Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig (Roman). H. G. Wells
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»Das Schöne sollen wir wirklich suchen«, warf Sir Bussy ein.
»Und es festhalten. Ihm eine dauernde Form geben.«
Nach einer Pause des Nachdenkens hob Sir Bussy aufs neue zu sprechen an. Und zwar sprach er mit einer Miene, als ob er einen lange unterdrückten Gedanken in Worte zu kleiden versuche. »Wollen uns die Maler nicht am Ende etwas weismachen – uns übertölpeln? Ich dachte mir – neulich abends – während Sie sprachen … es kam mir nur so in den Sinn …«
Mr. Parham betrachtete seinen Gefährten von der Seite. »Nein«, sagte er langsam und nachdrücklich, »ich glaube nicht, daß sie uns etwas weismachen.« Der leise Beigeschmack von Ironie, den er dem letzten Worte gab, war an Sir Bussy verloren.
»Davon möchte ich mich eben überzeugen.«
Es war der seltsame Anfang eines seltsamen Nachmittages – eines Nachmittages mit einem Barbaren. Der aber unbestreitbar »einer unserer Eroberer war«, wie Sebright Smith gesagt hatte. Kein Barbar, den man einfach übersehen konnte. Er kämpfte für sein Barbarentum gleich einem Bullenbeißer. Mr. Parham war überrascht worden. Indes der Nachmittag fortschritt, wünschte er immer sehnlicher, daß er sich auf die so dringlich an ihn gestellte Frage hätte vorbereiten können. Dann hätte er bestimmte Bilder herausgreifen und einen wohlgeordneten Vortrag halten können. So aber mußte er aufs Geratewohl zu Werke gehen. Anstatt in regelrechtem Kampf für die Kunst und ihre erhabenen Wunder einzutreten, sah er sich in der Lage eines Heerführers, der zu den Waffen gerufen wird, während der Feind schon ins Lager gedrungen ist. Es war eine zerstückte Diskussion.
Sir Bussys Haltung war, soweit Mr. Parham aus seiner abgerissenen und ungebildeten Ausdrucksweise schließen konnte, die eines wißbegierigen Zweiflers. Der Mann war ungebildet – über alle Maßen ungebildet – doch fehlte es ihm nicht an natürlicher Klugheit. Die Ehrerbietung, die alle Menschen von Verstand und Geschmack den großen Meistern auf dem Gebiete der Malerei zollen, hatte offenbar tiefen Eindruck auf ihn gemacht, und er konnte nicht begreifen, warum man sie so überaus hoch pries. Er wollte eine Erklärung dafür. Es war offenkundig eine starke Wißbegier in ihm lebendig. Heute verlangte er, über Michelangelo und Tizian belehrt zu werden. Morgen mochte Beethoven oder Shakespeare an die Reihe kommen. Mit dem seit langem feststehenden Ansehen ließ er sich nicht abspeisen. Es gab für ihn kein unerschütterlich feststehendes Ansehen. Die Anerkennung, die Generationen jenen Formen der Größe gezollt hatten, mußte man völlig aus dem Spiele lassen.
Er schritt die Stufen zum Eingang der National Gallery so rasch und sicher empor, daß Mr. Parham der Gedanke kam, er müsse schon dagewesen sein. Und ohne zu zögern, begab er sich zu den Italienern.
»Also, hier haben wir Bilder«, sagte er, indem er raschen Schrittes von einem Saal zum andern weitereilte und erst im größten halt machte. »Sie sind recht nett und interessant. Die meisten wenigstens. Sehr viele haben strahlende Farben. Sie könnten vielleicht noch strahlender sein. Man merkt, welche Freude es den Kerlen bereitet haben muß, die Bilder zu machen. Das gebe ich alles gerne zu. Ich hätte nicht das Geringste dagegen, wenn etliche von den Dingern im Carfex House hingen. Ich hätte sogar Lust, selber so ein bißchen herumzupinseln. Wenn aber behauptet wird, daß noch etwas ganz anderes in diesen Bildern steckt, und wenn man so ehrfurchtsvoll von ihnen spricht, als ob die Maler Gott weiß was gewußt und es uns verkündet hätten, so verstehe ich das nicht. Nein, wahrhaftig, ich verstehe es nicht.«
»Hier aber zum Beispiel«, sagte Mr. Parham, »dieser Francesca – göttlich ist doch gewiß nicht zu viel gesagt für solche Süße und Zartheit.«
»Süße und Zartheit! Göttlich! Nehmen Sie einen Frühlingstag in England, nehmen Sie den Flaum auf der Brust eines Fasans oder einen Sonnenuntergang oder das Morgenlicht, das ein Glas mit Blumen auf dem Fensterbrett bescheint. Dinge dieser Art sind ganz gewiß unendlich viel süßer, zarter, göttlicher und so weiter als all dies – dies gepfefferte Machwerk hier.«
»Gepfeffert!« Einen Augenblick lang war Mr. Parham überwältigt.
»Es ist eine gepfefferte Schönheit«, sagte Sir Bussy herausfordernd. »Eine gepfefferte Lieblichkeit, wenn Sie wollen … Und recht viele unter den Dingern sind gar nicht so sehr schön und nicht einmal besonders gut, was das Gepfeffertsein anbelangt.«
Sir Bussy benutzte die Fassungslosigkeit Mr. Parhams, um ihm weiter zuzusetzen. »All diese Madonnen. Wollten die Kerle sie malen oder wurden sie dazu gezwungen? Wer hat je Geschmack an einer Frau gefunden, die so patzig auf einem Thron sitzt?«
»Gepfeffert!« Mr. Parham blieb bei der wesentlichen Frage. »Nein!«
Sir Bussy wurde plötzlich erwartungsvoll, ließ die Mundwinkel sinken und schob den Kopf seitwärts an Mr. Parham heran.
Mr. Parham schüttelte die erhobene Hand und fand das Wort, das er suchte. »Wunderbar Schönes ist da ausgewählt worden.«
Es gelang ihm noch besser. »Wunderbar Schönes ist auserlesen und festgehalten worden. Diese Menschen gingen auf der Welt umher und sahen – sahen mit all ihrer Kraft. Sahen aus einer außerordentlichen Begabung heraus. Sie waren zum Sehen geboren. Und sie versuchten – meiner Ansicht nach mit Erfolg – etwas von ihren stärksten Eindrücken festzuhalten. Uns wiederzugeben. Die Madonna war oft – war in der Regel – nichts weiter als ein Vorwand …«
Sir Bussys Mund wurde wieder normaler, und er wandte sich mit einem Ausdruck größeren Respekts aufs neue den Bildern zu. Er wollte sie von jenem Gesichtspunkt aus auf sich wirken lassen. Doch dauerte seine prüfende Betrachtung nicht lange.
»Dies da«, sagte er, indem er zu dem Gegenstand ihrer ersten Diskussion zurückkehrte.
»Francescas Taufe Christi«, hauchte Mr. Parham.
»Meiner Meinung nach ist da keine Auswahl getroffen: es ist vielmehr ein Vielerlei. Alles mögliche, was er eben gerne malen wollte. Der Hintergrund macht Spaß, aber nur, weil er einen an Dinge erinnert, die man schon gesehen hat. Nein, ich werde mich nicht anbetend davor niederknien. Und die meisten anderen …«
Er schien die gesamten Schätze der National Gallery zu meinen.
»… sind weiter nichts als Malerei.«
»Das muß ich bestreiten«, sagte Mr. Parham. »Das muß ich bestreiten.«
Er führte die feine Farbgebung Filippo Lippis ins Treffen, die Erhabenheit, Anmut und klassische Lieblichkeit Botticellis; er sprach von Reichtum des Ausdrucks, anatomischem Wissen und Virtuosität; schließlich gipfelte seine Rede in einem Hinweis auf die unendlich feierliche Schönheit der Madonna in der Felsengrotte von Leonardo. »Sehen Sie den geheimnisvollen, den heiteren und doch geheimnisvollen Ausdruck in dem beschatteten Gesichte jener Frau; die süße Weisheit in der selbstzufriedenen Miene des Engels«, sagte Mr. Parham. »Malerei! Es ist eine Enthüllung.«
»Nu«, sagte Sir Bussy, den Kopf zur Seite gelegt.
Gleich einem widerspenstigen Kinde ließ er sich von Bild zu Bild führen. »Ich sage ja nicht, daß die Sachen schlecht sind«, wiederholte er; »ich gebe zu, daß sie mich interessieren; aber ich sehe keinen Anlaß, sie so übermäßig zu loben. Man wird an alles mögliche erinnert, aber doch nur an Dinge, die man eben in sich hat. Alles in allem sind es gewiß kluge und tüchtige