu sorgen. Sie sah keine gemeinsame Zukunft mehr. Keine mit Roland und Franz. Ihre Kinder liebte sie innig, doch die Spannungen im Haus waren für alle belastend. Lars und Annika liebten ihren Vater, sie vergötterten ihn nahezu. Renate sah die letzte Chance, dass sich etwas änderte, wenn sie ging. Definitiv, ohne geäußerte Rückkehrabsichten. Dann musste Roland in die Bresche springen und er würde nur dann erkennen, was Renate für die Familie geleistet hatte. Sie genoss die Vorstellung, wie Roland winselnd, bettelnd angekrochen käme, sie ihn zappeln ließe. Der Hass fraß sie auf. Sie brauchte zu viel Lebensenergie auf, in der Aufopferung für Franz, die Familie, den Haushalt.

      »Du wirst morgen die Koffer wieder hochbringen, wetten?«, frohlockte Roland. »Du bist immer schwach geworden, wenn es hart auf hart gekommen war. Wohin willst du überhaupt?«, setzte er eins drauf.

      »Warts ab. Morgen sieht deine Welt anders aus, das schwöre ich.«

      »Und was ist mit Annika und Lars? Nimmst du sie mit?«, stach der in die Wunde.

      »Fürs Erste wirst du dich um sie kümmern. Wenn ich eine Bleibe gefunden habe, wo wir zu dritt wohnen können, hole ich sie nach.«

      Nur, wenn die Kids es wollten, würde sie über eine zeitlich befristete und klar geregelte Rückkehr nachdenken. Ohne Zwang würde Roland nichts ändern. Wenn sie bliebe ..., ein Gedanke, den sie rasch runterschluckte ...

      »Du weißt, dass ich im Gegensatz zu dir einer Beschäftigung nachgehe. Die Kinder sind deine Angelegenheit, darauf hatten wir uns verständigt.«

      Renate hörte nicht mehr zu. Sie ertrug das Geschwätz Rolands, dem es ihrer Meinung nach ausschließlich um sich ginge, nicht mehr aus, Sie wollte stark bleiben, ein Zeichen setzen, dass es so nicht mehr weiterging.

      Welche Herausforderung wartete auf sie nach dem Tod von Franz? Ein Leben mit Roland? Die Ungewissheit grub tiefe Furchen in die Seele. Sie erlebte nur eine lange Zeit mit Franz und einem Ehemann, der sie mit der Last in Gestalt eines alten Sterbenden alleine ließ. Sie packte der Mut. Die Phantasien, die Hassvorstellungen, Enttäuschungen, führten zu nichts. Sie musste ins Handeln kommen.

      Sie dachte endlich mal an sich. Und ihre Gedanken fühlten sich warm und wohlig an. Sie ging mit einem entschlossenen Lächeln ins Bett.

       Kapitel 2

      Renate hatte es eilig. Sie wollte gegangen sein, wenn Annika und Lars aufstanden. Ihr Gesicht verriet Spuren eines schlechten Gewissens. Das bekam sie nicht wegen ihres Todeswunsches für Franz. Sie spürte, dass sie ihre Kinder für etwas leiden ließ, wofür die beiden am wenigsten etwas konnten.

      

       Ich weiß, dass ich möglicherweise Mist baue, ja. Aber verdammt nochmal, einmal im beschissenen Leben möchte ich wichtig sein, einfach nur genießen, nicht das, was Roland und der alte Knacker mir abverlangen. Ich habe lange eine Rolle gespielt. Sie passt mir jetzt nicht mehr. Bei genauem Hinsehen lehnte ich sie schon seit geraumer Weile ab. Nachgeben, dachte ich, wäre eine verständliche Sache, die mal er, mal ich praktizierte. Roland meinte, ich als Weib hätte toujours das zu machen, was der Alte oder er wünschten. So nicht, meine Herren.

      Roland lag noch im Bett und schnarchte. Üblicherweise stand er um 5.30 Uhr auf, das bedeutete für sie, spätestens um fünf Uhr das Haus zu verlassen.

      Die Horrorvorstellung, wenn sie hierbliebe, den lästig gewordenen und übergriffigen Schwiegervater weitere ungewisse Tage pflegen zu müssen, trieb sie in ihr Auto.

      »Nicht eine Sekunde länger mache ich den Unsinn mit. »

      Sie wollte weg, nicht weit, aber weg. Sie hatte keine Zukunftspläne. Vom Ort der jahrelangen Aufopferung für einen todgeweihten und anstrengend gewordenen Franz einige Kilometer entfernt zu sein - das reichte ihr zunächst. Noch so nahe, dass sie Annika und Lars an Weihnachten zu sich holen konnte, falls sie die Krise nicht mehr bewältigten und getröstet werden mussten. So weit wirkte dann ihr mütterlicher Instinkt dann doch noch. Ihre Wehrlosigkeit verstanden ihre Mitmenschen als fiese Retourkutsche, vielleicht als Rache für entgangene Lebensfreude. Dass man nach jahrelanger, pausenloser und aufopferungsvoller Pflege eines schwerkranken und schwierigen Menschen am Limit der Kräfte angekommen sein könnte, dämmerte weder Roland noch seinen Angehörigen. Es hatte bislang bestens geklappt. Und für die Geschwister kam die Hausübergabe wie ein Affront vor. Roland musste sich seine Bevorzugung durch harte Arbeit verdienen. Nachträglich. Die Geschwister ließen ihren Bruder alleine mit den Sorgen um Franz. Sie halfen ihm nicht. Sie dachten nicht daran. Im Gegenteil: Mit Argusaugen verfolgten sie in ihrer Verbitterung, wie der väterliche Kronensohn mit Franz umging. Von jenem hatten sie Abstand genommen und besuchten ihn kein einziges Mal. So enttäuscht waren sie.

      Renate startete den Motor ihres Fiat Punto und schlich leise vom Hof. Tränen schossen ihr ins Gesicht, sie kam sich als Rabenmutter vor. Sie liebte ihre beiden »Goldschätze«, musste aber ab dem Zeitpunkt ihrer Entscheidung in erster Linie an sich denken. Ihr Selbstbewusstsein sank in all den Ehejahren auf Erbsengröße. Roland und die Kinder nahmen ihre Wünsche entweder nicht wahr oder ignorierten sie. Sie erlebten Renate als energiegeladene und vor allen Dingen liebevolle Ehefrau und Mutter, der die Wünsche und Sehnsüchte der Familie äußerst wichtig waren. Bis sie selbst im Familienchaos untergegangen war. Die emotionalen Hilfeschreie verpufften in der Pflege von Franz und den Diensten an der Familie. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch, den Roland ignorierte. Stattdessen forderte er Renate auf, »ihre Schauspielereien« sein zu lassen. Es gäbe schließlich wichtigere Dinge, als ihre Hirngespinste auszuleben. Solche Äußerungen verletzten sie tief. Sie wehrte sich nicht, bis sie am vorigen Tag die Kraft aufbrachte, auf den Tisch zu hauen und mit ihrem Wegzug zu drohen. Was sie in diesem Moment in die Tat umgesetzt hatte. Und trotzdem waberten im Hinterkopf Gewissensbisse, die sie, um sich selbst die vielleicht letzte Lebenschance zu ermöglichen, verdrängte.

      Marianne Haberer, 38, 1,80m groß, schwarze Haare und schlank, die jüngere Schwester von Renate, wusste um ihre Situation. Sie kannte die Pläne Renates und war ihrer älteren Schwester in der Trennungserfahrung voraus: Vor drei Jahren ließ sie sich von ihrem Mann Holger scheiden. Als Renate ihr Leid klagte, riet Marianne zur baldigen Trennung, bevor sie dazu die Kraft nicht mehr aufbrachte.

      »Seit ich Holger los bin, habe ich Luft zum Atmen und Kraft für neue Erfahrungen«, gab sie Renate zur Antwort, als diese an dem Trennungsratschlag zweifelte. Denn Marianne hatte keine Kinder, Annika und Lars brauchten Renate dringender denn je. Das zwölfjährige Mädchen kam in die Pubertät und suchte oft den mütterlichen Halt, während Lars die Hilfsdienste Renates in Sachen Hausaufgaben und Schule gerne beanspruchte.

      »Was haben die beiden von mir, wenn ich kraftlos bin, und ihnen die Hilfe verweigere?«, sprach sie zu sich. Dies

Скачать книгу