Globale Körper. Taiya Mikisch

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Globale Körper - Taiya Mikisch

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meiner Forschung und Wissensgenerierung als körperlich zu denken. In der Ethnologie wird oft die Relevanz des sogenannten tacit knowledge betont, eine Wissensform, die sich nicht über versprachlichte Prozesse erschließt, sondern durch die Anwesenheit des/der ForscherIn.{54} Von dieser Definition ausgehend, verfolge ich aber kein ontologisches Körperverständnis, in dem der Körper als unmittelbarer Empfänger von Wissen gedacht ist, wie das stellenweise in Theoretisierungen von der körperlichen Anwesenheit des/der EthnographIn geschieht.{55} Vielmehr geht es mir darum, Bereiche in die Wissensgenerierung mit einzubeziehen, die Wissensvorstellungen nicht entlang von Paradigmen wie Objektivität, Rationalität etc. denkt. Wenn ich beispielsweise meine Wahrnehmung als Forschungsinstrument einsetze, dann denke ich den Körper hier nicht essentialistisch, das heißt ich schreibe ihm keine a-kulturelle, universelle Kommunikations- oder gar Erkenntnisfähigkeit zu.{56} Vielmehr platziert mich der Fokus auf somatische, affektive, emotionale Reaktionen im Forschungsprozess als „corporeal being who critically engages with the
dancing body”{57}.

      Das Zusammenspiel von sozialen Strukturen, Körperlichkeit und ästhetischen Strategien ergab in jeder Produktion mit ihren täglichen Ritualen, Arbeitsweisen, Orten und Menschen eine spezifische Stimmung, durch die sich die einzelnen Produktionsprozesse deutlich unterschieden. Oft hatte ich das Gefühl „die Produktion“ gut zu kennen, ohne das an etwas Bestimmtem festmachen zu können. Die Theaterwissenschaftlerin Sabine Schouten beschäftigt sich in ihrer Untersuchung Sinnliches spüren – Wahrnehmung und Erzeugung von Atmosphäre im Theater{58} mit der Art und Weise, wie in Aufführungen solche Stimmungen beziehungsweise Atmosphären erzeugt und wahrgenommen werden. Das Wahrnehmen einer Atmosphäre siedelt sie dabei in der affektiven Betroffenheit der einzelnen Personen an, wobei der Wahrnehmungsprozess sich immer aus dem Zusammenspiel verschiedener Sinneseindrücke ergibt. Die Besonderheit des Wahrnehmungsprozesses „liegt

...
in der engen Verknüpfung des atmosphärischen Spürens mit der eigenen Körpererfahrung im Sinne von Spannungs-, Erregungs-, Lust- oder Unlustzuständen.“{59}

      Die durch die Teilnehmende Beobachtung gewonnenen Eindrücke dokumentierte ich in Form von Feldnotizen. Die Feldnotizen bestehen aus einer Mischung deskriptiver Beschreibungen von Situationen, theoretischer Überlegungen und Tagebucheinträgen sowie aus Notizen organisatorischer und logistischer Art wie Beispielsweise Zeitplänen oder Regiebucheinträgen.{60} Als einen Bestandteil dieser Feldnotizen habe ich in den Forschungssequenzen ein somatisches Tagebuch geführt, in dem ich mich vor allem auf meine körperlichen und emotionalen Reaktionen und Empfindungen beziehe. Ich konnte so durch das Wahrnehmen einer Atmosphäre ein Gefühl für Arbeitsweisen der einzelnen ChoreographInnen entwickeln, sowohl bezogen auf die Auswahl des choreographischen Materials als auch bezogen auf wiederkehrende Situationen und Dynamiken. Diese Besonderheiten haben auch immer politische Implikationen: Sie stehen in Verbindung mit Hierarchien im Produktionsprozess, mit Erwartungen und mit Zugängen und Möglichkeiten der einzelnen Beteiligten.

      Damit geht immer auch einher, dass ich meine eigenen Annahmen, Stereotype, Interessen und auch meine eigene Körperpraxis und Rezeptionspraxis mitdenke und berücksichtige, dass meine Beobachtungen und Interpretationen immer auf der Grundlage meiner eigenen körperlichen Vorerfahrung und Rezeptionserfahrung geschehen. Ich begreife mich selbst als Forscherin immer auch als diskursives Gebilde. Meine persönlichen Interessen, Ziele, Erfahrungen, mein Vorwissen, meine Rolle im Gesamtgefüge der Produktionen spielen hier eine zentrale Rolle und müssen mitgedacht werden.{61}

      Kontaktflächen, Konstellation # 3

      Die dritte Konstellation an Kontaktflächen beziehe ich auf die Aufführung. Dabei greifen ästhetische Analyse der Stücke und Analysen des Raumes, der im Moment der Aufführung entsteht, ineinander. Im Zentrum steht der performative Raum der Aufführung,{62} in dem sich Konstellationen an Kontaktflächen aus ZuschauerInnen, dem Geschehen auf der Bühne und darüber hinaus auch aus Rahmungselemente wie Spielorte, Programmhefte etc. vernetzen.

      Oft geht es hier um Vorstellungen, Erfahrungen und Festlegungen von Teilen von Welt und somit auch um die Herstellung von Welt durch die spezifische Beziehung ihrer Bausteine. Als Ausgangspunkt für diese dritte Konstellation an Kontaktflächen beschäftige ich mich mit Positionierungen und Erfahrungen des Publikums. Hier spielen Prozesse der Wahrnehmung eine wichtige Rolle.

      Forschungsschritte und Datensätze

      Ich war selbst bei den Aufführungen der Stücke mehrmals anwesend und habe dadurch die Bühnenversionen sehr oft gesehen und unterschiedliche Publikumskonstellationen mitbekommen.

      Darüber hinaus habe ich nach allen untersuchten Projekten in Form standardisierter Fragebögen alle ZuschauerInnen, die sich zu dieser Befragung bereit erklärten, assoziativ nach ihrem Erleben des Stückes befragt. Diese Befragungen erfolgten schriftlich, so dass ich möglichst viele ZuschauerInnen befragen konnte. Das sample, also die Auswahl der InterviewpartnerInnen war zufällig ausgewählt.{63} Die Fragebögen glichen sich in ihrem inhaltlichen Aufbau, ich habe sie aber je nach Stück variiert und einzelne Fragen angepasst. Dabei verfolge ich nicht den Ansatz einer repräsentativen Publikumsstudie, die Aussagen darüber treffen möchte, wie ein Stück vom Publikum „allgemein“ wahrgenommen wird – liegt solchen Fragen doch ein Kunstbegriff wie auch ein Wahrnehmungsbegriff zugrunde, der sehr deterministisch gedacht ist. Vielmehr habe ich die Antworten einerseits dafür verwendet, Kategorien zu entwickeln und andererseits dahingehend ausgewertet, dass sie Ausgangspunkte für Fragen bilden. Denn durch die Befragung soll auch wiederum kein deterministischer Übersetzungsbegriff von Erfahrung zur Sprache verfolgt werden. Ich benutze die Äußerungen des Publikums um Ausgangspunkte zu finden, die auch in Hinblick auf die im Stück vorhandenen Inszenierungsstrategien fruchtbar gemacht werden können.{64}

      Als besonders fruchtbar haben sich die Fragen herausgestellt, die sehr assoziativ zum Erleben des Stücks gestellt waren oder solche, die nach Assoziationen zu einzelnen Begriffen in Bezug auf das Stück fragten, die z.B. ein Brainstorm zu den Stichworten Körper, Bewegung, Bühne, Musik forderten.

      Hiermit habe ich im Auswertungsprozess mit verschiedenen Gruppierungs- und Codierungsmöglichkeiten experimentiert, jedoch nicht in Hinblick auf allgemeingültige Aussagen, sondern zur Generierung zentraler Kategorien und vor allem um Fragen zu entwickeln. {65} Dabei hat mich Folgendes interessiert: Welche Assoziationen häufen sich und lassen dadurch eine Grundstimmung entstehen? Jedes Stück bekommt dadurch – immer mitbedenkend, dass es sich um einen Ausschnitt des Publikums handelt{66}– eine bestimmte Aufladung. Diese Aufladung oder Grundstimmung setze ich wiederum in Bezug zum untersuchten Entwicklungsprozess der Stücke. Da ich die Gruppierung und Kategorisierung der Nennungen vornehme, ist immer auch meine Prägung durch meine Anwesenheit im Entstehungsprozess und meine Rezeption der Kritiken etc. mitzudenken. Insofern setze ich die Grundstimmung mit Diskursen und Mechanismen in Bezug, die mir für die jeweilige Produktion relevant erscheinen. Gleichzeitig hatte ich bei der Erstellung der Wortfelder, bei der Codierung selbst, den Anspruch, möglichst ohne Vorannahmen an das Material heranzugehen.

      Die entstehenden Stimmungsbilder dienten dann im nächsten Schritt als Folie, um Themen und Fragen zu generieren. Hier geht es mir zum einen darum, ob bestimmte Themen besonders häufig angesprochen wurden und andere selten oder gar nicht. Zum anderen habe ich mich hier auch auf den Wahrnehmungsmodus konzentriert.

      2.2 Selbstpositionierungen

      Eine ethnographische Vorgehensweise führt immer auch zu Problemen, Grenzerfahrungen und forschungsstrategischen Einschränkungen. Meine Forschung war explorativ angelegt und brachte deswegen immer auch ein hohes Maß an Unvorhersehbarkeit mit

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