Transzendierung des Ichs und christliche Botschaft. Anton Weiß

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Transzendierung des Ichs und christliche Botschaft - Anton Weiß

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mich geht, dass ich mir der nächste bin und für mich in erster Linie Sorge trage und alles tue, dass es mir gut geht. Deshalb ist man doch kein böser Mensch und kann auch bemüht sein, an andere zu denken! Es ist für einen normalen, gebildeten, intelligenten Menschen weder zu glauben noch nachzuvollziehen, dass genau an dem, wie er sein Leben gestaltet, mit seinem Verstand, seinem Können und seinen Fähigkeiten, etwas nicht richtig sein soll. Aber genau das ist gemeint! Nachdenklich könnten Sie erst werden, wenn Ihnen dämmert, dass Sie ja bisher mit den genannten Fähigkeiten eben nicht das Leben so gemeistert haben, wie Sie es wollten: Sie haben nicht die Frau gefunden, die Sie sich vorgestellt haben – bei Blind-Date-Treffen wählt ein Mann häufig eine Frau, die gerade nicht seinen vorher genannten Vorstellungen entspricht! -, Sie üben nicht den Beruf aus, von dem Sie geträumt haben, Ihre Kinder haben sich nicht so entwickelt, wie sie es erhofft haben usw. Erst wenn Sie das nachdenklich macht, begreifen Sie, dass das Leben bei den meisten mehr oder weniger anders verläuft, als sie es sich vorgestellt und vorgenommen haben. Wir sind nur zu wenig gründlich, wischen es beiseite, orientieren uns neu und wissen oft gar nicht mehr, unter welchen Voraussetzungen wir ursprünglich angetreten sind. Es würde uns nämlich zeigen, wie wenig es nach unserem Willen, unseren Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen im Leben geht, und das wäre eine ziemliche Kränkung; so ziehen wir es vor, nachträglich die Dinge gewollt zu haben, die uns aufgedrängt worden sind. Treffend formuliert es Eugen Roth: „Ein Mensch erhofft sich fromm und still, dass er einst das kriegt, was er will. Bis er dann doch dem Wahn erliegt und schließlich das will, was er kriegt.“

      Man glaubt, sein Leben und auch das Leben der Natur – Tiere, Meere, Flüsse, Wälder – nach seinen Vorstellungen gestalten zu können, Dabei muss gar nicht immer böser Wille am Werk sein. Da das Ich aber immer nur sich und seine Interessen im Auge hat, also alles herbei wünscht, was ihm nützt und alles zu beseitigen sucht, was ihm schadet, gerät es immer wieder in die Situation, die Folgen seines aus seiner einseitigen Sicht erfolgenden Handelns nicht genügend bedacht zu haben. Die einseitige Sicht besteht in zweifacher Hinsicht: Erstens, weil das Ich immer auf seinen Vorteil bedacht ist, und sei er noch so subtil – z. B. unter dem Deckmantel von Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe. Es bewertet positiv, was ihm nützt und negativ, was ihm schädlich erscheint. Zweitens, weil es nur gelten lässt, was es mit seinem Verstand, seiner Ratio, begreifen kann und alles andere beiseite schiebt, wie z. B. parapsychologische Phänomene.

      Häufig ergeben sich schwere Folgeschäden lediglich daraus, dass der Mensch in seinem Denken ohne böse sein zu wollen einfach interessen- und ichgeleitet ist und damit nur auf seinen Vorteil achtet und dabei übersieht, welche Nachteile sein Handeln im Gefolge hat. Dass durch dieses interessengeleitete Denken immer wieder die Zusammenhänge nicht gesehen werden, möchte ich an einem kleinen Beispiel verdeutlichen: Es gibt eine EU-Verordnung, nach der kein Aas liegen bleiben darf. Jäger sind verpflichtet, alles Aas zu beseitigen. Das hat sehr einleuchtende hygienische Gründe. Seuchen wie Milzbrand und Maul- und Klauenseuche werden auf herumliegendes Aas zurückgeführt. Was aber nicht gesehen wird ist, dass sich viele Tiere von Aas ernähren. Durch diese scheinbar sinnvolle Verordnung sind viele Geierarten – in Spanien leben weit über 20 000 Paare – oder Bären nach dem Winter ernsthaft in ihrem Bestand bedroht. Dieses Verhalten des Menschen zeigt ein ganz typisches ichhaftes Denken: Der Mensch hat nur seinen Vorteil im Blick, in diesem Fall seine Gesundheit; das macht es ihm unmöglich, den Gesamtzusammenhang zu sehen. Von viel weittragenderer Bedeutung ist das Leerfischen der Meere: Weil es den Produzenten um ihren Vorteil – den Gewinn - geht, werden die Folgen überhaupt nicht bedacht. Es wird überhaupt nicht gesehen, dass durch die modernen technischen Fähigkeiten wie Schleppnetze und hundert Kilometer lange Fangleinen die Natur zerstört wird. Ebenso führt das Abholzen der Regenwälder heute zur Katastrophe, was in früheren Zeiten wegen der geringeren technischen Möglichkeiten nicht der Fall war. Der Mensch hat sich nicht geändert! Die südlichen Länder wie Griechenland, Italien usw. waren früher voll bewaldet und sind heute durch Jahrhunderte langen Raubbau weitgehend kahl.

      Immer schon haben gottesfürchtige Menschen davor gewarnt, die Grenzen, die dem Menschen gesetzt sind, zu überschreiten: Noah – die Sintflut (Gen 6-9) - und Lot – Vernichtung Sodom und Gomorras (Gen 19) - sind die herausragenden biblischen Beispiele. Und immer wurde ihre Warnung von den Menschen in den Wind geschlagen, bis heute. Immer haben sich die Menschen angemaßt, die Dinge in den Griff zu bekommen und haben die Warner verlacht, die ja letztlich immer unrecht behalten haben, denn die Menschheit existierte weiter. Ein schönes Beispiel für diese Situation ist B. Brechts Gedicht vom „Schneider von Ulm“. Der Bischof hat davor gewarnt, dass der Mensch seine gottgegebene Natur überschreite mit dem Satz: „Der Mensch wird nie fliegen“. Prompt stürzte der Schneider in die Donau und gab scheinbar dem Bischof recht. Aber aus heutiger Sicht hat der hybride Mensch doch recht behalten und fliegt, nicht nur um die Erde, sondern sogar in den Weltraum. Und dennoch: Noch nie war die Erde durch das Tun des Menschen mehr bedroht als heute. Es braucht gar kein Eingreifen Gottes, um die Menschen wachzurütteln in ihrem vermessenen Tun – der Mensch schafft es ganz alleine, sich zugrunde zu richten. Und es ist die Folge seines Seinwollens wie Gott, seiner Arroganz den Mitgeschöpfen gegenüber, seiner Haltung, nichts anderes über sich anzuerkennen als seinen eigenen Willen. Die Folge ist die Zerstörung seiner eigenen Lebensgrundlage!

      Das Ich setzt sich über die in der Natur grundgelegten Gesetze hinweg. Darin besteht seine angemaßte Autonomie. Das Ich befreit sich von Gott und setzt sich selbst als Gott. Genau diese Haltung wird in der Aufklärung proklamiert. Feuerbach verlangt in seinem Werk „Das Wesen des Christentums“, dass der Mensch erkennt, dass er das selber ist, was er bisher auf Gott projiziert hat: Unendlichkeit, Allmacht, Ewigkeit. Das ist nach Feuerbach der Mensch in seinem Wesen selbst. Die paradoxe Situation besteht darin, dass das gleiche in der spirituellen Literatur vom Menschen ausgesagt wird, und dass doch beides grundverschieden ist: Feuerbach meint mit dem Wesen des Menschen das Ich, in der spirituellen Sicht ist es die Dimension des Göttlichen, die im Menschen gegenwärtig ist, was aber, um sie zu erleben, die Transzendierung des Ichs voraussetzt.

      Man sieht, wie schwierig es ist, sich zu verständigen, weil gleiche Begriffe nicht das gleiche bedeuten. Den entscheidenden Hinweis darauf, dass Feuerbach wirklich dem Ich des Menschen göttliche Attribute zuspricht, sehe ich in seiner Aussage über den Geist: Für ihn ist Geist nichts anderes, als die Gehirnfunktion des Menschen. Wörtlich heißt es auf S. 83: „Der Begriff des Geistes ist lediglich der Begriff des Denkens, der Erkenntnis, des Verstandes, jeder andere Geist ist ein Gespenst der Phantasie.“ Damit ist für mich alles klar. So wird der Mensch – das Ich des Menschen mit Verstand und Willen – an die Stelle Gottes gesetzt, er erhält die Eigenschaften Gottes.

      Im Ich geht die unmittelbare Beziehung zur Wirklichkeit verloren, denn man ist nicht mehr Teil der Welt, sondern hat sie als Objekt. Man ist selbst das Subjekt, das alles andere – die Welt, die Natur, den anderen Menschen und sogar sich selbst – als Objekt hat. Man hat die Welt als Gegenstand und ist nicht mehr Teil dieser Welt, zu der man gehört. Damit ist der Mensch gespalten und hat seine Welt nur im Denken und nicht mehr als Wirklichkeit. Darin liegt der Kern des Sündenfalls: Nicht mehr im Einklang mit der Welt zu leben, sondern sie sich gegenüber zu haben als Objekt. Das hat den Vorteil der Beherrschung, aber den Nachteil der Getrenntheit. Der unmittelbare Zugang zur Welt ist einem verwehrt; die Welt wird einem nur mehr durch das eigene Denken vermittelt. Dieser Zustand ist nicht rückgängig zu machen. Der Mensch ist ausweglos in sein Denken eingesperrt.

      Luzifer heißt Lichtträger; es ist das Licht des Verstandes, mit dessen Hilfe der Mensch alles unter Kontrolle bringen möchte, mit Hilfe seiner Ratio glaubt er sein zu können wie Gott. Das ist ja die Versuchung im Paradies: „Wenn ihr von diesem Baum der Erkenntnis esst, dann werdet ihr sein wie Gott“ (nach Genesis 3,5)

      Der Sündenfall besteht in der Erkenntnis von Gut und Böse, das einen befähigt, zu sein wie Gott (Gen 3,5). Es ist der Beginn der Fähigkeit zu unterscheiden. Von „klug zu werden“ (Gen 3,6) ist die Rede, was ganz klar den Verstand meint, der nun in den Vordergrund tritt; und damit entsteht das Ich. Der Mensch kann jetzt denken, er sieht die Welt und den anderen nicht mehr unmittelbar, sondern vermittelt durch das Denken. Damit wird ihm die Welt

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