Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig (Roman). H. G. Wells

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Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig (Roman) - H. G. Wells

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kann aber hier nicht bleiben. Sie muß zurückkehren.«

      »Diesmal wohl«, meinte Sir Bussy nach einer Pause.

      Er starrte eine Weile zum Monde empor, anscheinend mit zunehmendem Widerwillen, machte eine Handbewegung, als ob er ihn verabschieden wollte, und entfernte sich dann langsam und nachdenklich, ohne Mr. Parham weiter zu beachten.

      Mr. Parham blieb allein auf Deck.

      Was wollte dieses absonderliche kleine Ungeheuer denn eigentlich haben? Was war ihm nicht recht an unserer wunderbaren Welt? Hatte es Sinn, sich mit einem Menschen abzugeben, der dem Zauber dieses süßen milden Lichts verschlossen blieb? Den silberdurchwirkten Schleiergewändern indischer Haremsfrauen vergleichbar, ergoß es sich über die Welt. Es ließ schimmernde Funken in den Wogen des Wassers aufleuchten und spielte liebkosend mit ihnen. Unendlich süß war es, und es verlockte zu beglückenden Abenteuern.

      Ärgerlich schob sich Mr. Parham die Jachtmütze aus der Stirn, steckte die Hände in die Taschen seiner blütenweißen Leinenhose und begann das Verdeck entlang auf und ab zu schreiten. Halb hoffte er, ein Rascheln oder Kichern zu hören, das ihm bewiesen hätte, seine Schöne habe sich vorhin nur zum Scheine zurückgezogen. Doch sie war wirklich in ihre Kabine gegangen, und erst als Mr. Parham ein Gleiches getan hatte, begann er über Sir Bussy und dessen Satz von der »Unmenge Wassers unter dem geisterbleichen Mond« nachzudenken …

      Doch wir wollen nicht vergessen, daß der eigentliche Gegenstand dieses Buches eine spiritistische Sitzung ist, samt deren erstaunlichen Folgen. Unser Interesse an den beiden so verschieden gearteten Charakteren darf uns nicht dazu verleiten, uns allzu eingehend mit den verschiedenen Reisen und Ausflügen zu befassen, die Sir Bussy und Mr. Parham unternahmen. Einmal fuhren sie in großer Gesellschaft nach Henley und zweimal besuchten sie Oxford, um den Geist dieser Universitätsstadt auf sich einwirken zu lassen. Mr. Parhams Kollegen überboten einander in Artigkeiten gegen Sir Bussy, und Mr. Parham verachtete sie aus Herzensgrund. Eine Zeitlang legte Sir Bussy Interesse für den Rennsport an den Tag. Die großen Gesellschaften, die er nach The Hangar, nach Buntincombe und nach dem Carfex House lud, ließen Mr. Parham immer wieder darüber staunen, wie viele verschiedenartige und sonderbare Menschen er kannte. Auch seine Bemühungen, sie zu bewirten und zu unterhalten, sowie seine Duldsamkeit ihrer Aufführung gegenüber, setzten Mr. Parham immer wieder in Verwunderung. Sie hatten mitunter recht absonderliche Einfälle, doch Sir Bussy ließ sie gewähren. Es schien Mr. Parham zuweilen, als sei er hauptsächlich nur neugierig, ob die Leute an ihren Verrücktheiten auch wirklich Spaß haben würden. Etliche Male ergaben sich Gespräche über diese Frage zwischen Sir Bussy und Mr. Parham.

      »Bei keinem Pferd auf dem Turf«, sagte Sir Bussy, »geht es mit absoluter Ehrlichkeit zu.«

      »Aber …«

      »Durchaus ehrenwerte Leute, selbstverständlich. Sie halten sich an die Regeln, weil ihnen ja die ganze Sache keinen Spaß machen würde, wenn sie das nicht täten. Sie würde einfach auffliegen, und das will doch niemand. Aber meinen Sie, daß die Leute ein Pferd so oft gewinnen lassen, wie es könnte? Das fällt ihnen nicht im Traume ein.«

      »Sie glauben, daß jedes Pferd nach vorheriger Vereinbarung geritten wird?«

      »Nein. Nein. Nein. Aber zu Anfang darf es nicht seine ganze Kraft hergeben. Das ist was ganz anderes.«

      Mr. Parham setzte eine verständnisvolle Miene auf. O menschliche Schwachheit!

      »Aber was kümmert Sie das?«

      »Mein Vater, der, wie Sie wissen, Droschkenbesitzer war, kutschierte sehr oft ausgediente Rennpferde«, sagte er, »und gewann immer bei den Rennen. Das ist nicht ohne Einfluß auf mich geblieben. Ich hatte auch sehr bald heraus, wie es auf dem Turf zugeht. Von meiner Mutter habe ich ein instinktives Gefühl für menschliche Schwächen geerbt.«

      »Aber die Geschichte ist recht kostspielig?«

      »Durchaus nicht«, meinte Sir Bussy seufzend. »Ich merke immer, was los ist. Ehe noch die andern merken, daß ich was merke. Ich verdiene Geld auf dem Turf. Ich verdiene immer Geld.«

      Sein Gesicht schien ob dieser Tatsache die ganze Welt anzuklagen, und Mr. Parham ließ ein teilnahmsvolles »Mmm« hören.

      Wenn Mr. Parham mit Sir Bussy zu einem Rennen ging, war er stets darauf bedacht, richtig angezogen zu sein. In Ascot trug er einen seidig glänzenden grauen Gehrock, weiße Gamaschen und einen grauen Zylinder mit schwarzem Band; er war eine der sportlichsten Erscheinungen dort. Auf dem Ausflug nach Henley hatte er zu einer tadellosen weißen Hose eine gestreifte Flanelljacke an, die keineswegs neu, sondern, wie es sich gehört, ein wenig abgetragen und verblichen war, überdies einen Teerfleck aufwies. Auf einer Jacht war er ein vollendeter Jachtfahrer, und in Cannes sah er stets aus, wie man da aussehen muß, nämlich so, als ob man eben vom Tennisplatze käme. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die eine Golfhose vornehm kleidet. Seine Sweater waren stets sorgfältig gewählt, denn auch ein Chamäleon kann korrekt sein. Niemals verunzierte er eine Gesellschaft; in der Regel hielt er sie vielmehr zusammen und gab ihr Ziel und Richtung.

      Das Jachtkostüm in gutem Stand zu halten, war nicht leicht, denn Mr. Parham neigte recht sehr zur Seekrankheit. Darin unterschied er sich von Sir Bussy, der sich umso wohler fühlte, je bewegter die See und je kleiner das Boot waren. »Ich kann nichts dafür«, sagte Sir Bussy. »Es liegt in meiner Natur. Was ich mir angeeignet habe, gebe ich nicht wieder her.«

      Aber wenn Mr. Parham auch immer wieder und in kürzester Frist seekrank wurde, so verlor er darob doch niemals die gute Laune. »Nelson«, pflegte er zu sagen, sowie der Anfall vorüber war, »Nelson war auf jeder seiner Seefahrten die ersten zwei oder drei Tage krank. Das tröstet mich. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.«

      Sir Bussy schien ganz dieser Meinung.

      Indem er sich auf solche Art seiner Umgebung anzupassen verstand und niemals der absonderliche und schlecht gekleidete Professor war, vermied Mr. Parham in seinem Umgang mit Sir Bussy jedweden Anschein von Schmarotzertum, und sein Selbstgefühl erlitt keinerlei Einbuße. Er war immer »durchaus am Platz«; niemals ein Eindringling. Vor seiner Bekanntschaft mit Sir Bussy hatte er sich nicht so elegant gekleidet, jedoch immer gewünscht, es zu tun, und die Sorgfalt, die er nun seiner äußeren Erscheinung angedeihen ließ, bewirkte, daß sein bescheidenes Kapital beträchtlich zusammenschmolz; aber sein Ziel stand ihm unerschütterlich fest vor Augen. Wenn man eine Wochenzeitschrift herausgeben will, die die Welt beherrschen soll, muß man wie ein Mann von Welt aussehen. Und es sollte eine Phase in seinen Beziehungen zu Sir Bussy kommen, da er die Rolle eines Mannes von Welt spielen mußte, so gut er nur irgend konnte.

      Die Sache muß erwähnt werden, obgleich es aus mancherlei Gründen angenehmer wäre, sie zu verschweigen. Es ist jedoch nötig, Gegnerschaft und Widerstreit zwischen den beiden Männern zu beleuchten, die, bei solcher Verschiedenheit der Wesensart miteinander verbunden, einander prüfend beobachteten und insgeheim kritisierten.

      Doch wenn der Leser noch jung ist …

      Aber auch ein junger Leser wird vielleicht klar sehen wollen.

      Es sei festgestellt, daß das nächste Kapitel, wenn auch erhellend, doch zum Verständnis der Geschichte nicht unbedingt notwendig ist. Es ist nicht unanständig und auch nicht derb, doch behandelt es, offen gesagt, einen Zug in Mr. Parhams moralischem Charakter, der – wie soll man es ausdrücken? – an die freien Sitten des achtzehnten Jahrhunderts gemahnt. Wenn es gleich keinen wesentlichen Teil unserer Geschichte enthält, so rundet es doch das Porträt Mr. Parhams ab.

      6

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