Wie konnte Gott Mensch werden?. Lukas Ohly

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Wie konnte Gott Mensch werden? - Lukas Ohly

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Menschwerdung ihm (dem Eingeborenen, L.O.) unbestritten die Möglichkeit gibt, dem Fleische nach zu leiden, der Gottheit nach aber nicht zu leiden“ (187). Reformulieren wir nun die Eigenschaft der Gottheit so, dass sie leidensunfähig oder leidensfähig ist, so kann dasselbe auch vom eingeborenen Sohn ausgesagt werden. Denn aufgrund des Gesetzes der Addition, das bereits oben zur Anwendung kam, gilt für den leidensfähigen Christus, dass er leidensfähig oder leidensunfähig ist. Nun hatte ich soeben festgestellt, dass nicht alles, was von der unteren Ebene ausgesagt wird, auch von der oberen Ebene ausgesagt werden kann. Nachdem aber der Eingeborene Mensch und damit leidensfähig geworden ist, trifft auf ihn zu, was auf die Gottheit zutreffen kann, aber nicht muss. In umgekehrter Richtung lässt sich aber streng deduzieren: Auf Christus trifft zu, was auf die Gottheit zutrifft, nämlich dass sie leidensunfähig oder leidensfähig ist.

      Mit diesem Vorschlag schließen sich aber auch nicht mehr die göttliche und die menschliche Natur aus. Sie sind zwar verschieden, aber dennoch kann es Individuen geben, auf die beide Naturen zutreffen. „Mia Physis“ ist zwar ein Widerspruch, nicht aber „Mia Hypostasis“. Die Natur des Sohnes bildet daher die Brücke für zwei Naturen, für die nicht gilt, dass das, was von der einen Natur ausgesagt werden kann, auch von der anderen Natur ausgesagt werden kann. Denn wenn von der menschlichen Natur ausgesagt werden kann, dass sie leidensfähig ist, dann kann dasselbe nicht von der göttlichen Natur ausgesagt werden kann, nur weil sie leidensfähig oder leidensunfähig ist. Allenfalls kann nun alles, was von der göttlichen Natur ausgesagt wird, nun auch von der menschlichen Natur ausgesagt werden. Wenn die menschliche Natur leidensfähig ist, so ist ja auch wahr, dass sie leidensfähig oder leidensunfähig ist. Christus exemplifiziert damit, dass die menschliche Natur eine Unterart der göttlichen Natur ist und Christus ein Individuum der menschlichen Unterart. Jetzt kann die menschliche Natur als Art des Sohnes Gottes fungieren, weil die Disjunktionen in der Gottheit die menschliche Natur in ihrer Art ermöglichen. Dadurch entstehen auch nicht mehr die Widersprüche, dass Christus wandelbar und unwandelbar ist, weil zur Gottheit nicht einfach nur Eigenschaften gehören, sondern disjunktive Eigenschaften.

      Es ist zuzugestehen, dass dies eine Weiterführung ist, die Cyrill so nicht vertreten hat, und zwar vermutlich aus theologischen Gründen nicht. Die Differenz zwischen göttlicher und menschlicher Natur hat er als Gegensatz zum Stehen gebracht. Allerdings habe ich seinen heuristischen Ansatz verwendet, das christologische Problem dadurch zu lösen, dass man die Bezüge auf verschiedene ontologische Ebenen verteilt: Die Natur des Sohnes ist etwas anderes als die Natur der Gottheit, und auf sie treffen auch andere Eigenschaften zu. Theologisch ist die Position unhintergehbar, dass zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur ein Unterschied besteht. Aber erst wenn man aus dieser Differenz einen Gegensatz konstruiert, entstehen die Aporien des christologische Problems. Eine Alternative besteht darin, beide Naturen kategorial zu unterscheiden, indem man sie auf zwei unterschiedliche ontologische Ebenen bringt. Genau das war der Ansatz Cyrills, der hier konsequent zu Ende geführt worden ist. Dabei habe ich auch Eigenschaften auf die trinitarischen Personen neu angeordnet, die bisher bei Cyrill der göttlichen Natur zugeordnet waren. Solche Neuanordnungen zu vollziehen und damit kategoriale Neustrukturierungen vorzunehmen, war gerade die Innovation in Cyrills Ansatz. Er hat nur nicht seinen Ansatz konsequent zu Ende verfolgt und behält dadurch die Aporien, dass von Christus alles auszusagen ist, was von seinen beiden Naturen gilt, obwohl sich beide Naturen gegenseitig ausschließen.

      Akzeptiert man diesen Neuansatz, so wird die menschliche Natur eine Unterart der göttlichen Natur. Beide unterscheiden sich dadurch, dass sie auf verschiedenen ontologischen Ebenen stehen, so dass nicht alles, was von der unteren Ebene ausgesagt werden kann, auch von der oberen Ebene ausgesagt werden kann. Manche Aussagen auf der unteren Ebene führen sogar in Widersprüche, wenn sie auf die obere Ebene transformiert werden. Dies habe ich bereits mit dem obigen Beispielsatz gezeigt: „Männer können keine Kinder gebären, Frauen aber schon.“ Man kann zwar den Satz so transformieren: „Es gibt Menschen, die keine Kinder gebären können, und es gibt Menschen, die Kinder gebären können.“ Aber in diesem Fall redet man nicht von der Art, sondern von Exemplaren dieser Art. Es ist nicht einmal so, dass alles, was von der unteren Ebene ausgesagt wird, von der oberen Ebene wenigstens als Möglichkeit ausgesagt werden kann. Dies wäre etwa der Fall, wenn man artinterne Vergleiche heranzieht. Aus dem Satz: „Uschi ist kleiner als Günter“ lässt sich nicht ableiten: „Der Mensch kann kleiner sein als der Mensch.“ Allenfalls lässt sich die Disjunktion aussagen: „Der Mensch ist kleiner als der Mensch oder nicht.“ In diesem Fall verändert man aber die Eigenschaft, die wiederum auf Individuen anwendbar ist, aber etwas anderes aussagt, nämlich: „Uschi ist kleiner als sie selbst oder nicht.“ Es bleibt also dabei: Die Eigenschaften von der unteren ontologischen Ebene ist nicht auf die obere Ebene übertragbar, sondern kann dabei sogar zu Widersprüchen führen.

      Diese Schlussfolgerung ist wichtig aus theologischen Gründen: Denn auch wenn nach der bisherigen Skizze die menschliche Natur eine Unterart der göttlichen Natur ist, folgt nicht, dass Gott möglicherweise ein Sünder ist, wenn der Mensch zum Sünder wird. Dass Gott sündigt, wäre ein logischer Widerspruch, der Gott von sich selbst trennen würde, während die Sünde beim Menschen ein faktischer Widerspruch ist, der den Menschen von Gott trennt. Die kategoriale Differenz zwischen Gott und Mensch muss also keinen ontologischen Gegensatz zwischen beiden Naturen voraussetzen, um dennoch zu behaupten, dass der Mensch Sünder ist, Gott aber nicht einmal der Möglichkeit nach Sünder werden kann.

      Meine hier vorgeschlagene Lösung war allerdings nur möglich, weil sie ein Grundproblem zugelassen hat, das bereits in Cyrills Ansatz liegt und theologisch fragwürdig ist. Wir hatten oben festgestellt, dass sich bei Cyrill die Gottheit zu Gott dem Sohn verhält wie die Art zum Individuum. Folglich gehört zur Gottheit die Eigenschaft, Vater oder Sohn oder Geist zu sein. Dies ist aber eine deutliche Abweichung vom trinitarischen Bekenntnis, dass Gott Vater und Sohn und Geist ist. Anstelle einer trinitarischen Einheit der Gottheit legt Cyrill somit einen Modalismus zugrunde, wonach Gott immer nur in einer der drei Personen erscheint, aber nie zusammen. Diese Konsequenz ist unvermeidlich, sobald Gottheit und die trinitarischen Hypostasen unterschieden werden wie Art und Individuen. Der Ansatzpunkt Cyrills ist die Unterscheidung der göttlichen Natur von der Natur des Sohnes Gottes: „Er war vielmehr als Gott gleichewig mit dem zeugenden Vater und aus ihm der Natur nach in unaussprechlicher Weise geboren“ (116): Zur Natur des Sohnes gehört das Geborensein, während zur Natur des Vaters das Zeugen des Sohnes gehört (B 226). Die Naturen Gottes und die göttliche Natur (Gottheit) werden also auf unterschiedlichen ontologischen Ebenen verhandelt. Hätte Cyrill dagegen die Gottheit bestimmt als „Vater und Sohn und Geist“, so hätte die Natur des Sohnes nicht als Exemplar einer Art aufgefasst werden können. Denn vom Sohn lässt sich nicht aussagen, dass er „Vater und Sohn und Geist“ ist. Es trifft also dann nicht alles auf den Sohn zu, was auf die göttliche Natur zutrifft. Der Modalismus ist daher eine unausweichliche Konsequenz, wenn man Cyrills Ansatz befolgt.

      Mit dem Modalismus allerdings entstehen erhebliche theologische Probleme: Entweder sind die göttlichen Hypostasen nur Erscheinungen der Gottheit. In diesem Fall haben sie keine eigene Natur, weil sie nichts Reales sind, sondern nur Erscheinungen.[31] Oder aber es gibt drei Götter, zwar nie gleichzeitig, aber abwechselnd nacheinander. Das widerspricht dem Bekenntnis von Nicäa-Konstantinopel, wonach die göttlichen Personen wesensgleich der eine Gott sind. Cyrills Ansatz ist aus diesen Gründen von vornherein theologisch aporetisch. Seine philosophische Heuristik fasziniert zwar und scheint zunächst zu Klärungen zu führen. Konsequent lassen sich diese Klärungen aber auch nur mit einem erheblichen Aufwand herbeiführen, bei denen auch die Eigenschaften der göttlichen Natur auf einzelne göttliche Personen verlagert werden müssen. Der theologische Umbau, den Cyrills Ansatz erzwingt, scheint mir daher aufwändiger und theologisch unstimmiger zu sein als der, den man im Anschluss an Nestorius durchführen kann.

      Das Chalcedonense – Das personale Bestimmtwerden durch Anderes

      Theologische Realenzyklopädie Bd.7; Berlin, New York 1981, 671f.

      Das

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