Der Brigant. Edgar Wallace
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»Das ist nicht notwendig«, erwiderte Mr. Frenchan überlegen. Aber trotzdem nahm er Anthony die Tasche aus der Hand, öffnete sie, zog ein Paket Banknoten heraus und drehte die beiden ersten Scheine um. Anthony sah, daß es wirklich Banknoten waren, und zwar Hundertpfundnoten. Darunter würden wahrscheinlich Fälschungen stecken, vermutete er. Aber die beiden obersten waren zweifellos echt.
»Ich tue es nicht gerne«, sagte Anthony, als ihm die Brieftasche wieder gereicht wurde. »Sie kennen mich doch nicht genügend.«
»Es wäre gut, wenn Sie den Vorschlag von Mr. Frenchan annähmen«, entgegnete der Rechtsanwalt höflich.
Anthony ließ also die kleine Ledermappe in seine Tasche gleiten und ging langsam aus dem Restaurant. Es fuhr gerade ein Mietauto vorüber.
»Halten Sie nicht!« rief er dem Chauffeur zu, als er auf den langsam fahrenden Wagen sprang. »Bringen Sie mich zum Victoria-Bahnhof!«
Während der Wagen durch die dunklen Straßen fuhr, nahm er die Tasche heraus und untersuchte den Inhalt. Die beiden Hundertpfundnoten waren tatsächlich echt.
In dem Restaurant warteten Mr. Whipplewhite und Mr. Frenchan auf Anthonys Rückkehr.
»Ein gescheiter Gimpel!« sagte Mr. Frenchan.
»Das sind sie doch alle«, erwiderte der andere verächtlich. »Nur die kann man noch leimen!«
Plötzlich fuhr er in die Höhe und sah einem Herrn von militärischem Aussehen ins Gesicht.
»Nun, warten Sie auf ein Opfer?«
»Ich weiß nicht, was Sie wollen, Sergeant. Wir warten hier auf einen Freund«, entgegnete Frenchan.
»Da werden Sie lange warten können«, meinte Sergeant Maud von Scotland Yard. »Ich habe den jungen Mann schon den ganzen Nachmittag beobachtet.«
Er lachte, daß seine Zähne zu sehen waren, und weidete sich an der Bestürzung und dem Schrecken der beiden anderen.
»Bei einer solchen Gelegenheit, lieber Herr, stehen alle früheren Polizisten im Himmel auf und singen Halleluja!«
2. Kapitel
Die Kunst sich einzuführen
Mit vornehmer Höflichkeit ausgeführte Räubereien weichen von den altherkömmlichen Gebräuchen so sehr ab, daß man durch die Neuartigkeit fasziniert ist. Gewöhnliche Verbrecher, die keine Phantasie haben, bleiben noch immer bei der alten Methode, durch Anwendung bloßer Gewalt zu ihrem Ziele zu kommen. Aber die Vertreter der feineren und vornehmeren Richtungen entwickeln bei ihren Plänen ebenso viel Geist und Witz wie große Dichter.
Es gehörte zu der Ausführung eines fein angelegten Tricks, daß sich Mr. Anthony Newton eines Tages in einer peinlichen Situation befand. Die beiden Hinterräder seines Wagens steckten in einem tiefen Graben, und er hatte sich bei dem Unfall nur mit größter Mühe auf seinem Sitz am Steuer behauptet. Die überhängenden Zweige der Hecke bedrängten ihn so sehr, daß er den Kopf auf eine Seite biegen mußte. Trotzdem bewahrte er seine Haltung, und der Blick, mit dem er die junge Dame anschaute, war milde und wenig vorwurfsvoll.
Sie saß starr und aufrecht an dem Steuer ihres schönen luxuriösen Wagens, denn sie war durch das plötzliche Ereignis so erschreckt, daß sie nicht gleich etwas sagen konnte.
»Sie sind auf der falschen Seite gefahren«, erwähnte Anthony Newton höflich.
»Es tut mir furchtbar leid«, erwiderte sie atemlos. »Aber ich habe doch gehupt. Diese elenden Straßen in Sussex sind so unübersichtlich ...«
»Bitte sagen Sie nichts mehr darüber«, entgegnete Anthony. Langsam kletterte er aus dem Wagen heraus, stand dann auf der Straße und schaute ernst auf die Trümmer seines Autos.
»Ich dachte, Sie hätten mich gesehen, als ich die Höhe herunterkam«, sagte sie entschuldigend. »Ich habe Sie sehen können und habe Ihnen doch mit meiner Hupe ein Zeichen gegeben.«
»Ich habe es nicht gehört. Aber das will eigentlich nicht viel sagen. Der Fehler liegt ganz auf meiner Seite. Aber ich fürchte, mein armer Wagen ist vollständig erledigt.«
Jetzt stieg sie auch aus und trat an seine Seite. Der Unfall tat ihr wirklich sehr leid, und sie schaute bedrückt auf die vollständig ruinierte Maschine.
»Wenn ich nicht die Geistesgegenwart gehabt hätte, sofort in den Graben auszubiegen, wäre es ein böser Zusammenstoß geworden.« Es ist ja schließlich besser, daß mein Wagen dabei kaputtging, als daß Ihnen die leichteste Verletzung zugestoßen wäre.«
Sie seufzte.
»Gott sei Dank ist es nur ein alter Wagen. Mein Vater wird Ihnen natürlich –«
Anthony konnte das nicht unwidersprochen lassen.
»Ja, der Wagen sieht jetzt zwar alt aus«, meinte er liebenswürdig, »nachdem er vollständig zusammengefahren ist. In Wirklichkeit war es ein neuer Wagen.«
»Aber das ist ganz bestimmt ein alter Wagentyp«, entgegnete sie hartnäckig. »Es ist ein Bennett-Wagen – die neueren Modelle haben eine ganz andere Haube.«
»Die Haube meines Wagens mag ja altmodisch sein«, protestierte er. »Ich bin überhaupt ein altmodischer Mann und fahre deshalb ein solches Modell. Als ich den Wagen kaufte, bestand ich darauf, daß er mit der alten Haube geliefert wurde. Sonst ist er aber vollkommen neu. Sehen Sie doch einmal auf die gute Polsterung, die Lackierung ...«
»Sie haben ihn erst ganz kürzlich streichen lassen«, unterbrach sie ihn. »Die Farbe ist ja noch ganz frisch!« Sie tippte mit dem Finger darauf und zeigte ihm einen kleinen, schwarzen Flecken. »Sehen Sie!« rief sie triumphierend. »Und ich möchte darauf wetten, daß der Wagen mit Binko gestrichen ist. In allen Fachzeitschriften können Sie annonciert finden«: ›Binko-Automobillack trocknet in zwei Stunden‹.« Wieder berührte sie den Wagen mit ihrem Finger und schaute auf einen zweiten Flecken. »Das heißt, Sie haben die Maschine vor vierzehn Tagen streichen lassen, denn es dauert einen Monat, bis die Farbe trocken ist.«
Anthony hüllte sich in diskretes Schweigen. Er fühlte instinktiv, daß das ihrer Entdeckung gegenüber die richtige Taktik war. Und um die Wahrheit zu sagen, fiel ihm im Augenblick auch keine passende Antwort ein.
»Es war aber sehr ritterlich von Ihnen, daß Sie in den Graben ausbogen«, fügte sie jetzt wärmer hinzu. »Mein Vater wird Ihnen sehr dankbar sein. Glauben Sie nicht, daß Sie die Maschine wieder in Gang bringen können?«
Aber Anthony war sicher, daß er dazu nicht mehr Imstande wäre. In Wirklichkeit hatte er den Wagen erst vor einer Woche zum Preise von dreißig Pfund gekauft. Der frühere Eigentümer hatte fünfunddreißig verlangt; daraufhin hatte Anthony ihm dreißig Pfund in die Hand gedrückt und damit war der Kauf perfekt geworden. Mit dieser Praxis hatte Anthony von jeher gute Erfahrungen gemacht.
»Soll ich Sie nach Pilbury fahren?« fragte sie.
»Habe ich Gelegenheit, von dort aus zu telefonieren?«
»Ich werde Sie mit nach Hause nehmen«, sagte Vera Mansar kurz entschlossen. »Unsere Wohnung liegt nicht weit von hier, und Sie können von dort aus telefonieren.