Till Eulenspiegel. Hermann Bote
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alle unsere Nachbarn sagen, du seist ein Schalk?« Eulenspiegel sagte: »Lieber Vater, ich tue
doch niemandem etwas, das will ich dir eindeutig beweisen. Geh hin, setz dich auf dein
eigenes Pferd, und ich will mich hinter dich setzen und stillschweigend mit dir durch die
Gassen reiten. Dennoch werden sie über mich lügen und sagen, was sie wollen. Gib darauf
acht!« Das tat der Vater und nahm ihn hinter sich aufs Pferd. Da hob sich Eulenspiegel hinten
auf mit seinem Loch, ließ die Leute in den Arsch sehen und setzte sich dann wieder. Die
Nachbarn und Nachbarinnen zeigten auf ihn und sprachen: »Schäme dich! Wahrlich, ein
Schalk ist das!« Da sagte Eulenspiegel: »Hör, Vater, du siehest wohl, daß ich stillschweige
und niemandem etwas tue. Dennoch sagen die Leute, ich sei ein Schalk.«
Nun tat der Vater dies: er setzte Eulenspiegel, seinen lieben Sohn, vor sich auf das Pferd.
Eulenspiegel saß ganz still, aber er sperrte das Maul auf, grinste die Bauern an und streckte
ihnen die Zunge heraus. Die Leute liefen hinzu und sprachen: »Seht an, welch ein junger
Schalk ist das!« Da sagte der Vater: »Du bist freilich in einer unglückseligen Stunde geboren.
Du sitzest still und schweigst und tust niemandem etwas, und doch sagen die Leute, du seist
ein Schalk.«
Die 3. Historie sagt, wie Claus Eulenspiegel von Kneitlingen hinweg zog an den Fluß Saale,
woher Tills Mutter gebürtig war, dort starb, und wie sein Sohn auf dem Seil gehen lernte.
Danach zog sein Vater mit ihm und seiner Familie von dannen in das magdeburgische Land an
den Fluß Saale. Von dorther stammte Eulenspiegels Mutter. Und bald darauf starb der alte
Claus Eulenspiegel. Die Mutter blieb bei dem Sohn in ihrem Dorf, und sie verzehrten, was sie
hatten. So wurde die Mutter arm. Eulenspiegel wollte kein Handwerk lernen und war doch
schon etwa 16 Jahre alt. Aber er tummelte sich und lernte mancherlei Gauklerei.
Eulenspiegels Mutter wohnte in einem Haus, dessen Hof an die Saale ging. Und Eulenspiegel
begann, auf dem Seile zu gehen. Das trieb er zuerst auf dem Dachboden des Hauses, weil er es
vor der Mutter nicht tun wollte. Denn sie konnte seine Torheit nicht leiden, daß er sich so auf
dem Seil tummelte, und drohte, ihn deshalb zu schlagen. Einmal erwischte sie ihn auf dem
Seil, nahm einen großen Knüppel und wollte ihn herunterschlagen. Da entrann er ihr zu einem
Fenster hinaus, lief oben auf das Dach und setzte sich dort hin, so daß sie ihn nicht erreichen
konnte.
Das währte so lange mit ihm, bis er ein wenig älter wurde. Dann fing er wieder an, auf dem
Seil zu gehen, und zog das Seil oben von seiner Mutter Hinterhaus über die Saale in ein Haus
gegenüber. Viele junge und alte Leute bemerkten das Seil, darauf Eulenspiegel laufen wollte.
Sie kamen herbei und wollten ihn darauf gehen sehen; und sie waren neugierig, was er doch
für ein seltsames Spiel beginnen oder was er Wunderliches treiben wollte.
Als nun Eulenspiegel auf dem Seil im besten Tummeln war, bemerkte es seine Mutter; und sie
konnte ihm nicht viel darum tun. Doch schlich sie heimlich hinten in das Haus auf den Boden,
wo das Seil angebunden war, und schnitt es entzwei. Da fiel ihr Sohn Eulenspiegel unter
großem Spott ins Wasser und badete tüchtig in der Saale. Die Bauern lachten sehr, und die
Jungen riefen ihm laut nach: »Hehe, bade nur wohl aus! Du hast lange nach dem Bade
verlangt!«
Das verdroß Eulenspiegel sehr. Das Bad machte ihm nichts aus, wohl aber das Spotten und
Rufen der Buben. Er überlegte, wie er ihnen das wieder vergelten und heimzahlen wollte. Und
also badete er aus, so gut er es vermochte.
Die 4. Historie sagt, wie Eulenspiegel den Jungen etwa zweihundert Paar Schuhe von den
Füßen abschwatzte und machte, daß sich alt und jung darum in die Haare gerieten.
Kurze Zeit danach wollte Eulenspiegel seinen Schaden und den Spott wegen des Bades
rächen, zog das Seil aus einem anderen Haus über die Saale und zeigte den Leuten an, daß er
abermals auf dem Seil gehen wolle. Das Volk sammelte sich bald dazu, jung und alt. Und
Eulenspiegel sprach zu den Jungen: jeder solle ihm seinen linken Schuh geben, er wolle ihnen
mit den Schuhen ein hübsches Stück auf dem Seil zeigen. Die Jungen glaubten das, und alle
meinten, es sei wahr, auch die Alten. Und die Jungen huben an, die Schuhe auszuziehen, und
gaben sie Eulenspiegel. Es waren der Jungen beinahe zwei Schock, das sind zweimal sechzig.
Die Hälfte der Schuhe wurde Eulenspiegel gegeben. Da zog er sie auf eine Schnur und stieg
damit auf das Seil. Als er nun auf dem Seil war und hatte die Schuhe mit oben, sahen die
Alten und die Jungen zu ihm hinauf und meinten, er wolle ein lustig Ding damit tun. Aber ein
Teil der Jungen war betrübt, denn sie hätten ihre Schuhe gern wiedergehabt.
Als nun Eulenspiegel auf dem Seil saß und seine Kunststücke machte, rief er auf einmal:
»jeder gebe acht und suche seinen Schuh wieder!« Und damit schnitt er die Schnur entzwei
und warf die Schuhe alle von dem Seil auf die Erde, so daß ein Schuh über den anderen
purzelte. Da stürzten die Jungen und Alten herzu, einer erwischte hier einen Schuh, der andere
dort. Der eine sprach: »Dieser Schuh ist mein!« Der andere sprach: »Du lügst, er ist mein!«
Und sie fielen sich in die Haare und begannen sich zu prügeln. Der eine lag unten, der andere
oben; der eine schrie, der andere weinte, der dritte lachte. Das währte so lange, bis auch die
Alten Backenstreiche