Die Gräfin von Ascot. Edgar Wallace

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Die Gräfin von Ascot - Edgar Wallace

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und wandte sich nach links, wo die Steintreppe lag.

      Die einzelnen Klassen kamen aus den verschiedenen Wohngebäuden zum Haupthaus, lange Reihen junger Mädchen zu zweien und zweien, in dunkelblauen Röcken und weißen Blusen. Dazu trugen sie Krawatten in den Farben der Schule.

      Der Portier eilte auf Mrs. Carawood zu, als er sie erkannte.

      »Guten Morgen! Haben Sie Mylady schon gesehen?«

      »Nein, Mr. Bell«, sagte die untersetzte Frau freundlich. »Ich kam gestern spät mit dem Abendzug. Geht es ihr gut?«

      Ihre Stimme hatte einen gewissen Anklang an den Londoner Jargon. Dem Portier gefiel sie, wenn er das Äußere und die Manieren dieser Frau auch nicht gerade sehr fein fand. Jedenfalls war sie anders als die Eltern der jungen Damen, die hier erzogen wurden, und er fühlte sich mit ihr eigentlich gesellschaftlich auf einer Stufe.

      »Es ging ihr sehr gut, als ich sie gestern sah. Wollen Sie sie heute nach Hause mitnehmen?«

      Mrs. Carawood schüttelte den Kopf.

      »Nein«, erwiderte sie kurz und ging dann weiter.

      Am oberen Ende der Treppe wurde sie von einer der Lehrerinnen empfangen, die als Zeichen ihrer Würde eine Art Medaillon um den Hals trug. Diese geleitete sie durch eine große Tür in einen Saal, wo sie ihr einen Platz anwies. Sie befand sich oben auf der Galerie, die die große Halle auf drei Seiten umgab. Unten war auf der einen Seite ein Podium aufgeschlagen und mit schweren, blausamtenen Vorhängen drapiert. Auf dem Tisch standen ein silbernes Lesepult und eine Vase mit prachtvollen Blumen. Im Hintergrund präludierte eine Orgel. Die Mädchen der einzelnen Klassen nahmen ihre Plätze ein, bis der große Raum und die Galerien gefüllt waren.

      Zuletzt erschienen die Schülerinnen des obersten Jahrgangs, die besondere Sitze hatten. Eins der Mädchen sprach mit einer älteren Dame und entfernte sich dann. Mrs. Carawoods Augen leuchteten auf, als sie bald darauf die schlanke Gestalt auf sich zukommen sah.

      Es war Marie. Ihr Gesicht hatte sich vor Freude gerötet, und sie kam eilig auf Mrs. Carawood zu. Sie reichte der alten Frau die Hand und drückte einen Augenblick die Wange an die ihre.

      Nun erschienen unten die Lehrerinnen. Eine trug das große Gebetbuch. Eine große, majestätisch aussehende Dame folgte ihr. Sie hatte ernste, würdevolle Züge, schaute aber etwas müde auf die Versammlung.

      John Morlay saß auf der gegenüberliegenden Seite der Galerie und beobachtete Mrs. Carawood und Marie Fioli. Er war einer der ersten gewesen, die die Galerie des großen Saals betreten hatten, und wartete nun schon über eine Viertelstunde, während die vielen jungen Mädchen nach und nach den Raum füllten.

      Jetzt fiel ihm ein, daß er Mrs. Carawood schon in Ascot gesehen hatte, als sie aus dem Auto stieg. Sie mußte etwa fünfzig Jahre alt sein, hatte eine dunkle Gesichtsfarbe und angenehme, freundliche Züge. Sie erinnerte John Morlay in gewisser Weise an eine Zigeunerin, denn sie hatte schwarze Haare, die noch nicht im mindesten ergraut waren. Und auf diese Entfernung hin konnte er auch nicht die kleinen Falten in ihrem Gesicht sehen, so daß es glatter und jugendlicher erschien, als es in Wirklichkeit war.

      Aufs höchste erstaunt und interessiert betrachtete er Marie Fioli, als sie hereinkam. Er konnte sich zwar noch auf das schlanke junge Mädchen besinnen, das er vor einigen Monaten kennengelernt hatte, aber sie hatte sich inzwischen sehr verändert. Eine Frau konnte man sie noch nicht nennen, aber sie war unter keinen Umständen mehr ein Kind. John war geradezu begeistert von ihrem Aussehen. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie jungenhaft schlank, etwas ungelenk und befangen gewesen. Aber nun bewegte sie sich harmonisch und natürlich, anmutig und formvollendet.

      Es wurde eine kurze Andacht abgehalten, aber Morlay hörte die Worte der Direktorin nicht; er konnte den Blick nicht von Maries Gesicht abwenden. Und je länger er zu ihr hinüberblickte, um so verächtlicher und gemeiner erschien ihm die kaltblütige Art, mit der sich Julian Lester in den Besitz ihres Vermögens setzen wollte. Der Auftrag, den ihm der junge Mann erteilt hatte, war häßlich. John Morlay wollte nichts damit zu tun haben.

      Als die Andacht vorüber war, traten Mrs. Carawood und Marie Fioli aus der Galerie in den Gang. Die alte Frau war immer in einer gewissen Hochstimmung, wenn sie bei der jungen Gräfin weilen durfte. Sie bemerkte den Fremden, der in ihrer Nähe stand und sie beobachtete. Es war ein großgewachsener, schlanker, hübscher Mann, der sie freundlich anlächelte.

      »Ich habe doch die Ehre, Gräfin Fioli vor mir zu sehen?« fragte er höflich und hielt den Hut in der Hand.

      Marie sah ihn einen Augenblick überrascht an, dann lachte sie leise.

      »Ach, ich besinne mich auf Sie – Sie sind doch Mr. Morlay?«

      Er war erstaunt, daß sie sich noch an ihn erinnerte.

      »Mr. Lester hat Sie mir doch bei Rumpelmeyer vorgestellt.«

      Allmählich glättete sich die Stirn der älteren Frau wieder, und John glaubte zu bemerken, daß sie erleichtert aufatmete. Sie gingen zusammen bis zum äußeren Schultor, wo das junge Mädchen unversehens Mrs. Carawood umarmte und küßte. Dann nickte sie John noch einmal lächelnd zu und verschwand im Haus.

      Einige Sekunden schwiegen die beiden anderen. Mrs. Carawood schaute noch auf die Tür, in der Marie verschwunden war.

      John staunte, daß diese Frau die junge Gräfin so sehr verehrte. Schon dieses kurze Zusammensein hatte sie in freudige Erregung gebracht.

      »Sie haben Ihre kleine Freundin sicher sehr gern?« sagte er freundlich.

      Sie schrak zusammen und wandte sich nach ihm um.

      »Ja, ich habe sie gern«, erwiderte sie. »Es ist, als ob sie mein eigenes Kind wäre.«

      »Ich habe gehört, daß sie die Schule bald verlassen wird?«

      Sie nickte.

      »Nächste Woche. Sie wird jetzt ihren eigenen Haushalt führen.«

      Mrs. Carawood erklärte das mit einem gewissen Stolz.

      »Ist sie nicht noch etwas sehr jung, um schon ihr eigenes Haus in Ascot zu halten? Oder geht sie vielleicht vorher noch nach Italien?«

      Ihre Blicke trafen sich, und er sah, daß sie argwöhnisch wurde.

      »Nein«, erklärte sie kurz. Aber als ob sie ihren scharfen Ton bedauerte, fügte sie gleich hinzu: »Ich weiß nicht, was ich mit ihr anfangen soll. Sie ist wirklich noch sehr jung.«

      »Zu jung, um zu heiraten«, entgegnete Morlay.

      Er hätte vor allem gern erfahren, ob sie die Annäherungsversuche dieses eleganten Taugenichts Lester begünstigte, und seine unausgesprochene Frage wurde beantwortet, als er in ihr düsteres Gesicht sah.

      »Ja, noch viel zu jung«, wiederholte sie mit Nachdruck. »Außerdem hat Marie auch nicht den Wunsch, von mir fortzugehen.«

      Er konnte nicht gut noch länger bleiben, zog höflich den Hut und entfernte sich. Sie sah ihm nach, bis er um die nächste Ecke bog, und wandte sich dann an den Portier.

      »Wer war eigentlich der Herr, Mr. Bell?«

      »Meinen Sie den Mann, mit dem Sie eben sprachen?«

      Sie

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