Frankreich mit allen Sinnen. Otto W. Bringer

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Frankreich mit allen Sinnen - Otto W. Bringer

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Hoftor vier Jutesäcke mit Blütenblättern. Kräuterzweiglein. Beeren. Typisches Provencekolorit. Rose geht in die Hocke. Nimmt einen Zweig, riecht. Lächelt. Schaufelt eine Handvoll Lavendelblüten. Hält sie mir entgegen. Der Duft ist bei mir, bevor ich meine Nase hineinstecke.

Frankreich

      Fotografiere die Szene. Rose im plissierten Seidenjäckchen. Provencebunt. Knieend vor naturgebleichten Säcken mit allen Farben der Provence. Mensch und Natur in harmonischer Eintracht. Ein Bild, das mich rührt. Tief innen.

      Einige Schritte weiter ein Haus im Renaissancestil. Mit kleinem Innenhof. Ein Quadratmeter Garten. Der Olivenbaum windet sich wie eine Schraube, um schlank zu bleiben. Und geduldet zu werden. Auf kleinstem Raum. Verzichten will niemand auf dieses Symbol der Provence. Zwei Stufen, wir sind in einem feinen Souvenirlädchen.

      „Schau diese schönen Schalen.“ Rose entdeckt die mit stilisiertem Blattwerk bemalten, kaum sind wir drinnen. Könnten von Picasso sein. Oder hat der Meister es den Töpfern abgeguckt? Gehe näher. Hebe eine Schale hoch, sehe unter den Boden. Signatur? Nicht lesbar.

      In Regalen Kleinteiliges. Eierbecher. Deckeltöpfchen. Blumenvasen. Gläser. „Hier“ ruft Rose vor der Schmuckvitrine. „Diese Kette gefällt mir“. Ihr Zeigefinger ist eindeutig. Ihre Augen glänzen, als besäße sie sie schon. Lasse mir die Kette aus dreifarbiger Keramik geben. Nehme sie in die Hand. Sehe ein harmonisch geformtes Kunstwerk. Befühle die weich geformten länglichen Glieder. Deren Verdickung am Ende. Sich in der Mitte der Kette berührende Köpfe einer stumpfmäuligen Schlange.

      Die dünneren Endstücke verknüpft ein simpler Verschluss. Kleine Schlinge einerseits. Kleines Keramikkügelchen andererseits. Kein Messingverschluss. Kein Nylonfaden. Nur Keramik und eine ganz gewöhnliche dunkelrote Kordel. Auf die das schönste Gebilde aus Elfenbein, Blassblau und Goldocker aufgeschnürt ist. „Lege sie an, bitte. Ich helfe Dir“.

      Knöpfe das Kügelchen durch die Schlinge in ihrem Nacken. Atme das weizengelbe T-Shirt. Das goldene Haar. Streiche mit der Hand über die Kette, die wie ein friedliches Tier auf ihrer Haut ruht. Rose dreht sich um: „Avez-vous un miroir?“ Irgendwo ein Spiegel? Sieht sich. Kritisch. Lächelt dann. Fällt mir um den Hals: „Danke, danke, lieber Schatz!“

      Dieser Halsschmuck ist ihr liebster. Passt zu Kleidern, Hosenanzügen, Blusen. Weil er zu ihr passt. Gewissermaßen ein Stück von ihr ist. So einfach ist das.

      Reicher um ein schönes Stück klettern wir weiter. Mächtigen Appetit in Kopf und Bauch. Von einer erhöhten Terrasse überfällt uns kräftiger Geruch. Was gibt es da wohl? Oben alle Tische besetzt. Bis auf einen, der soeben frei wird. „Setzen wir uns schnell, bevor andere schneller sind.“

      Auf fast allen Tischen Keramikschalen mit dampfendem Etwas. Die Karte sagt Cassoulet. Erzähle Rose: „Kenne es von einem Essen mit Geschäftsfreunden in Paris. Hatte es öfter nachgekocht. Deftiges, original französisches Alltagsgericht. Für ausgehungerte Familien. Weiße Bohnen. Gänsefleisch, Schweinebauch, Bratwurst, Zwiebeln, Knoblauch, Lorbeerblätter usw. Zwei, drei Mal im Backofen gewendet. Damit viele Krusten den typischen Geschmack dieses simplen Gerichtes erzeugen.“

      Rose macht große Augen: „Meinst Du, das ist was für mittags?“ Ich bin heiß. Hirnrissig heiß auf Cassoulet. Bestelle. „Du musst es ja nicht aufessen“ tröste ich Rose.

      Sie nimmt ein Stück Brot, knabbert daran herum als hätte sie keinen Appetit. Trinkt einen Schluck schwarzroten Weins. Sieht zum Nachbartisch mit lachenden, laut schmatzenden Leuten. Sieht mich wieder an: „Das Cassoulet muss hier wohl sehr lecker sein.“ „Oh Liebes, kannst Dich auf mich verlassen.“ In Sachen Essen vertrauen wir einander ohne Rücksicht auf schlaue Bemerkungen anderer. „Bon appétit ma chéri!“ Es dauert seine Zeit.

      Das fettreiche Gericht im Bauch, ein wenig unsicher auf den Beinen, geht´s Gottseidank bergab. Geländer keines zum Festhalten. Aber Souvenirläden. Jede Menge. Zum Stehenbleiben. Haben wir sie vorhin übersehen? Bleiben stehen. Nicht um zu gucken. Sondern stehen zu bleiben. Ganz langsam durchzuatmen. Nicht gehen müssen. Ach ja.

      Die Sonne heizt uns noch mehr auf als wir schon sind. Der Jaguar glüht westminsterblue. Fünfunddreissig Grad lassen auch Briten nicht kalt. Los, alle Türen auf. Gebläse an. Auf höchste Touren. Wir wollen ins Hotel. Ins Bett. Ich fahre mit dem Rest von Nüchternheit vorsichtig. Sehr vorsichtig. Entlang gescheckter Platanenstämme. Bis uns der Julierturm erblickt. „Bis hierher und nicht weiter“, scheint Julius zu sagen. Verweilen eine Viertelstunde im Schatten des Triumpfbogens nebenan. Angenehm kühl. Müdigkeit wird größer. Schatten haben das so an sich. Ach was, fahren wir ins Hotel. Schlafen. Lesen.

      Vom Arzt und Apotheker Nostradamus lesen wir haarsträubende Dinge. Er soll im hohen Alter noch jahrelang auf dem zweitausend Meter hohen Mont Ventoux gesessen haben. Um von dort oben die Menschen mit Unglücksbotschaften zu traktieren. Wir begreifen, dass nur aus dieser steinreichen, von Sonne und Mistral ausgetrockneten Landschaft ein Nostradamus kommen konnte. Einer, der Klimakatastrophen in kleinem Maßstab täglich erlebte. Er brauchte sie nur ins Gigantische zu steigern. Um Wirkung zu erzeugen. Physikalische und astronomische Kenntnisse halfen ihm dabei. Hätten wir seine Warnungen in den Wind geschlagen, lebten wir damals? Die Antwort ersparen wir uns.

Frankreich

      Geboren wurde er in St. Rémy. Rose: „Ich sah die bronzene Tafel mit seinem Portrait am Rathaus.“ Sein Geist sitzt immer noch auf dem Mont Ventoux. Und pfeift mit dem Wind. Dass es sich anhört wie eine kommende Katastrophe. „Ach, pfeif drauf.“

      Nirgendwo so viele Sonnenblumenfelder gesehen wie in der südlichen Provence. Van Gogh beeindruckten sie so sehr, dass er am laufenden Band Sonnenblumenbilder malte. Als er im Irrenhaus des Klosters Saint-Paul-de-Mausol bei St. Rémy seine krankhafte Neigung zum Suizid auskurieren musste.

      Da sieht man wieder, dass Kunst nichts mit Verstand zu tun hat. Für ein Bild von ihm zahlen Millionäre Millionen. Ich frage mich, wer hier den Verstand verloren hat. Rose mault: „Ich mag Van Gogh nicht sehr.“

      Nächstes Ziel die Abtei Sénanque. Sehen unterwegs keine Hinweisschilder. Auf der Detailkarte schwarzer Punkt mit einem Kreuz sagt, hier ist eine Kirche. Mehr nicht. Das Zisterzienserkloster müsste drei Kugelkreuze haben. Wie Restaurants Sterne. Das Foto der Klosterkirche hat uns mächtig beeindruckt. Schlichter kann kein Bauwerk sein. Konsequente Umsetzung der Forderung Bernard von Clairvaux´, Der Welt ein Beispiel zu geben durch Anspruchslosigkeit. 1148 nach Christus.

      Wir sind gespannt, ob unser Bild der Wirklichkeit entspricht. „Ich wette, es ist anders als wir denken. Fotos verschönern in der Regel. Wahrscheinich, weil die Kamera nur mit einem Auge sieht. Unsere zwei Augen müssen mehr sehen. Eigentlich. Auch die weniger schönen Seiten.“ Rose will weiter philosophieren, aber wie finden wir dahin? Kein Hinweisschild hilft.

      Es sind etwa achtzehn Kilometer. Nimmt man die Karte ernst. Fahren durch Bauernland. Vorbei an Lavendelfeldern. Bis zum blauen Himmel farbenglühendes Landschaftspanorama. Zartes Lila, dunkelgrün und steinocker. Wir fahren langsam, als die Straße eine enge Kurve macht. Tauchen in den Schatten von Schirmpinien. Wie unter ein Dach. Sonne ausgebremst. Weht der Wind kühler? Wir haben die Fenster offen bis zum Anschlag.

      Lavendelduft voll in der Lunge. Ein bisschen zuviel? Zweite Kurve kommt. Dann wieder Lavendellila. Die grauen Steinmauern der Abtei in Lila eingewachsen. Stein und Erde eins. Tief gegründet. Bis ins Alte Testament.

      Das kleine Schild ‚Abbaye’ mit weißem Pfeil überflüssig. Vor uns der Baukörper. Hingestreckt vor dem Dunkelgrün des Pinienwaldes am Berg. An der Stelle, wo sich Langhaus und Querhaus

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