Nesthäkchens erstes Schuljahr. Else Ury

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Nesthäkchens erstes Schuljahr - Else Ury

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      »So ist's recht, nun möchte ich aber auch gern noch wissen, wie dein Papa heißt, Annemie?« sagte die Lehrerin, wieder schnell gefaßt.

      »Der heißt Vater.« Die Kleine sah das Fräulein treuherzig an.

      »Ja, aber er muß doch noch einen anderen Namen haben?« Nesthäkchen dachte nach.

      »Freilich, Mutti nennt ihn ›Edchen‹, und manchmal auch ›mein Einziges‹, aber Hanne und Frieda sagen ›Herr Doktor‹«, rief sie voll Stolz über ihre Schlauheit.

      Da lachte Fräulein ganz laut, und alle Kinder lachten mit, ohne eigentlich zu wissen warum.

      Klein-Annemarie wandte den Kopf verlegen nach der Tür. Wurde sie nicht schon wieder ausgelacht? Diesmal blieb sie aber nicht hier. Spornstreichs machte sie kehrt, und fort war sie, ehe die erstaunte Lehrerin sie noch zurückhalten konnte.

      Drunten im Treppenflur stand Fräulein mit mehreren Müttern und Kindermädchen und wartete auf Annemarie. Da erschien Nesthäkchen plötzlich vor ihr mit heißem Gesicht, ohne Hut und Mantel.

      »Kind – Annemie – warum kommst du denn jetzt schon wieder, ist denn die Schule schon aus?« fragte sie erschreckt.

      »Nein, aber ich gehe nicht mehr in die olle Schule,« erklärte die Kleine weinerlich, »ich will nach Haus zu Vater und Mutti, und zu Hanne und Frieda!«

      »Aber Annemiechen, warst du denn unartig, daß man dich fortgeschickt hat?« forschte Fräulein, aufs höchste betroffen.

      »I wo« – unter Tränen begann es in Nesthäkchens Blauaugen schon wieder schelmisch zu blitzen – »ich bin ganz von allein ausgerückt. Sie haben mich ausgelacht, und – und – das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen!«

      Mit großer Mühe gelang es Fräulein endlich, der Kleinen den richtigen Sachverhalt zu entlocken, und mit noch größerer Mühe, Nesthäkchen zu überreden, es noch einmal mit der Schule zu versuchen. Sie führte die kleine Ausreißerin selbst in die Klasse zurück, wo die Lehrerin schon in Sorge um sie gewesen.

      Von Fräulein erfuhr die Klassenlehrerin auch, daß die kleine Schülerin Annemarie Braun heiße. Es wurde ihr ein Platz auf der vordersten Bank zwischen zwei anderen Kindern angewiesen, und ihr Fräulein konnte die Klasse wieder verlassen.

      »So, Annemarie,« wandte sich die junge Lehrerin jetzt nochmals der Kleinen zu und fuhr ihr freundlich über die weichen Locken, »nun verrate mir mal, warum du nicht bei uns bleiben wolltest. Gefällt es dir denn nicht hier in der Schule?«

      »Nee, gar nicht!« war Annemaries Antwort, die nichts an Ehrlichkeit zu wünschen übrigließ. »Zu Haus, da haben sie mich alle lieb, da lacht mich keiner aus!« setzte sie leise hinzu.

      »Hier werden wir dich auch alle lieb haben, Annemie, wenn du brav und fleißig bist«, tröstete das Fräulein.

      Die gütigen Worte erfüllten das liebegewohnte Herzchen von Klein-Annemarie mit einer großen Zärtlichkeit für die junge Lehrerin.

      Eins – zwei – drei – kletterte sie auf die Schulbank, und von dort – da sie noch immer nicht heranreichen konnte – auf den langen, schmalen Tisch. Ehe die Lehrerin es sich versah, schlangen sich ihr zwei Ärmchen um den Hals und ein roter Kindermund küsste sie voll Ungestüm.

      »Ich werde dich sehr, sehr lieb haben, Tante«, versprach Annemarie, ihr frisches Gesichtchen zärtlich an die Wange der Lehrerin schmiegend.

      Sanft machte sich diese von den sie umstrickenden Ärmchen frei.

      »Das ist nett von dir, Annemie,« sagte sie belustigt, »aber wir sagen hier nicht Tante, dazu ist ein Schulmädel schon zu groß. Ihr sagt Fräulein Hering zu mir.«

      »Hahaha«, lachte es da aus einer Ecke, und »hahaha« fiel der ganze Chor von fünfzig Kindern ein.

      »Ei, über was freut ihr euch denn so?« fragte Fräulein Hering.

      »Hahaha – Hering – den ißt man doch mit Pellkartoffeln, so kann man doch nicht zu einer Lehrerin sagen!« Es war dasselbe vorlaute, kleine Ding, das vorhin »haach – die lutscht ja noch!« gerufen.

      »Aber warum kannst du mich denn nicht Fräulein Hering nennen, Hilde?« Das Fräulein amüsierte sich gottvoll.

      »Nee, Hering ist doch ein Tier, und alle Tiere, Ochse, Esel, Schaf, das sind Schimpfnamen. Und seine Lehrerin darf man doch nicht schimpfen!« rief Hilde eifrig.

      »Ihr könnt mich ruhig Fräulein Hering nennen, das ist nicht geschimpft, denn ich heiße doch so«, sagte die Lehrerin, noch immer mit dem Lachen kämpfend. Dann wandte sie sich nach der anderen Seite. »Aber Margot, weinst du denn noch immer?« Sie neigte sich zu einem kleinen Mädchen hinab, das die ganze Zeit über ihr Gesicht hinter dem rotgeränderten Taschentuch vergraben hatte.

      Annemarie drehte neugierig den Kopf nach der Heulsuse hin, und alle anderen Kinder wandten sich ebenfalls nach der weinenden kleinen Margot um.

      »Sieh nur, wie vergnügt die vielen kleinen Mädchen hier sind, nur du weinst und hast noch immer Angst; wir tun dir doch nichts, Margot«, redete Fräulein ihr weiter zu.

      Da ließ die furchtsame Kleine endlich ihr feuchtes Taschentuch sinken, und ein verweintes, schmales Kindergesicht mit großen, braunen Augen kam zum Vorschein.

      Annemarie reckte sich fast den Hals aus. Herrgott – kannte sie das kleine Mädchen denn nicht? Natürlich – das war doch die Kleine, die seit dem ersten April in die Kinderstube ihr gegenüber eingezogen war. Sie hatten sich doch schon öfters zugenickt, alle beide.

      Mit einem Satz war Annemarie über den Tisch hinüber. Springen und klettern konnte sie, das hatte sie von ihrem Bruder, dem wilden Klaus, gelernt. Sie rannte durch die Klasse und rief, der kleinen Margot beide Hände hinstreckend, freudestrahlend: »Du, heul' bloß nicht mehr, ich bin ja auch hier!«

      Wirklich verklärte ein Glückesschimmer plötzlich Margots Jammermiene, als sie ihre kleine Nachbarin ebenfalls erkannte.

      »Rück' mal 'n bißchen, dann setze ich mich zu dir«, kommandierte Klein-Annemarie, die jetzt jede Scheu verloren hatte.

      »Nein, das geht nicht, Annemie, hier in der Schule läuft man nicht von einem Platze weg, da mußt du sitzenbleiben, wo ich dich hingesetzt habe«, mischte sich Fräulein Hering hinein.

      »Aber dann weint Margot doch wieder, wenn ich sie allein lasse«, gab Annemarie zu bedenken.

      Wirklich verzog sich Margots Mund bereits viereckig, ein neues Geheul verheißend.

      »So tausche meinetwegen mit Erna Rust und setze dich neben Margot Thielen«, gestand Fräulein Hering, eine zweite Tränenauflage fürchtend, zu.

      Und nun saßen die beiden kleinen Hausgenossinnen, die sich eigentlich kaum kannten, mit glücklichen Gesichtern nebeneinander.

      »Ich habe einen kleinen Pudeltintenwischer, süß ist der!« Annemarie zog den süßen Tintenwischer aus dem Federkasten und hielt ihn hoch, damit ihn auch die anderen Kinder bewundern konnten.

      »Ich habe einen Mohrentintenwischer – ich einen Glückspilz – meiner ist noch viel, viel feiner, der ist mit Perlen – und meiner ist aus Muttchens ollem

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