Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig (Roman). H. G. Wells
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Читать онлайн книгу Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig (Roman) - H. G. Wells страница 9
Er stand ganz allein in der Nähe der gestikulierenden Negerkapelle und schien sein ganzes Interesse auf die unerwarteten Übergänge in ihrer Musik zu konzentrieren. Die Hände tief in den Hosentaschen, wiegte er verträumt den Kopf. Mr. Parham und seine Partnerin tanzten zweimal lächelnd an ihm vorüber, ehe er ihrer gewahr wurde.
»Nu!« sagte Sir Bussy, indem er endlich aufblickte. »Es hat keine Stunde gedauert!«
»Ist er das?« fragte sie triumphierend.
»Das ist er«, entgegnete Sir Bussy.
»Sie haben verloren.«
»Nein. Aber Sie haben gewonnen. Ich bin ganz zufrieden. Und ich gratuliere Ihnen, Parham. Ich wußte es ja, daß Sie einen vortrefflichen Tänzer abgeben würden. Wenn man Sie nur an die richtige Lehrerin weist. Man lernt niemals aus im Leben. Wie gefällt sie Ihnen? Sie stellt den alten Velasquez in den Schatten, was?«
»Auf diese Beleidigung hin gehe ich in den Speisesaal und esse Sie arm«, erwiderte Miss Grenze. Zum zweiten Male hatte sie den Sinn einer Bemerkung nicht erfaßt. Sie ließ sich von ihrem Partner wieder in den Speisesaal führen, ohne den Tanz beendet zu haben. Er hätte gern sein Leben lang mit ihr weiter getanzt, doch allem Anscheine nach hatte sie nunmehr ihren Zweck erreicht.
Sie wurde erstaunlich böse. »Man hat Bussy gegenüber immer das Gefühl, als ob man nicht gegen ihn aufkäme«, sagte sie, »auch wenn man eine Wette gewonnen hat. Aber ich will ihn nächstens einmal klein kriegen – koste es, was es wolle. Er bringt einen auf Gedanken …«
»Auf was für Gedanken?« fragte Mr. Parham.
»Habe ich Ihnen denn erzählt …« überlegte sie, und ein sonderbarer Ausdruck zeigte sich plötzlich in ihren Augen. Sie betrachtete Mr. Parham prüfend.
»Sie können mir alles sagen«, meinte er.
»Ach, das will viel heißen. Nein – vorläufig sage ich Ihnen nichts. Wahrscheinlich niemals.«
»Ich kann warten und hoffen«, sagte Mr. Parham mit dem Gefühl, daß das alles oder nichts bedeuten konnte.
Im Speisesaal verlor Mr. Parham seine Gefährtin. Er verlor sie, während er über ihre sonderbaren Äußerungen nachdachte. Was ihr dabei im Sinn gelegen hatte, sollte er erst beträchtlich später erfahren. Es tauchte ganz plötzlich eine Schar junger Mädchen auf, die ihr glichen, aber nicht so wunderhübsch waren; sie umringten sie, drängten sich liebkosend an sie und riefen: »Liebe Gaby! Süße Gaby! Allerschönste Gaby!« Eine Art Berufsschwesternschaft von Tänzerinnen oder jungen Schauspielerinnen. Er wurde von ihr getrennt und wäre fast wieder mit Miss Pomander Poole zusammengeraten, ehe er die Gefahr merkte.
Eine Zeitlang blieb er einsam. Er versuchte, aufs neue in die Nähe seiner allzu beliebten Gaby zu gelangen, jedoch vergebens. Ein widriges Geschick trieb ihn immer wieder zu Pomander Poole hin und sie zu ihm. Ein unbewußtes dramatisches Bedürfnis in ihr, eine Neigung, in Gebärden zu denken, machte es ihm nur allzu klar, daß sie nicht die geringste Lust verspürte, sich nochmals in ein Gespräch mit ihm einzulassen. Es sah aus, als ob sie ihre Gebärden mit Worten begleitete, doch war er glücklicherweise nie so nahe, daß er hätte verstehen können, was sie sagte. Dann stieß er plötzlich auf Lord Tremayne, der ihm in herzlichstem Tone zurief: »Sie haben mir noch immer nicht gesagt, wie Sie über Westernhanger denken.«
Mr. Parhams augenblickliche Spannung löste sich, als der junge Mann hinzufügte: »Aber jetzt ist es ja zu spät, also wollen wir uns nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen. Ich finde es eine Schande … Wahrscheinlich kennen Sie die wenigsten Leute hier in dieser hohlen Welt des bunten Flitters, wie? Wollen Sie irgend jemandem vorgestellt werden? Ich kenne sie allesamt.«
Er machte Mr. Parham mit zwei Gräfinnen und seiner Schwägerin, Lady Judy Percival bekannt, die sich zufällig in nächster Nähe befanden; daraufhin verschwand er. Die Vorstellung hatte nicht viel Zweck, denn die drei Damen sprachen vorwiegend nur untereinander, während Mr. Parham nachdenklich die Menge betrachtete. Die gehobene Stimmung ob seines Erfolges bei Gabrielle Greuze war einigermaßen abgeebbt. Vielleicht, überlegte er, würde er sie später von ihren Freundinnen aufs neue absondern und das Gespräch mit ihr wieder aufnehmen können. In einiger Entfernung bemerkte er Sir Titus, dessen hohe Stirn ihm ein wenig schief über dem einen Auge zu sitzen schien, während sein Arm deutlich sichtbar die Taille einer schlanken, dunkelhaarigen Dame in Grün umfaßt hielt. Der Anblick brachte Mr. Parham seine eigene Würde in Erinnerung. Er lehnte sich gegen eine Mauer und verhielt sich still beobachtend.
Seltsam, zu denken, daß diese Abendgesellschaft da, von einem Londoner Plutokraten in einem Hotel gegeben, in physischer Hinsicht höchstwahrscheinlich weitaus glänzender und schöner war, als irgend ein höfisches Fest der elisabethanischen oder jakobinischen Zeit. Wie klein und düster müßte solch eine gesellige Veranstaltung der Vergangenheit wirken, überlegte Mr. Parham, wenn man sie neben das bunte Schaugepränge des heutigen Abends stellen könnte. Brokate und Reifröcke, weder allzu neu noch sauber, von Kerzen und Fackeln beleuchtet. Erstaunlich, diese materielle Üppigkeit unserer Zeit! Doch jene kleinen Versammlungen bei trübem Licht hatten ihren Shakespeare, ihren Bacon, ihren Burleigh und ihren Essex gehabt. Sie waren durch und durch Geschichte geworden. Bücher waren über sie geschrieben worden, Studien und Kommentare, immer wieder wurde auf sie angespielt. Jede geringste Huld der jungfräulichen Königin war heute bedeutsam für die ernstesten Gelehrten. Kleine Räume vielleicht, aber große Zeiten.
Jedoch dies bunte Getriebe von heute – wohin führte es? Konnte es jemals Geschichte werden in irgend einem Sinne des Wortes? Auf den Hof der Königin Elisabeth gingen die ersten Anfänge Amerikas zurück, jene Menschen hatten den Grundstein zur modernen Wissenschaft gelegt, sie hatten die englische Sprache geformt – die englische Sprache, der diese Leute hier mit ihrem Kauderwelsch und ihrer lakonischen Durchtriebenheit eilends den Garaus machten. Vielleicht waren einige Künstler unter ihnen, vielleicht ein Gelbschnabel von einem Lustspieldichter. Mr. Parham war gerne bereit, Zugeständnisse an einzelne ihm möglicherweise Unbekannte unter der Menge zu machen – trotzdem blieb das Ergebnis des angestellten Vergleiches erschrecklich.
Die Jazz-Musik erklang aus dem Hintergrunde des Saales und begann ihm auf die Nerven zu fallen. Sie drang über die Köpfe der Versammelten hinweg, ungeheuerlich, als ob sie ihn suche, und alsbald war es, als hätte sie ihn entdeckt und rüttle und schüttle ihn nun. Mit einem Aufschrei, der, unendlich melancholisch, an Rufe aus der Dschungel gemahnte, griff sie ihm plötzlich ans Herz, um sich gleich darauf in hämmernde Trivialität zu verlieren und so zu tun, als sei sie stets nur trivial. Sie wurde intim; sie schien obszöne Gedanken erwecken zu wollen. Er erkannte, wie notwendig es war, hier ohne Unterlaß zu tanzen oder zu sprechen, schnell und laut zu sprechen, wenn man der Schar schwarzer Musikanten nicht wehrlos ausgeliefert sein wollte. Wie fremdartig sie doch waren, fast als gehörten sie einer anderen Gattung Lebewesen an! Mit ihren glänzenden, triumphierenden Gesichtern, ihren drängenden Gebärden. Was würde die jungfräuliche Königin, was ihr geliebter und getreuer Burleigh zu dem Kapellmeister da drüben mit dem Gesicht aus Bronze gesagt haben?
Seltsam, zu denken, daß sie sozusagen den Grundstein zu dem Lande Virginia gelegt hatte, aus dem der Kerl aller Wahrscheinlichkeit nach stammte. Der Kerl, der da hinter den Weißen herzuhetzen schien, sie zu einer geheimnisvollen Verleugnung, ja Vernichtung ihres eigentlichen Wesens trieb. Sie bewegten sich gleich Marionetten in dem Takte, den er schlug …
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