Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson
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Da wir zuerst landeinwärts marschiert waren, führte unsere Straße zuletzt fast unmittelbar nach Norden; die alte Kirche von Aberlady war unser Wegzeichen zur Linken, zur Rechten die Anhöhe von Berwick Law; so erreichten wir dicht bei Dirleton die Küste. Westlich von North Berwick bis Gillane Neß liegen in einer Reihe vier kleine Inseln: Craigleich, The Lamb, Fidra und Eyebrough, alle bemerkenswert durch die Verschiedenheit ihrer Größe und Gestalt. Fidra ist die eigenartigste: eine seltsame, graue Insel mit zwei Höckern, die obendrein noch eine Ruine trägt; und ich erinnere mich, die See spähte, als wir uns ihr näherten, fast wie ein menschliches Auge durch die Türen und Fenster dieser Trümmerstätte. Die Leeseite von Fidra bietet bei Westwind einen guten Ankerplatz; und dort sahen wir auch schon von weitem die ›Thristle‹ sich an ihren Tauen wiegen. Die Küste ist gegenüber diesen Inseln vollkommen verödet; nirgends eine menschliche Behausung und nur sehr selten ein menschliches Wesen; höchstens verirren sich gelegentlich ein paar strolchende Kinder beim Spielen dorthin. Gillane ist ein kleiner Ort jenseits der Neß – die Bewohner von Dirleton haben ihre Felder weiter nach dem Innern verlegt, und die von North Berwick betreiben unmittelbar von ihrem Hafen aus die Fischerei – so daß wenige Teile der Küste einsamer sind. Trotzdem erinnere ich mich, daß wir scharf nach allen Richtungen spähten, und daß unsere Herzen gegen die Rippen hämmerten, als wir platt auf dem Bauche durch dieses Labyrinth von Hügeln und Tälern krochen; und die Sonne schien so hell, der Wind pfiff so lustig durch das Dünengras, und es herrschte ein derartiger Lärm von auffliegenden Möwen und sich niederduckenden Kaninchen, daß die Wüste einem bevölkerten Orte glich. Zweifellos war der Platz für eine heimliche Einschiffung – falls sie wirklich geheim war – in jeder Hinsicht gut gewählt. Und selbst jetzt, da wir verraten waren und man den Ort beobachtete, vermochten wir uns unbemerkt bis nach der vordersten Dünenkette, die unmittelbar auf Strand und Meer niederschaute, heranzupirschen.
Dort aber hielt Alan plötzlich an.
»Davie,« sagte er, »das hier ist ein kitzliger Weg! Solange wir stillliegen, sind wir sicher; aber ich bin dann meinem Schiff und der französischen Küste nicht viel näher. Und das Aufstehen und Heranwinken der Brigg ist auch 'ne heikle Sache. Wo, meinst du, stecken deine Herrschaften?«
»Vielleicht sind sie noch gar nicht da«, entgegnete ich. »Und selbst wenn sie da sind, spricht ein Umstand klar zu unseren Gunsten: sie haben sich zwar versammelt, um sich auf uns zu stürzen, aber sie sind darauf vorbereitet, daß wir aus Osten kommen, und hier befinden wir uns westlich von ihnen.«
»Ja,« sagte Alan, »trotzdem wünschte ich, wir wären unserer mehr, und das hier wäre eine Schlucht, dann hätten wir sie fein überlistet! Aber es ist nun mal nicht der Fall, David, und so wie die Dinge liegen, wirken sie ein bißchen ernüchternd auf Alan Breck. Ich schwanke, Davie.«
»Die Zeit flieht, Alan«, drängte ich.
»Ich weiß«, sagte Alan. »Ich weiß nichts anderes, wie die Franzosen sagen. Aber es ist ein schreckliches Lotteriespiel. Ach, wüßte ich nur, wo deine Herrschaften stecken!«
»Alan«, entgegnete ich, »du bist gar nicht du selbst. Es gilt: jetzt oder nie.«
»Das bin ich nicht, sagt er,
Ich bin es nicht, du bist es nicht,
Nein, Johnnie, Mann! Wir beide nicht,«
sang Alan mit komischem Ausdruck, halb drollig, halb beschämt, und plötzlich hatte er sich kerzengerade aufgerichtet und marschierte, ein wehendes Taschentuch in der Rechten, auf den Strand zu. Auch ich stand auf, hielt mich aber etwas im Hintergrund und beobachtete im Osten die Dünenkette. Sein Auftauchen blieb anfänglich unbemerkt; Scougal erwartete ihn nicht zu so früher Stunde und ›meine Herrschaften‹ hielten nach der anderen Richtung Ausguck. Dann erwachten die Leute an Bord der ›Thristle‹ zum Leben; alles schien in Bereitschaft, denn nach einem sekundelangen Durcheinander auf Deck sahen wir sie am Heck ein Boot zu Wasser lassen, das eilig auf das Ufer zuhielt. Fast im gleichen Augenblick erschien auf einem Hügel etwa eine halbe Meile nach Gillane Neß zu blitzschnell die Gestalt eines Mannes, der mit den Armen gestikulierte, und obwohl er ebenso rasch wieder verschwand, fuhren die Möwen an jener Stelle fort, eine Weile unruhig hin und her zu flattern.
Alan hatte ihn nicht bemerkt, da er unentwegt meerwärts nach Schiff und Boot ausschaute.
»Es muß kommen, wie es will!« sagte er, als ich ihm berichtet hatte. »Wenn nur mein Boot sich eilt, sonst wird mein Schädel wohl einige Püffe aushalten müssen.« Der Strand dehnte sich an jenem Teil der Küste lang und eben und bot bei Ebbe ein bequemes Gehen; ein kleiner, kressereicher Bach ergoß sich an der einen Stelle ins Meer, und die Dünen zogen sich gleich einem Mauerwall an seiner Mündung hin. Keiner von uns konnte sehen, was sich in den Senken ereignete, keine noch so große Eile unsererseits vermochte die Fahrt des Bootes zu beschleunigen. Für uns schien die Zeit während dieses unheimlichen Harrens stillzustehen.
»Das eine möchte ich wissen.« meinte Alan, »jener Herren Befehle. Wir beide zusammen sind unsere vierhundert Pfund wert; wie wenn sie nun Gewehre gegen uns herangeschleppt hätten, Davie? Von jener langen Sandböschung aus könnten sie einen feinen Schuß gegen uns abgeben.«
»Logisch unmöglich«, entgegnete ich. »Das ist es ja gerade: Gewehre haben sie nicht. Sie sind allzu heimlich ans Werk gegangen; sie haben vielleicht Pistolen, aber keine Gewehre.«
»Ich glaube, du hast recht«, bestätigte Alan. »Trotzdem sehne ich mich ganz ungemein nach jenem Boot.« Und er schnippte mit den Fingern und versuchte, es wie einen Hund heranzupfeifen.
Die Jolle hatte jetzt vielleicht den dritten Teil der Strecke zurückgelegt, und wir selbst befanden uns fast am Meeresrande, so daß der weiche Sand in meine Schuhe drang. Wir konnten nichts anderes tun als warten und, so gut es ging, beobachten, wie das Boot näher kroch, und so wenig wie möglich nach der unerbittlichen Front der Dünen schauen, über der die Mövenflügel funkelten und hinter der zweifellos unsere Feinde sich sammelten.
»Ein schöner, prächtiger, passender Ort zum Erschießen«, sagte Alan plötzlich; »Mann, ich wollte, ich hätte deinen Mut.«
»Alan,« rief ich, »was sind das für Redensarten? In dir lebt nichts anderes als Mut; er ist die Wurzel deines Charakters; das kann ich allein schon beweisen, falls keine anderen Zeugen da sind.«
»Um so mehr würdest du dich irren«, widersprach er. »Den Unterschied machen lediglich mein großer Scharfblick und meine Kenntnisse der Lage aus. Aber was alten, kalten, forschen, tödlichen Mut betrifft, so bin ich nicht wert, dir die Schuhriemen zu lösen. Sieh uns beide an, wie wir hier am Strande stehen. Da bin ich und verzappele mich vor Ungeduld, wegzukommen, und da bist du und weißt (wenn ich mich nicht täusche) nicht einmal, ob du gehen oder bleiben sollst. Meinst du, ich könnte oder würde das tun? Ich nicht! Erstens hätte ich nicht den Mut und würde mich nicht getrauen, und dann bin ich ein Mann von großem Scharfsinn und würde dich eher zum Teufel gehen lassen.«
»Also darauf willst du hinaus!« rief ich. »Ach, Alan, Mann, deine alten Weiber magst du an der Nase herumführen, mich aber nicht.«
Erinnerung an meine Versuchung im Walde machte mich fest wie Eisen.
»Ich muß ein Stelldichein einhalten«, fuhr ich fort. »Ich habe mich mit deinem Vetter Charlie verabredet und habe mein