Nesthäkchens Jüngste. Else Ury

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Nesthäkchens Jüngste - Else Ury

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höchst ungemütlich. Erzähle mir lieber, was du eigentlich von mir wolltest.«

      »Aha, also die Neugier hat dir keine Ruhe gelassen. Ich glaubte schon, es täte dir leid, daß du dich heute am Tage deines Schulabgangs so wenig erwachsen gezeigt hast.«

      »Tut es mir auch. Das heißt nur insofern, als ich meine kleine Muzi dadurch geärgert habe. Nun wollen wir aber das Kriegsbeil endgültig vergraben. Ja, Muzichen? Soll ich Vaters Zigaretten holen, daß wir eine Friedenspfeife miteinander rauchen können?«

      Ursel hatte es wieder mal erreicht. Die Mutter mußte lachen. Allen pädagogischen Einwänden zum Trotz – sie konnte sich nicht helfen ... Da hatte auch Ursel bereits ihre Mutter beim Wickel, ihren nassen Blondkopf zärtlich gegen deren Gesicht pressend. »Und dann küsst sie den Hans und es ist alles wieder gut«, sang sie mit heller Stimme. »Diesmal ist es aber die Ursel, und nicht der Hans. Also Muttichen!« Sie kauerte sich, wie sie es als Kind getan, auf das Fußkissen, mit ihren großen Blauaugen erwartungsvoll zur Mutter aufblickend.

      »Ihr seid schon eine Gesellschaft!« sagte diese bloß, aber verhaltene Mutterzärtlichkeit schwang in dem Tone mit.

      »Na ja, und weiter, Muzichen? Ich bin gespannt wie ein Regenschirm.«

      »Du brauchst gar nicht so erwartungsvoll zu sein, Ursel. Der Vater verlangt unbedingt, daß du zum Ersten als Banklehrling in die Dresdner – –« Weiter kam Frau Annemarie nicht. Ursel war so jäh aufgesprungen, daß das nicht mehr auf allzu festen Füßen stehende Nähtischchen ihrer Urgroßmutter, ob solchen jugendlichen Ungestüms, erschreckt zu wackeln begann.

      »Ausgeschließt! Und dazu tust du so geheimnisvoll? Dazu komme ich extra vom Bahnhof wieder zurück!« Es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre Ursel in Tränen grenzenloser Enttäuschung ausgebrochen.

      »Nun setze dich mal wieder her zu mir, mein Mädel, und laß uns die Angelegenheit in aller Ruhe miteinander besprechen.« Zug auf Zug erkannte Annemarie sich selbst in ihrem temperamentvollen Nesthäkchen wieder. Und aus diesem Verständnis heraus vermochte sie es auch, die richtige Saite in Ursels stark vibrierender Seele zu rühren. »Du willst doch deinem Vater Freude machen, gelt, Urselchen? Du willst ihm doch all seine Liebe nicht durch kindische Auflehnung und Undankbarkeit lohnen? Und du mußt doch davon überzeugt sein, daß der Vater sowohl wie ich dein Bestes wollen, nicht wahr, mein Herzchen?«

      Ursel hatte den Kopf an das Knie der Mutter geschmiegt. »Ihr wollt wohl mein Bestes. Aber ihr könnt euch irren. Unmöglich könnt ihr wissen, welcher Weg zu meinem Glücke führt. Aber ich weiß es. Wenn ich erst die Rolle der Ännchen im ›Freischütz‹ singen werde, wenn man mich erst an die Staatsoper engagieren wird, dann werdet ihr schon anders sprechen.«

      Frau Annemarie mußte lächeln. »Luftschlösser bauen ist das Recht der Jugend. Nur schade, daß sie kein festes Fundament haben, solche Luftschlösser. Daß sie wie Seifenblasen zerplatzen. Und selbst angenommen, du erreichst das, was dir jetzt als erstrebenswertes Ziel vorschwebt, zu deinem Glücke braucht das durchaus noch nicht zu sein, mein Kind.«

      »Doch – das ist das Glück!« Ursel sah mit glänzenden Augen in den Apriltag hinaus. »Wenn ich erst da oben auf der Bühne stehe, wenn mir eine begeisterte Menge zujubelt – – ›Ich meine die Base mit der kreideweißen Nase‹ – –« begann sie aus dem »Freischütz« zu trällern.

      »Du weißt nicht, was für Klippen, was für Intrigen im Theaterleben einem das Leben vergällen können, Ursel. Du kannst ein viel zufriedenerer, glücklicherer Mensch werden, wenn du deine Zukunft auf solide Arbeit und Pflichterfüllung aufbaust.«

      »Ach, das ist ja tranig. Bei den Büchern und Rechnereien halte ich's einfach nicht aus. Paß auf, ich fange mitten bei der Arbeit an zu singen, bis sie mich wegen Ruhestörung aus der Bank rausschmeißen, Muzi.«

      »Ursel, sei doch bloß mal einen Augenblick vernünftig. Sieh, ich habe dir doch noch nicht mal sagen können, was ich beim Vater für dich durchgesetzt habe«, begann die Mutter von neuem.

      »Na?« Ursel schien nicht mehr viel Hoffnung in die Mission der Mutter zu setzen.

      »Er erlaubt, daß du Gesangstunde nehmen darfst – –«

      »Wirklich, Muzi? Ach, du bist mein allerliebstes, kleines Muzichen! Ich wußte es ja, daß du mich nicht im Stich lassen würdest.« Das junge Mädchen erdrückte die Mutter vor Seligkeit.

      »Ja, Ursel, aber unter der Bedingung, daß du ebenfalls seinem Wunsche Folge gibst und zur Bank gehst. Der Gesangunterricht soll die Belohnung für die Mußestunden sein«, stellte die Mutter vor.

      Ursel machte ein Gesicht, als ob sie ihren Kopf mit Ergebung auf den Henkerblock legen sollte. »Also meinetwegen! Aber ihr werdet schon sehen, was ihr euch damit einbrockt. Ehre wird Vater bei dem befreundeten Bankdirektor ganz gewiß nicht mit mir einlegen.«

      »Ja, Ursel, wenn du es dir gleich so vornimmst. Man geht an ein neues Amt mit dem festen Willen, sein Bestes zu geben.«

      Der Märtyrerblick der jungen Dame verwandelte sich in einen verschmitzten. »Werd' ich auch. In den Gesangstunden ganz gewiß. Und nun wollen wir mal sehen, was stärker ist. Die dämliche Bank oder die Opernbühne. Ach – –« sie breitete die Arme aus – »immerhin die erste Sprosse auf der Leiter der Kunst.«

      »Ei, Ursel, die Leiter steht recht wackelig. Ich bedaure bereits, wenn du es so auffaßt, beim Vater ein gutes Wort für dich eingelegt zu haben. Ja, ich weiß nicht einmal, ob ich es überhaupt vertreten kann, dir Gesangstunde geben zu lassen. Meine Pflicht als Mutter ist es, derartigen Hirngespinsten nicht noch Vorschub zu leisten.« Frau Annemaries Gesicht wurde zweifelhaft besorgt.

      »Als Mutter sollst du ja gar keine Notiz von meinen Mitteilungen nehmen, Muzi. Die braucht überhaupt nichts davon zu wissen. Aber als meine aller-allerbeste Freundin mußt du dich mit mir freuen, daß ich wenigstens ein paar Stunden in der Woche Gesang studieren darf. Und wenn ich's erreiche – ach Muzi, dann ist ja keiner stolzer auf mich als du!«

      »Ich werde immer stolz auf meine Kinder sein, wenn sie als brave Menschen was Tüchtiges leisten. Auf welchem Gebiet ist gleich – –«

      »Siehst du, Muzi, da sagst du es ja selbst. Ich will was Tüchtiges leisten – ich will!« Das ganze schmale Persönchen war von Energie durchströmt. Freilich meinte Ursel ein anderes Gebiet als die Mutter. »Und nun, Muzi, wollen wir zur Beruhigung der Gemüter beide einen Spaziergang machen, ja? Die Sonne gibt gerade wieder eine Gastrolle. Und Cäsar, das arme Vieh, kratzt sich die Pfoten draußen an der Tür ab, ohne daß man von ihm Notiz nimmt. Ja, meine geliebte Töle, wir kommen ja schon. Soll ich dir deine Sachen bringen, Muzi?«

      »Und meine Ausbesserwäsche, Ursel? Was wird aus der?«

      »Die läuft nicht weg. Heute Abend helfe ich dir, wenn – wenn ich nicht bereits im Bett liege.« Lachend lief Ursel davon, die Sachen zu holen.

      Cäsar hatte die gute Gelegenheit benutzt, sich durch die offengebliebene Tür in das Biedermeierzimmer, für das er nun mal besondere Vorliebe hatte, durchzuquetschen. Jetzt blinzelte er halb erwartungsvoll, halb mißtrauisch zu seiner Herrin hin. Warum jagte Frau Annemarie ihn denn nicht wie sonst hinaus?

      Annemarie nahm keine Notiz von Cäsars Anwesenheit, die sonst ihr Gemüt stets in Erregung zu versetzen pflegte. Sie schaute mit langem Blick ihrer Jüngsten nach. Ja, die Ausbesserwäsche lief nicht davon. Aber die Kinder liefen davon, wenn man sie nicht zu halten wußte. »Ich will dir stets die allerbeste Freundin bleiben, meine Ursel«, gelobte sie sich wortlos. Das Vertrauen, das Ursel zu ihr hatte,

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