Der Brigant. Edgar Wallace
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Anthony, der noch niemals so viel Geld besessen hatte, um sich zu einer solchen Auffassung aufzuschwingen, war ein wenig betroffen.
»Ja, ich habe ungefähr zwanzigtausend Pfund verdient.« Er zuckte die Schultern, um anzudeuten, daß eine solche Summe eigentlich nicht recht als Geld bezeichnet werden könne. »Aber ich war ja auch nicht lange in Afrika.«
Mr. Frenchan sah ihn mit neuem Interesse an. Als einen Vertreter der Kapitalisten könnte man Mr. Newton gebrauchen, aber wenn er ein selbständiger Kapitalist war, eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten, Geschäfte mit ihm zu machen.
»Kennen Sie die Goldheims sehr gut? Ich sah, daß Sie mit ihnen speisten.«
»Ich kann nicht gerade behaupten, daß ich sie sehr gut kenne«, entgegnete Anthony, der erkannte, daß er in diesem Augenblick nicht lügen durfte. »Ich habe sie eigentlich mehr durch Zufall kennengelernt.«
»Ein tüchtiger Geschäftsmann, dieser Goldheim.« Mr. Frenchan blickte nachdenklich auf seine Zigarre. »Er verdient sein Geld mit Petroleum. Der Mann ist eine Million wert, vielleicht auch zwei.«
»Sehen Sie einmal an!« Und um etwas zu sagen und auch zugleich einige nützliche Nachrichten zu sammeln, fragte Anthony: »Bleiben Sie lange in London?«
»Etwa drei bis vier Monate.« Mr. Frenchan machte ein unzufriedenes Gesicht. »Ich wäre überhaupt nicht hergekommen, wenn mein armer, verrückter Bruder nicht gestorben wäre.«
Anthony war gespannt, ob es die Armut oder die Verschrobenheit des verstorbenen Mr. Frenchan war, über die sich sein neuer Freund so aufregte. Sicherlich ärgerte er sich über eins von beiden, denn seine Züge verfinsterten sich.
»Ein Mann hat kein Recht«, explodierte er plötzlich, »die Mildtätigkeit bis zur Verrücktheit zu treiben. Wenn jemand sein Testament macht, soll er so über sein Vermögen disponieren, daß er seine Verwandten nicht lächerlich macht. Man soll sie beneiden, ja – aber nicht die Achseln über sie zucken.«
Anthony gab das ohne weiteres zu.
Mr. Frenchan sah entrüstet aus. Er schob seine Unterlippe vor und machte gerade keinen liebenswürdigen Eindruck.
»Wenn er tausend Pfund dem Waisenhaus, tausend Pfund einem Hospital in London und dann vielleicht noch zehntausend für ein Kinderheim hinterlassen hätte, würde niemand etwas dazu sagen. Persönlich bin ich auf das Geld meines Bruders überhaupt nicht angewiesen, ebensowenig meine Familie.«
Anthony entnahm dieser wegwerfenden Erklärung, daß der verstorbene Mr. Frenchan seinem Bruder überhaupt nichts hinterlassen hatte.
»Zu welcher Religion bekennen Sie sich eigentlich, Mr. Newton?« fragte Frenchan plötzlich und völlig unerwartet.
Anthony war einen Augenblick verdutzt.
»Ich gehöre zu den Altmethodisten«, sagte er dann. Wenn er überhaupt einer besonderen Kirche angehörte, so war es diese Sekte. Als Kind war er jeden Sonntagmorgen in ihre Kirche mitgenommen worden.
Der Eindruck, den diese Nachricht auf Mr. Frenchan machte, war überwältigend. Er lehnte sich weit in seinen Stuhl zurück und sah den jungen Mann lange groß an.
»Was für ein merkwürdiger Zufall«, sagte er dann langsam. »Sie sind der erste Altmethodist, dem ich in diesem Lande begegne.«
Anthony war sehr erstaunt. Er hatte niemals geglaubt, daß die Sekte, der er früher angehörte, einen solchen Eindruck hervorrufen könnte ... und er dachte nun dankbar an die kleine Kapelle zurück, die er in seiner Jugend immer besucht hatte.
Mr. Frenchan erklärte dem jungen Mann, welche besondere Bewandtnis es damit hatte.
»Mein Bruder Walter war ein merkwürdiger Mensch. Ich will damit nicht sagen, daß der Altmethodismus eine merkwürdige Religion ist, aber mein Bruder ging in dieser Beziehung zu weit. Er beschäftigte zweitausend Leute in seinem Geschäft, aber er stellte nur Altmethodisten an. Es ist sicherlich eine gute Religion. Aber mein Bruder war so bigott, daß er alle anderen Bekenntnisse verachtete. Mr. Newton, Sie als ein Mann von Welt werden mir doch zugeben, daß das gerade nicht sehr großzügig von ihm war?«
Anthony stimmte ihm vollkommen bei.
»Und weil er nun diese sonderbaren Ansichten hatte«, fuhr Mr. Frenchan bitter fort, »bin ich in eine sehr unangenehme Lage gekommen. Ich habe zu meinem Rechtsanwalt gesagt: Bin ich denn nun gezwungen, jahrelang hier in London zu sitzen und mich um bedürftige, arme Leute zu kümmern, die zu den Altmethodisten gehören, nur um das Testament meines Bruders auszuführen? Ich wäre verrückt, wenn ich das täte!«
Mr. Frenchan war sehr aufgebracht und trank seine Tasse hastig aus. Es lag ein sonderbarer Ausdruck in seinen Augen, der Anthony zuerst etwas verwirrte, dann aber ermutigte.
»Wollen Sie noch einen Likör haben?« fragte Mr. Frenchan plötzlich.
Anthony nickte.
»Ich möchte, daß Sie meinen Rechtsanwalt kennenlernen«, fuhr Frenchan fort. »Das ist ein Mann, der Ihnen gefallen wird. Ein kluger Mensch, der in die Welt paßt. Ein bißchen argwöhnisch, aber ich glaube, daß das mit seinem Beruf zusammenhängt. Wahrscheinlich kennen Sie die Firma schon – Whipplewhite, Sommers und Soames.«
Anthony nickte wieder. Er hatte zwar niemals von einer solchen Firma gehört, aber der Name klang ganz nach Rechtsanwälten.
Mr. Frenchan sah auf die Uhr.
»Ich glaube, wir könnten ihn jetzt treffen. Sie werden es bestimmt nicht bereuen, seine Bekanntschaft gemacht zu haben. Er ist ein tüchtiger Schotte, aber ein Mann mit einem goldenen Herzen. Er sieht in jedem Menschen eigentlich einen möglichen Verbrecher.« Mr. Frenchan lächelte vor sich hin und schüttelte den Kopf. »Aber schließlich wird ihn ja sein Beruf zu solchen Anschauungen gebracht haben«, meinte er nachdenklich.
»Ich habe bei meinem Rechtsanwalt ähnliche Wahrnehmungen gemacht«, sagte Anthony ruhig. »Im allgemeinen sind Juristen ja vorsichtige Leute, und die erste Folge der Vorsicht ist, daß man zunächst immer das Schlechtere vermutet.«
Mr. Frenchan stand auf.
»Kommen Sie mit. Wir wollen einmal sehen, ob es uns gelingt, ihn zu finden. Am ehesten treffen wir ihn jetzt in der Nähe des Gerichts. Mir liegt sehr viel daran, daß Sie ihn kennenlernen.«
Als sie durch den Empfangsraum gingen, sah ihn der Mann, der das Fremdenbuch führte, durchdringend an, aber Anthony kümmerte sich nicht weiter darum. Es war ihm durchaus nicht erwünscht, daß die Geldfrage in Gegenwart seines neuen, reichen Freundes erörtert wurde. Mr. Frenchan rief einen Wagen an, und nach kurzer Zeit hielten sie vor dem Portal des Zentralgerichtshofes.
»Sehen Sie, dort steht er«, sagte Mr. Frenchan. »Das ist aber ein unerwarteter Glückszufall.«
Ein schmächtiger, bleicher Mann, der düster dreinschaute, stand in nachdenklicher Haltung auf den Stufen der breiten, großen Treppe. Er trug einen tadellosen Zylinder und nickte Mr. Frenchan kurz zu. Man konnte sich leicht vorstellen, daß dieser Mann die ganze Welt von Verbrechern bevölkert glaubte. Er betrachtete die vielen Menschen, die durch die Türen eilten, mit dem Basiliskenblick eines zur Untätigkeit verdammten Henkers.