der verstellte Ursprung. L. Theodor Donat
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— Präfekt
Das schönste Jahr in jener Zeit erlebte ich als Präfekt. Als Präfekten bezeichneten wir den Erzieher, der für die Schüler des Internats ausserhalb der Unterrichtszeit verantwortlich war. Obschon wir nur 40 Schüler hatten, war es eine Vollzeitbeschäftigung. Mit dem Einverständnis meiner Obern nahm ich eine Auszeit an der Universität. Das Jahr als Präfekt bereitete mir Freude, weil ich gerne unterrichtete und mit jungen Menschen zusammen war. Zudem konnte ich Initiative entwickeln und hatte einen gewissen Freiraum gegenüber der Gemeinschaft.
Vor dem 1. April meinten verschiedene meiner Schützlinge, dass sie mich an diesem Tag „drankriegen“ würden. Da es am 31. März spät wurde, hatte ich die Idee, die Schüler um Mitternacht zu wecken. Ich tat es mit dem Ritual von jedem Morgen, allerdings ohne die Fenster zu öffnen. Gut die Hälfte ging zu den Lavabos und begann, sich zu waschen. Einer sass auf dem Bettrand, schaute auf seine Uhr und meinte, dass sie sonst nie stehen geblieben sei. Nach zehn Minuten teilte ich ihnen Datum und Zeit mit und sagte ihnen, dass sie weiterschlafen könnten. Natürlich musste ich ein paar Minuten im Schlafsaal bleiben, um sicher zu sein, dass wieder alle schliefen. Am anderen Morgen, als ich den Schlafsaal betreten wollte, hatte ich bloss den Türknauf in der Hand. Mein Zimmer war gleichfalls verschlossen, da es vom Schlafsaal aus zugänglich war. In der Werkstatt beschaffte ich mir eine Dreikantfeile, mit der sich die Türe öffnen liess. So bedeutete ich den Internen aufzustehen, was sie aber mit dem Kommentar quittierten, das sei doch ein Aprilscherz. Da ich den Schlüssel meines Zimmers im Nachttisch eines bestimmten Schülers vermutete und darauf zuging, wurde ich plötzlich unter einigen Internen begraben. Schliesslich kamen wir mit einigen Minuten Verspätung zum Morgengebet. Ich gratulierte den Schülern zu ihrem Sinn für Humor und sagte ihnen, dass Studium, Unterricht und mein Zimmer „Aprilscherz-frei“ sein sollten. Das funktionierte, nur die Schüler der untersten Klasse platzierten Leim auf den Stuhl eines Lehrers, den sie nicht schätzten.
In der Zeit als Student empörte es mich, dass immer die gleichen Leute als Delegierte der Provinz gewählt wurden, und es waren nicht jene der revolutionären Sorte! Die Wahl erfolgte in zwei Wahlgängen. Im ersten wählte man doppelt so viele Personen als es Delegierte gab. Im zweiten Wahlgang galt es, aus den Leuten, die am meisten Stimmen erhalten hatten, jene zu bestimmen, die dann tatsächlich am Provinz- oder am Generalkapitel teilnahmen.
Mitbrüdern, zu denen ich Vertrauen hatte, vor allem den jüngeren, schlug ich vor, im ersten Wahlgang ganz gezielt bestimmte Mitbrüder zu wählen, damit unsere Stimmen sich nicht verzettelten. So kamen unsere Kandidaten in die zweite Runde und mindestens einer von ihnen wurde ins Generalkapitel gewählt. Es war das erste Mal, dass ich eine einigermassen wichtige Initiative gegen die Vorschriften ergriff, denn jede Einflussnahme auf die Wahlen war verboten, jedermann sollte ganz allein vor dem eigenen Gewissen wählen.
Aber ich wollte eine ungerechte, weil unbewegliche, Situation nicht einfach bestehen lassen. Ansonsten wurde ich einige Male als Idealist verspottet. Mit einem Mitbruder zusammen gründete ich ein internes Informationsblatt, das mehr Leben in die Provinz bringen sollte. Wie in einer Ehe über den Tagesablauf eines jeden gesprochen werden muss, so wollte ich, dass Freuden und Leiden der verschiedenen Gemeinschaften ausgetauscht werden konnten.
Seit dem Noviziat befand ich mich in einer abgeschotteten maskulinen Umgebung. Schon bald nach den ewigen Gelübden zeigten sich die ersten homoerotischen Tendenzen. Während meiner Amtszeit als Präfekt konnte ich die Tendenzen unterdrücken. Es ging nicht direkt um sexuelle Akte, sondern um Körpernähe, freundschaftliche Klapse oder Scheinkämpfe beim Sport. Diese Tendenzen führten bei mir zu Schuldkomplexen und Depressionen. Mein geistlicher Berater vermittelte mir einen Termin bei einem Psychiater. Das Gespräch mit ihm war nutzlos, denn „sexuelle“ Fragen waren für mich damals unaussprechbar. Eine oder zwei Auszeiten in meinem Heimatdorf halfen mir, die Depressionen besonders durch Wandern zu überwinden. konnte ich. Viel später habe ich dann erfahren, dass Tiere, die man nach Geschlechtern trennt, ein homosexuelles Verhalten annehmen.
In einem britischen Vogelpark haben zwei schwule Flamingos Eier ihrer heterosexuellen Artgenossen gestohlen und die Küken als ihre eigenen aufgezogen. Keiner der anderen Flamingos wollte sich mit den zwei recht grossen Männchen gleichzeitig anlegen. Homosexualität unter Tieren ist zwar nicht ungewöhnlich, aber es sei der erste bekannte Fall unter Flamingos. (carlos-und-fernando)
Bei mindestens 1500 Tierarten ist homosexuelles Verhalten bisher beobachtet worden. Und bei rund 500 davon sind die Befunde zudem sehr gut dokumentiert. (spiegel.de)
Mit vielen anderen Ordensleuten jener Zeit träumte ich von kleinen Kommunitäten – von kleinen, homogenen Gemeinschaften – in denen man sich versteht, in denen Freundschaft entstehen kann. Wir versuchten einmal, das Leben und das Gespräch in einer kleinen Gemeinschaft einzuüben. Ausgerüstet mit einem Zelt, erlebten wir zu dritt eine Wanderwoche in den Bergen. Es war schön, und wir führten gute Gespräche. Denn in der Kommunität sprach man sonst bei Tisch nur über banale Dinge. Zu verschieden waren die Erwartungen von älteren Mitbrüdern an uns Studenten. Wir sollten ja in die Mentalität der Älteren hineinwachsen, wie sie es ihrerseits getan hatten. Um die Atmosphäre aufzulockern, konnte man über einen Mitbruder spotten, falls dieser sich das gefallen liess, oder es sogar genoss, im Zentrum des Interesses zu stehen. Banale Gespräche bei Tisch bei Leuten mit Gelübden, das sollte eigentlich zu denken geben, vielleicht wird deshalb in vielen Ordensgemeinschaften während des Essens vorgelesen! Auf jeden Fall wird eine Atmosphäre der Freundschaft zu wenig gepflegt und man versteht sich oft bloss als Arbeitskollegen. Das Wichtigste jedoch war die Beachtung des Reglements, vor allem die kontrollierbare Pünktlichkeit zu den gemeinsamen Tätigkeiten: Gebet und Essen. Verstösse wurden mit verständnislosen Bemerkungen oder mit eisigem Schweigen quittiert.
Fazit, was die Zeit zwischen den ersten Gelübden und die Aussendung in die Mission betrifft: Die ersten sieben Jahre meines Ordenslebens wären frustrierend gewesen, hätte mein jugendlicher Optimismus nicht mitgespielt. Ich hatte allerdings das Revolutionäre der Evangelien noch nicht entdeckt. Dass das Ordensleben eine prophetische Rolle in der Kirche zu spielen hatte, wurde uns theoretisch erklärt, aber es blieb Theorie.
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatten viele Ordensleute ihre Gemeinschaft verlassen, darunter einige nette Mitbrüder aus der Heimat-Provinz. Es war wahrscheinlich eine Folge einer beginnenden Öffnung innerhalb der Rkk, die weiter gedacht das Zölibat in Frage stellte.
Auf der Suche nach Freundschaft war ich nicht weitergekommen, die Freunde aus dem Heimatdorf waren zu weit entfernt. Dass ich ausserdem nach Freiheit suchte, war mir noch nicht bewusst. Aber meine Identifikation mit der Rkk und mit meinem Orden hatte sich gefestigt!
In Liebe Dein L. Theodor
2. in einem Land Westafrikas
In diesem Kapitel geht es um Schlüsselerlebnisse im Zusammenhang mit dem Einleben in eine neue Kultur, in der sich der wichtigste Teil meines Lebens abspielen wird. Ich werde weiter Entwicklungen mit dem Umgang mit meiner Sexualität beschreiben. Dann wird von den Auswirkungen meines Theologiestudiums und der Priesterweihe die Rede sein. Ganz einschneidend waren die Folgen des Besuchs des Papstes in der Stadt in der ich arbeitete. In einem Brief werde ich von einer konkreten Ordensgemeinschaft erzählen. Schliesslich werde ich der grössten Katastrophe meines Lebens berichten, die ich in einem