519 Park Avenue. Peter Stockfisch
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Tom hatte Nina in Hamburg kennengelernt. Die Polizeidirektion der Freien und Hansestadt hatte im Frühjahr 2002 eine Gruppe von New Yorker Polizisten, die am 11. September 2001 direkt am World Trade Center eingesetzt waren, nach Hamburg eingeladen. Tom war der Chef der Gruppe und stand daher bei den Pressekonferenzen immer im Mittelpunkt. Nina arbeitete damals als Reporterin beim Hamburger Abendblatt. Und irgendwie hatte es zwischen beiden kräftig gefunkt. Er war geschieden, und sie war ledig. Sie heirateten noch im gleichen Jahr - in Hamburg, bei Jacob an der Elbchaussee.
Ein attraktives Paar. Er mittelgroß, durchtrainiert mit dunkelblonden kurzen Haaren. Und mit einem offenen, forschenden Blick. Sie, wie man sich eine gutaussehende Norddeutsche vorstellt: Schlank, sportlich, lange blonde Haare und mit einem edel geschnittenen Gesicht, dessen leicht unnahbarer Ausdruck durch freundlich dreinblickende blaue Augen ausgeglichen wurde.
Die Limousine hielt vor dem Lincoln Center Plaza mit dem Springbrunnen in der Mitte. Es waren nur ein paar Schritte bis zur Avery Fisher Hall. Nina winkte ihnen schon vom Eingang aus zu.
“Schön, euch endlich einmal wieder zu sehen.” Sie umarmten sich mit jeweils zwei Wangen-Luftküssen.
“Gleichfalls. Ja, von Connecticut kommt man eben nicht so oft nach Manhattan, und irgendwie haben wir alle auch immer volles Programm.”
Thomas schaute auf die Uhr:
Wir haben noch etwas Zeit, schnell noch einen Drink ?”
“Mir wäre es jetzt zu sehr in Eile. Lieber anschließend noch irgendwo hingehen. Was meint Ihr ?”
“Christina hat recht,” stimmte Nina zu, und die Männer nickten.
Mit einem Blick ins Programmheft, das es für jeden immer umsonst gibt – bei den hohen Eintrittspreisen auch kein besonderer Bonus - , stimmten sie sich auf das Konzert ein.
“Der Dirigent ist heute nicht Lorin Maazel, sondern der Schweizer Charles Dutoit, künftiger Chef in Philadelphia. Er war mal mit Martha Argerich verheiratet. Interessant, dass große Dirigenten häufig Solisten heiraten, mit denen sie zusammengearbeitet haben. Dass sie heute nicht spielt, wisst ihr ja,” meldete sich Thomas und ersparte seinen Freunden einen Teil der Lektüre des Programmhefts.
Als Ravels La Valse ausgeklungen war, sagten alle lange nichts
So sehr waren sie noch gefangen von der Musik. Für Thomas waren dies Momente , in denen er alles andere vergessen konnte und nur noch glücklich war .
“Wohin gehen wir ?” meldete sich Nina nach einer Weile.
“Entweder Hudson Hotel oder Mandarin Oriental,” beeilte sich Christina zu sagen, um eventuellen, von ihr weniger geschätzten Vorschlägen zuvorzukommen.
“Ich bin für ‘Mandarin Oriental’, da war ich noch nicht,” sagte Tom.
“Ich auch, außerdem, Freitagabend im ‘Hudson’ siehst Du viele halbseidenen Typen, die….”
“Woher weißt Du das,” unterbrach Christina ihren Freund lachend.
“Nun, es gab ein Leben vor dir, mein Schatz, wie du weißt.”
“Schon gut,” sagte Christina und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Es war spät geworden. Thomas hatte den Fahrer der Limousine angerufen, um sie am Columbus Circle abzuholen . Sie brachten Nina und Tom zurück zur Lincoln Center Garage zu ihrem Auto. Um diese Zeit würden die beiden in weniger als einer Stunde zu Hause in Connecticut sein. Christina und Thomas waren in wenigen Minuten an der Upper East Side. Diesmal wollten sie die Nacht in seiner Wohnung verbringen.
Sein Appartment lag im 19. Stock. Es war – für Manhattaner Verhältnisse – mit 6 Zimmern und 2 ½ Bädern sehr geräumig. Nach seiner Trennung von Bärbel hatte er zunächst ein kleineres Appartment in der 68. Straße zwischen Lexington Avenue und Third Avenue gemietet. Nach ein paar Jahren mit Engelhard, in denen der ‘Rubel rollte’, hatte er sich diese Wohnung im nächsten Häuserblock gekauft.
Zum Osten lag das große Schlafzimmer, von dem man den East River sehen konnte. Gleich daneben eines der Bäder mit einem kreisförmigen Whirlpool in der Mitte.
Sein Arbeitszimmer mit diversen Bildschirmen lag auf der anderen Seite neben dem Wohnbereich, von dem man durch die offenen Schiebetüren in die Bibliothek schauen konnte.
Die anderen Zimmer waren mehr oder weniger mittelgroße Schlafzimmer für Gäste. Eines davon hatte Christina für sich besetzt. In einem der Wandschränke hatte sie ein paar Sachen deponiert: Etwas Garderobe für alle Gelegenheiten, förmlich und weniger förmlich – und natürlich Sportsachen für’s Gym und für ihr gemeinsames Joggen im Park.
Obwohl sie beide Wert darauf legten, ihre eigene Wohnung zu haben, wollten sie auf den Komfort, ein wenig ‘eigenes Reich’ beim anderen zu haben, nicht verzichten.
“Es war ein wunderbarer Abend,” sagte Christina leise und schmiegte sich an ihn. “Keiner hat auch nur einmal über den Job gesprochen, sondern über ganz andere Dinge: Neue Ausstellungen, Auktionen, Theater, Vorträge. Tom ist eine unerschöpfliche Quelle von Informationen, was kulturell in New York läuft. Es macht Spaß, ihm zuzuhören. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie er als Polizist ist. Er ist bei der Mordkommission, nicht wahr “?
“Ja, er ist jetzt der Chef dort. Ich glaube, der Job hält ihn einigermaßen in Trab, auch wenn die Anzahl der Morde in New York zurückgegangen ist. Glücklicherweise.”
Christina war aufgestanden und ging rüber zu der offenen Küche.
“Möchtest du auch ein Bier ?” Sie öffnete die Kühlschranktür.
“Ja, gute Idee.”
Sie kam mit zwei geöffneten Flaschen Heineken zurück und setzte sich wieder neben ihn auf die Couch.
“Die beiden machen einen sehr glücklichen Eindruck, findest du nicht auch ?”
“Ja, eine gute Mischung – wie wir.” Das letzte hätte er vielleicht nicht sagen sollen. Dann kommt Christina nämlich wieder auf das Thema Heirat. Sie liebten sich, verstanden sich gut und hatten super Sex. Es gab eigentlich keinen Grund, nicht zu heiraten. Aber Thomas wollte sich einfach keine legalisierte Verbindung vorstellen. Er liebte seinen Job, der ihn fast hundertprozentig absorbierte. Er schätzte seine Unabhängigkeit und fand es überdies sehr spannend, eine aufregende Freundin zu haben, die nicht zur Familie gehört. Eine Ehefrau wird zwangsläufig Familie – rund um die Uhr. Sicher, Familie ist etwas Wunderbares, unvergleichlich Wertvolles. Etwas, das er selber mit Bärbel und seiner Familie erlebt hatte und ihn über viele Jahre glücklich gemacht hatte. Aber nach einiger Zeit ist der Ehepartner eben nicht mehr jemand, bei dem das Herz schneller schlägt, wenn man sich sieht und die Hose sich spannt oder der Slip feucht wird.
Christina stellte ihre Flasche ab und rückte näher an Thomas heran. Sie legte einen Arm um seine Schultern. Mit der anderen Hand berührte sie leicht seinen Oberschenkel. Er reagierte sofort. Erst küsste er sie auf die Wange, auf ihren Hals, dann auf ihre geschlossenen Augen bis seine Lippen