Transzendierung des Ichs und christliche Botschaft. Anton Weiß

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Transzendierung des Ichs und christliche Botschaft - Anton Weiß

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war, erinnerte ich mich an eine Zen-Geschichte, wo der Zen-Schüler mit vierzig Jahren die Erleuchtung fand. Als ich diese Geschichte mit etwa zwanzig Jahren las, dachte ich: „Nein, so lange möchte ich nicht warten!“ Mit Fünfzig erkannte ich: „Oh, wie früh kam der Mann zur Erleuchtung!“

      Ich war schon mehrere Jahre in Pension, als es mich schicksalhaft ereilte, und es war alles andere, als ich mir Erleuchtung oder Befreiung vorgestellt habe. Es war die totale Katastrophe. Es war über mehrere Jahre hinweg der absolute Albtraum. Ich habe das ausführlich in „Mein Weg aus der Ausweglosigkeit“ beschrieben.

      Aber ich war nicht der erste, dem so etwas widerfahren ist. Ich erinnerte mich an den Titel eines Buches des spanischen christlichen Mystikers Johannes vom Kreuz – die Mystik ist von der Kirche immer misstrauisch beäugt worden; über Meister Eckhart wurde der Bann verhängt! – mit dem Titel „Die dunkle Nacht“. Dieses Buch kaufte ich mir jetzt und fand tatsächlich große Ähnlichkeit mit meinen drangvollen Erlebnissen. Zwar in einem sprachlichen Gewand, das man sich in heutige Denkweise übertragen musste, aber das fiel mir nicht schwer.

      Diese Schrift gab mir großes Vertrauen, doch nicht verrückt zu sein, sondern einen offensichtlich notwendigen Prozess zu durchlaufen, ohne den es eine Transzendierung des Ichs, wie ich es heute bezeichne, nicht geben kann.

      Und das ist es, worum es in diesem Leben geht, das ist die große Kostbarkeit, die nicht machbar ist, über die der Mensch in seinem Ich-Sein keine Verfügungsgewalt hat, die reine Gnade ist, ein urchristlicher Begriff, mit dem heute kaum jemand noch etwas anfangen kann in einer Welt, in der alles machbar zu sein scheint.

      Darin liegt das große Ärgernis, dass es eben nicht machbar ist, nicht herbeizwingbar, auch wenn sich ein Suchender noch so viel Mühe gibt und bereit ist, noch so große Opfer zu bringen. Wenn es sich ereignet, ist es reine Gnade und man hat nichts dazu getan, außer sich vielleicht von der Suche nicht abbringen lassen, ganz nach dem Jesuswort: „Wer suchet, der findet, wer anklopft, dem wird aufgetan“ (nach Mt 7,7). Auch dass man dieser Bedrängnis standhalten konnte, ist kein Verdienst, sondern ein Geschenk. Es ist reine Gnade, wenn man daran nicht zerbrochen ist, was durchaus in Reichweite lag.

      Hierin zeigt sich auch, dass der Schuldbegriff äußerst fraglich ist, denn Schuld setzt willentliches Handeln voraus. In der Situation, in der ich mich befunden habe, gibt es kein willentliches Handeln mehr, es gibt nur einen Ertrinkenden, der um sein Überleben ringt. Und dass er überlebt, ist ein Wunder. In dieser Situation gibt es keinen mehr, der etwas tut, schon gar nicht ein bewusstes Wollen. Es gibt nur ein Erleiden.

      Mir drängte sich später der Vergleich auf, dass es ein ähnlicher Prozess sein müsste, wie die Raupe zu einer Puppe und die Puppe zu einem Schmetterling wird, für mich ein grandioses Wunder, wo man sich fragen muss, worin die Kontiniutät beim Übergang von einem Stadium in das andere besteht. Was bleibt vom jeweils vorhergehenden Zustand? Ich kann nichts sehen, und doch muss es etwas geben. Ich denke, dass die Raupe und die Puppe jeweils einen Tod erleiden müssen, damit der Schmetterling geboren werden kann. Genau so muss das Ich den Tod erleiden, wenn der Mensch in seinem wahren Sein sichtbar werden soll. Und genau so unerfindlich ist das, was die Kontinuität bei der Transzendierung des Ichs aufrecht erhält; ich habe es mit Meister Eckhart als Seelenfünklein bezeichnet. Mir liegt es aber näher, von Bewusstseinsfünklein zu reden, weil ein allerkleinster Rest von Bewusstsein erhalten bleibt, weil es die winzige, kaum wahrnehmbare Fähigkeit ist, sich in seiner großen Not, in der Bedrohung durch das Verschlungenwerden zu sehen und voll auf Gott zu hoffen, weil man begriffen hat, dass man selbst nichts mehr tun kann. Man könnte es mit dem Sich-seiner-selbst-Gewahrsein beschreiben, wenn ich nicht den Eindruck hätte, dass dies, so wie es von Nisargadatta, Hartong und anderen verwendet wird, als eine souveräne Haltung erscheint. So wie ich es erlebt habe, war es alles andere als souverän, es ist nur vergleichbar mit einem Ertrinkenden, der verzweifelt um sein Überleben kämpft und plötzlich wunderbarerweise festen Boden unter den Füßen verspürt.

      Der Herr des Seins ist gnädig: Der Tod ist nur 99,999-%ig, nicht 100-%ig. Diese 0,001 Prozent sind das, was ich mit Bewusstseinsfünklein bezeichne, die winzige Fähigkeit, sich in seinem großen Elend sehen zu können. Es ist der Rettungsanker, von dem her sich das neue Sein auftut. Es ist der Seidenfaden, der vom jenseitigen Ufer herüberreicht ins Bewusstsein. Er wird erst sichtbar, wenn das Ich zusammengebrochen ist. Alles sich selbst beobachten, sich von sich distanzieren, sich seiner selbst gewahr sein, was spirituelle Schriften empfehlen, ist m. E. immer noch Teil des Ichs. Ich und Denken bzw. Erkennen sind zunächst unlösbar miteinander verbunden. Erst wenn das Ich zusammengebrochen ist, schält sich ein Gewahrsein heraus, das mehr ist als Ich.

      Wenn ich den Tod des Ichs als notwendig zur Transformation bezeichne, so ist das keine bildliche Rede. Es ist tatsächlich die einzige Ausdrucksweise, die diesem psychischen Geschehen gerecht wird. Dadurch erscheinen mir heute Tod und Auferstehung Jesu in einem völlig neuen Licht: Es geht nicht um den physischen Tod, sondern um den Tod des Ichs. Aufgrund der erschütternden Ereignisse, die ich 2005 durchmachen musste, sehe ich jetzt die zentrale Aussage der christlichen Botschaft völlig neu.

      Das Ich als Sündenfall und Erbsünde

      Der Kernsatz des Sündenfalls lautet: Sie wollten sein wie Gott. Es ist das Ich, das sein will wie Gott: autonom, frei, selbständig und unabhängig. Es glaubt, sein Leben nach seinen Wünschen, seinem Wollen und seinen Vorstellungen gestalten zu können. Der Titel von Schopenhauers Hauptwerk trifft es genau: „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Das ist der Mensch in seinem Ich, der glaubt, die Welt und das Leben nach seinen Vorstellungen lenken und managen zu können. Schön kommt diese Haltung in dem bekannten Ausspruch „l’état – ce moi“ oder in der gut bayerischen Version „Mia san mia“ zum Ausdruck.

      Es ist gar nicht leicht, jemandem nahe zu bringen, was mit Ich gemeint ist, denn es geht weit über das hinaus, was mit der lateinischen Bezeichnung „ego“ in Verbindung gebracht wird wie egoistisch, Egoismus. Der Mensch bewegt sich in seinem Ich wie der Fisch im Wasser, d. h. es ist für ihn die einzig legitime Weise zu sein und er kann gar nicht sehen, dass daran etwas falsch sein könnte. Der Mensch als Ich ist der, der seine Welt mit seinem Verstand und seinem Willen gestaltet. Er steht in seiner Welt und macht für sich das beste daraus. Alles, was er anpackt, soll ihm helfen, sein Leben nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten, so dass er ein glückliches Leben führen kann. Es war für mich eine erschütternde Erkenntnis als ich begriff, dass das Ich das ist, was mich ausmacht, was ich bin, worin mein Selbstverständnis liegt, was mein Leben ist. Man könnte das Ich als Splitter des einen Geistes ansehen, so wie eine Welle als Splitter des Ozeans erscheint, der sich nicht nur selber denkt, sondern sich eine eigenständige Existenz aneignet und damit abtrennt von der Gesamtheit, zu der er gehört, wie wenn sich die Welle vom Ozean abtrennen und sich als eigenständige und besondere (das Wort enthält ja ab-sondern) Existenz erleben würde, und zwar unabhängig vom Ozean. Oder vergleichbar einem Menschen, der in den Spiegel schaut und sich nun das Spiegelbild anmaßen würde, eine eigenständige Existenz zu besitzen. Jeder Vergleich hinkt und man kann sagen, dass man ja nur beiseite zu treten braucht und dann muss dem Spiegelbild klar sein, dass sein Selbstsein eine Illusion ist. Aber im Falle des Menschen schaut Gott eben sehr lange in den Spiegel, deshalb heißt es ja in der Bibel, dass der Mensch Ebenbild Gottes (Genesis 1,26) ist. Um es etwas poetisch auszudrücken: Wendet sich Gott ab, ist das das Ende allen Seins; alles Leben und auch der Mensch hat kein von Gott unabhängiges Dasein; der Mensch und die Welt existieren nur, weil Gott in den Spiegel schaut!

      Es bedarf schon einer erheblichen kritischen Distanz mir selber gegenüber, um zu erkennen, dass ich gemeint bin, wenn von Ich die Rede ist: nämlich genau ich hier als Schreibender und Sie als Leser. Dass ich gemeint bin mit meinem ganz selbstverständlichen Denken und Wollen, meinen Plänen, Hoffnungen und Wünschen, wie sie eben jeder so hat. Wenn Sie wirklich begriffen haben, was mit Ich gemeint ist und Sie ein einigermaßen vernünftiger Leser sind, dann müssen Sie

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