Stirb endlich Alter. Georg Christian Braun

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Stirb endlich Alter - Georg Christian Braun

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erfragte. Und jener Gedanke befähigte sie zu dem schmerzhaften Affront ihren Kindern gegenüber, die an diesem zwanzigsten Dezember aufwachten und erstmals ihre Mutter vermissen mussten. In Hebelbach wurde man wie eine mittelalterliche Hexe behandelt, wenn man die Familie im Stich ließ. Um die Härte ihres Entschlusses abzumildern, schrieb die verzweifelte Mutti ihren Kindern einen Brief:

       »Liebe Annika, lieber Lars,

       wenn ihr diesen Brief lest, bin ich nicht mehr zu Hause bei euch. Ich weiß, dass ihr sehr darunter leidet. Das tut mir sehr Leid. Ihr habt bestimmt bemerkt, wie verzweifelt ich unter Opas Pflege gelitten habe. Wie mich alles angekotzt und nur noch geekelt hat. Ich will und kann das nicht mehr und da Papa mich nicht unterstützt, bleibt mir nur übrig wegzugehen. Ich muss erst zu mir finden. Wenn ihr wollt, können wir gemeinsam Weihnachten feiern, aber nicht zu Hause, sondern an einem anderen Ort. Schreibt mir eine Nachricht, ich melde mich dann. Ich habe euch immer lieb. Auch wenn ihr meinen Weggang nicht verstehen werdet.

      

       In Liebe

       Mama.«

      Den Brief las zuerst Annika. Er lag auf dem Küchentisch. In einem Umschlag ohne Sichtfenster, dennoch auffällig in der Tischmitte. Dort fand ihn die Zwölfjährige, als sie kurz nach dem Aufstehen etwas zu trinken suchte. Sie brach in Tränen aus und informierte ihren Bruder. Roland bemerkte das Fehlen Renates, nachdem er aufgewacht war:

      »Verdammt, jetzt ist Renate doch tatsächlich abgehauen und lässt mich mit den beiden und Vater im Stich.« Diesen Husarenritt trauter er Renate wirklich nicht zu. Sie kriegte die Kurve immer wieder. Renate wurde in dem Augenblick fremd. Sie nahm ihre Verantwortung und Aufgaben ohne Ausnahme ernst und erfüllte sie gewissenhaft. Das sollte just in dem Moment anders sein. Er versuchte, Renate auf deren Handy zu erreichen, sie blockte ab. Und fuhr an den Straßenrand, weil sie merkte, wie sie mit ihren Nerven am Ende war. Sie ließ ihre Tränen zu und stieg nicht aus dem Auto aus. Ein alleingelassenes Fahrzeug würde am ehesten die Aufmerksamkeit erregen. Man kannte sie auch im zehn Kilometer entfernten Sieblach, wo sie momentan stand. Renate atmete tief durch und öffnete das Fenster, damit frische Luft reinkommen konnte. Sie wurde sich selbst fremd. Sie erfüllte gewohnheitsmäßig, was von ihr erwartet wurde, das empfand sie bis gestern als richtig und notwendig. Allmählich dämmerte ihr, wie wertlos sie sich selbst vorkam, von anderen nichts zu verlangen. Wer nichts wollte, bekam auch nichts. Verkaufte das Leben unter Wert. Damit sollte Schluss ein. Für immer. Roland und die anderen würden nach und nach kapieren, welchen Wert sie für die Familie eingenommen hatte. Sie beruhigte sich allmählich und fühlte sich an den Moment erinnert, in dem sie entschied, ihr Leben ohne Roland und Franz weiter zu führen. Der Gedanke, den unerträglich gewordenen Schwiegervater und den unsolidarischen Ehemann los zu sein, erwärmte ihr Empfinden. Die Entscheidung war vor einem Tag richtig gewesen. Sie hatte Energie getankt und voller Kraft die Koffer gepackt. warum jetzt alles verflogen? Weil sie die Gegenwehr Rolands und der Kinder fürchtete? Die plante sie ein. Weil sie durch den Wegzug gegen die Dorfmoral verstieß? Die war ihr egal. Es war das Geständnis, schwach zu sein. Sie, die immer ihre Aufgaben akkurat und zufriedenstellend erledigte versagte plötzlich. Sie war am Ende der Kräfte. Dieses Eingeständnis war ehrlich und richtig. Und deswegen fasste sie erneut den Mut, zu ihrer Schwester zu fahren und sich von nichts und niemand beirren zu lassen. Denn, »ja« zu seinen Stärken und Schwächen zu sagen, bedeutet eine liebevolle Selbstannahme. Und die kann unter keinen Umständen falsch und verwerflich sein. Nachdem die Tränen weggewischt, die Nase geputzt war, ließ sie den Motor an und fuhr weiter nach Happbach, wo Marianne wohnte. Fünfzehn Kilometer von Hebelbach entfernt. Bei ihrer Schwester traf sie auf eine anfangs verständnisvolle Beschützerin. Sie baute sie zunächst auf und gab ihr Rückhalt. Vor Roland. Der hatte Respekt vor Marianne, die ihn schon das eine oder andere Mal in den Senkel gestellt und ihm gedroht hatte, ihn der Pflegekasse zu melden, weil er Geld einstrich und den Vater übel behandelte. Statt ins Krankenhaus zu verlegen, rief er den Rettungsdienst. Aus Angst vor den pharisäischen Geschwistern, denen er Erbsenzählerei unterstellte, was der Begriff »Pflege bis zum Tod« anbelangte. Mit Marianne war nicht gut Kirschen essen, das wusste Roland. Trotzdem fuhr er hin. Wegen Renate, der einstigen Liebe seines Lebens.

       Kapitel 3

      Annika kam von der Schule nach Hause mit einer interessanten Hausaufgabe. Roland arbeitete noch im Wald. Für die Erledigung der Aufgabe benötigte sie ihren Vater händeringend.

      »Papa, wann kommst du heim? », fühlte Annika per WhatsApp vor.

      »Wenn ich fertig bin. Kann spät werden. » Das passte der Schülerin absolut nicht in den Kram. Einmal bräuchte sie Roland für Schularbeiten und dann sägt er im Wald Bäume.

      »Mama, hast du Zeit für ein paar Fragen? »

      »Ich hole dich ab. Dann stehe ich dir zur Verfügung. » Eine knappe Viertelstunde verging und Renate hupte vor dem Haus. Die Kleine packte die Fragen und einen Block mit Schreibzeug in ihre Umhängetasche, zog ihre rehbraune Lederjacke an und kämmte das lockige Haar zurecht.

      »Hallo, Mama, schön, dass du Zeit für mich hast. »

      »Wir fahren in den Löwen. Dort können wir ungestört reden und nebenher die Aufgaben machen. »

      Die beiden bestellten ihre Lieblingsgetränke. Annika Eistee mit Zitronen- und Maracujageschmack, Renate einen karamellisierten Cappuccino mit Schokostreuseln. Die Tränensäcke Renates verrieten einen unterdurchschnittlichen Schlaf, außerdem einen tränenreichen Kampf. Das Mädchen reagierte ein wenig erschrocken, wollte den Schrecken unterdrücken, was ihr misslang.

      »Ja, Annika, ich habe viel geweint. Oder meinst du, mein Wegzug fiel mir leicht? » Unsicher nahm das Mädchen einen Schluck aus dem mittlerweile servierten Eistee, ehe sie antwortete:

      »Ich glaube, du hast mit deiner Aktion mehr Chaos angerichtet. » Renate wollte zur Gegenantwort ansetzen, Annika fiel ihr ins Wort: »Die Sache musst du mit Papa klären. Ich brauche jemand, der mir die Geschichte von Franz erzählen kann. »

      »He, wieso brauchst du die Lebensstory des alten Stinkers? » Renates Gesicht lief rot an. So wütend war sie.

      »Mama, bitte: Opa ist wichtig für mich, auch wenn du ihn nicht leiden kannst.«

      Renate schluckte zweimal, schaute auf den Boden und fragte:

      »Was ist eure genaue Aufgabe?«, fragte sie Annika zu ihrer Irritierung.

      »Wir müssen die Geschichte eines alten Menschen aufschreiben, der uns vertraut ist. Da fiel mir Opa ein. Geschichtshausi.«

      »Ich kann nur das erzählen, was ich von deinem Vater, Franz persönlich und den anderen Verwandten noch in Erinnerung habe. Garantieren kann ich für nichts. »

      »Ich habe ein paar Fragen, okay? »

      »Schieß los. »

      »In welchem Jahr wurde Franz geboren? »

      »1937.«

      »Was passierte in dem Jahr? »

      »Nichts Besonderes. Hitler bereitete den Zweiten Weltkrieg vor. Aber für Opa hatte der Krieg kam Auswirkungen. Er wurde in einen Bauernhof hineingeboren und hatte immer genug zu essen. »

      »Wo besuchte er die Schule? »

      »In Hebelbach. Die gesamte Schulzeit. »

      »Was

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