Julia. Gunter Preuß

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Julia - Gunter Preuß

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in ihrer Straßenbahneruniform aussah, als wollte sie gerade zum Tanz oder zum Konzert gehen. Sie war sehr hübsch, sah noch aus wie ein Mädchen, hatte lange schwarze Haare und warme dunkle Augen.

      Sie stand in der Verbindungstür zur Küche und trocknete Geschirr ab. »Wie war der erste Schultag, mein Kleines?«, fragte sie.

      »Sehnsucht nach Wasser und Sonne?«

      »Wie ihr jetzt von solchem Zeug reden könnt!«, fuhr der Vater hoch. »Wasser und Sonne! Wasser hat sie unter der Dusche! Und dreißig Grad im Schatten reichen wohl für einen Sonnenstich!«

      Die Mutter warf Julia ein Geschirrtuch zu.

      Julia sagte: »Papsch, du könntest wieder einmal abwaschen. Verlernst es sonst noch ganz.«

      Julias Vater erhob sich stöhnend. Unter der Deckenleuchte musste er sich bücken. Er kam in die Küche, streifte sich missmutig die Hemdsärmel hoch und begann mit viel Geklapper das Geschirr zu spülen.

      Julia und ihre Mutter trockneten ab. Sie wussten: Gleich würde Vater herausplautzen.

      Es dauerte nur Sekunden, bis er sich aufrichtete, Spüllappen und Suppenteller in den Händen. »Das ist doch kein Familienleben!«, polterte er los. »Eine Ehe - dass ich nicht lache! Du Frühschicht, ich Spätschicht! Du Spätschicht, ich Frühschicht! Die paar Minuten, in denen wir uns sehen, die reichen gerade für:- Na, wie geht's denn, Frau Leißner? Hat Ihre Straßenbahn den Rostfraß, oder ist eine Schraube locker?-«

      Julia und ihre Mutter lachten gleichzeitig los.

      Die Mutter fiel ihrem Mann um den Hals und zog sich an ihm hoch. »Du übertreibst mal wieder. Schließlich kommen wir sogar noch dazu, gemeinsam den Abwasch zu erledigen.«

      »Es ist doch wahr. Mit geht das gegen den Strich! Drei Jahre geht das nun schon! Mir reicht es! Na, Julia, nun sag du mal was! Bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen! Heute sagt deine Mutter mir so nebenbei, dass die Verkehrsbetriebe keinen triftigen Grund sehen, sie nur in der Frühschicht arbeiten zu lassen! Ist denn unsere Ehe kein triftiger Grund. Himmelherrgottnochmal!«

      Julia trocknete noch immer die erste Tasse ab. Sollte denn der Streit heute überhaupt nicht enden? Erst in der Klasse und jetzt zu Hause.

      »Was soll ich sagen«, antwortete Julia. »Mutschs Kollegen sind alle verheiratet. Jeder will nur Frühschicht fahren. Von mir aus. Da fährt eben ab Mittag keine Straßenbahn mehr. Laufen soll ja so gesund sein.«

      »Du kannst wohl nie ernst bleiben«, rügte der Vater. »Immer diese Verallgemeinerungen. Ich wünschte mir, du würdest bald einmal ein bisschen erwachsener.«

      »Wie soll denn das aussehen? Dass ich dir recht gebe? Warum versuchst du eigentlich nicht, nur Frühschicht zu arbeiten? Da gibt es weniger Bier. Und wenn es weniger Bier gibt, gibt es auch weniger Betrunkene. Und wenn es weniger Betrunkene gibt, gibt es auch mehr Ruhe.«

      Julias Vater ließ den Suppenteller geräuschvoll in das Spülbecken gleiten. »Das sind ja eigenartige Rechnungen, Tochter. Eigenartige Rechnungen, sage ich ... « Er hatte aufbrausen wollen, war aber unsicher geworden. Die Mutter versuchte zu schlichten, zu vermitteln. Sie mochte keinen Streit. Und vor allem mochte sie nicht, dass ihr Mann verärgert war, dass er die Augen zusammenkniff und zwischen seinen Augen eine steile Falte lag. Sie wollte ihn lustig, immer zu einem Scherz aufgelegt, voller Kraft und Hoffnung, so dass sie sich an ihn lehnen und etwas von seiner Stärke aufnehmen konnte. Sie war oft unsicher, was die Beziehungen zu Menschen anging. Selbst Julia gegenüber fühlte sie sich manchmal als Mutter zu jung, zu unerfahren. Nur wenn sie die Straßenbahn durch den Stadtverkehr fuhr, spürte sie Sicherheit, denn sie wusste, dass ihre Augen und Ohren ihr gut gehorchten und sie die Bahn und die Tücken der Stadt gut kannte.

      Sie wollte jetzt ablenken von dem Problem Schichtarbeit und fragte Julia, deren Unruhe ihr nicht verborgen blieb: »Hat Pit dich heute morgen wach bekommen? Oder hast du etwa verschlafen?«

      Der Vater versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden. Das Streichholz zündete nicht. Seine Hände waren zu nass. Ärgerlich sah er auf seine Frau und Julia.

      »Ich habe nicht verschlafen« beruhigte Julia ihre Mutter.

      »Aber irgend etwas stimmt doch nicht«, bohrte die Mutter. »Ich sehe es deiner Nasenspitze an.«

      »Es ist ... «, sagte Julia. »Es ist nichts. Überhaupt nichts.«

      Der Vater forderte: »Die Wahrheit, Tochter! Soll ich es erst von der Schule erfahren? Hast du einen Jungen verprügelt? Oder dem Lehrer die Kreide geklaut?«

      Julia schwieg. Sie hätte gern mit den Eltern über Herrn Rohnke, über die Klasse, über Pit gesprochen. Aber sie hatte sich fest vorgenommen, die Angelegenheit morgen mit Liebscher zu regeln.

      »Es ist wirklich nichts. Alles ist in bester Ordnung«, sagte Julia.

      Die Eltern schauten sie nachdenklich an, ließen es aber dabei bewenden.

      Julia war froh, als sie den letzten Teller in den Schrank stellte. Dann ging sie schnell in ihr Zimmer, um die Hausaufgaben zu erledigen.

      5.

      Der Spätsommer behauptete sich noch immer gegen den Herbst. Ein Tag war schöner als der andere. Im Heuweg fackelte das Bunt der Blumen und Blätter.

      Die Mathestunde hatte begonnen. Ellen flüsterte Julia zu: »Juli, ich habe einen tollen knallroten Bikini gesehen. Im Sportgeschäft auf der Schumannstraße. Nun rate mal, was die dafür haben wollen?«

      »Kannst du nicht mal einen Moment still sein.«

      »Warum bist du nur so nervös«, antwortete Ellen spitz. »Du hast doch bestimmt wieder eine Eins oder eine Zwei. Also, was regst du dich auf?«

      Julia winkte ab. Sie sah wie gebannt auf Herrn Rohnke, der die Mathearbeiten zurückgab. Sie hörte ihren Namen. Herr Rohnke lächelte. »Julia - eine fabelhafte Eins!«, sagte er. Der Lehrer war guter Stimmung. Die Klasse hatte in dieser Arbeit ausgezeichnete Ergebnisse erreicht.

      Die Spannung in Julia nahm nicht ab. In den letzten Tagen hatte sie versucht, mit Pit Mathe zu üben. Aber Pit begriff schlecht. Nicht, dass er nicht begreifen wollte. Es ging einfach nicht in seinen Kopf hinein. Julia hatte oft das Gefühl, dass der Junge mit seinen Gedanken weit weg war.

      Sie sah jetzt zu Liebscher hinüber, der ihr zunickte und sagte: »Gratuliere.«

      Julia lächelte schwach zurück. Gleich am nächsten Tag nach ihrem Streit hatte sie mit Liebscher gesprochen. Er hatte es ihr leicht gemacht. Hatte so getan, als wäre alles längst vergessen. Auch in der Klasse sprach man nicht mehr darüber.

      »Pit Janko!«

      Herr Rohnke knöpfte sich den Hemdkragen auf. »Kann nicht mal jemand das Fenster öffnen? Ist doch wieder verdammt warm heute.«

      Julia zuckte zusammen, sah, wie auch Pit erschrak.

      Herrn Rohnkes Stimme hatte gestockt, war bei Pits Namen von ihrem Höhenflug abgestürzt. Der Lehrer hielt das Blatt Papier, als getraute er sich nicht, es aus den Händen zu geben. Seine Lippen bewegten sich. Die Augenbrauen waren eng zusammengezogen. Es sah so aus, als rechnete er noch einmal Pits Arbeit durch.

      Pit

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