Nesthäkchens erstes Schuljahr. Else Ury
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Читать онлайн книгу Nesthäkchens erstes Schuljahr - Else Ury страница 6
Annemarie hielt ihre große, rote Schultüte hoch und zeigte sie stolz der kleinen Nachbarin. Sofort wurde drüben als Antwort eine grüne Schultüte in der Luft herumgeschwenkt – ei, da hatte die Margot auch eine geschenkt bekommen. Darum war sie auch sicher jetzt so vergnügt. Das wurde nun ein Winken hinüber und herüber. Auch Puppe Gerda mußte sich an die Fensterscheibe stellen und vor der neuen Freundin ihrer kleinen Mama einen Knicks machen.
Dann spielte Nesthäkchen mit allen ihren Puppen Schule.
Sie selbst war Fräulein Hering. Mariannchen, welche die Augen trotz aller Katzenköpfe, mit denen die Lehrerin sie reichlich bedachte, nicht öffnen wollte, bekam Babys Windel als Taschentuch vors Gesicht und stellte die heulende Margot vor. Gerda aber hieß natürlich Annemarie Braun.
»So, Kinder, nun sagt mir mal alle, wie euer Vater heißt«, verlangte das kleine Fräulein Hering, das sich die Tischdecke als langen Rock umgebunden hatte, damit die Schulkinder auch Respekt vor ihr hatten.
»Meiner heißt Papa – meiner August – meiner ist schon längst totgestorben, Tante – meiner heißt Vatichen«, so ließ Annemarie ihre Puppenschülerinnen durcheinanderrufen.
Dann aber schüttelte sie mitleidig lächelnd den Blondkopf, ganz wie die Lehrerin.
»Quatsch – euer Vater heißt Doktor Braun, merkt euch das, Kinder, groß genug seid ihr doch dazu. Und zu mir wird nicht Tante gesagt, nee, da müßtet ihr euch ja als Schulmädel schonieren. Ich heiße Tante Fräulein Hering. Na, was gibt's denn darüber zu lachen, Hilde? Wenn es noch Rollmops wäre, aber Hering ist ein sehr schöner Name, und der beißt auch gar nicht.«
Doch da die schwarze Lolo noch über das ganze Mohrengesicht grinste und sogar ihre Nachbarin Gerda vor Vergnügen in die Seite puffte, wurde sie zur Strafe von Tante Fräulein Hering in die Ecke gestellt. Dort tauchte auch Kurt auf. –
»Na, du möchtest wohl auch gern mitspielen?« fragte Annemarie ihren Puppenjungen. »Du kannst der Herr Schuldiener sein und läuten.« Kurt wurde mit der Kuhglocke aus der Schweiz ausgerüstet. »Und mein Herr Leutnant ist der Herr Direktor. Aber deinen Helm kannst du dann nicht aufbehalten, ich mache dir einen Papierhut.« Die Kleine griff nach einem Zettel, den Fräulein auf den Kinderstubentisch gelegt hatte, und fabrizierte daraus einen feinen Dreimaster für den Herrn Direktor.
»So, Kinder, nun will ich auch noch jedem eine Schultüte schenken, die braucht man als Schulmädel. Weil ihr doch keine Großmama habt, die euch eine mitbringt.« Klein-Annemarie drehte fünf niedliche, kleine Papiertüten, sie nahm dazu, was ihr gerade in die Hand kam. In jeder Tüte aber legte sie ein Stück Schokolade aus ihrer eigenen großen.
Gerade als Mariannchen mit geschlossenen Augen »Müde bin ich, geh zur Ruh« betete, und Kurt, der Schuldiener, dazu aus Leibeskräften mit seiner Kuhglocke bimmelte, erschien Fräulein. Sie trug die Schulsachen von Nesthäkchen im Arm, in die sie die Namen der Kleinen eingenäht hatte. Sogar in das Regenschirmchen und in die winzigen Gummischuhe, denn das war Vorschrift.
»So, Annemiechen, nun wollen wir die noch fehlenden Hefte und Bücher für die Schule besorgen. Du kannst mitkommen; es hat aufgehört zu regnen«, sagte sie und begann auf dem Kinderstubentisch zu suchen.
»Ich weiß doch ganz genau, daß ich deinen Stundenplan und den Zettel für die anzuschaffenden Bücher vorhin hierhergelegt habe. Hast du sie fortgenommen, Annemie?«
Die Kleine schüttelte den Kopf. Sie konnte sich gar nicht darauf besinnen, die Zettel gesehen zu haben.
»Was machen wir denn jetzt bloß?« Fräulein suchte in größerer Hast. Die Mappe wurde ausgekramt, die Fibel durchblättert, aber weder Nesthäkchens Stundenplan noch Bücherzettel wollten sich finden.
Fräulein war ganz ratlos.
»Weißt du was, Fräulein, wir lassen uns von Margot ihre Zettel borgen«, schlug Annemarie vor, und ihr Herz jubelte bei der Vorstellung, die kleine Nachbarin besuchen zu dürfen.
Aber Fräulein schüttelte den Kopf.
»Nein, Annemie, ich schäme mich vor Thielens, daß wir so liederlich sind und solche wichtigen Zettel verlieren. Sie müssen ja auch hier sein!« Wieder begann das Suchen.
Auch Annemarie beteiligte sich, aber die beiden Zettel blieben verschwunden.
Es half nichts, Fräulein mußte zu Thielens hinübergehen und um Margots Stundenplan und Bücherzettel bitten, um sie für Annemarie abzuschreiben.
»Darf ich mit, bitte, bitte, liebes Fräulein!« flehte Annemarie und hing sich zärtlich an ihren Arm. Die Locken wurden noch mal gebürstet, die Hände einer Musterung unterzogen, und dann klingelten Fräulein und Nesthäkchen an der auf demselben Treppenflur gelegenen Thielenschen Wohnung.
Als das Mädchen öffnete, brachte Fräulein ihr Anliegen vor, während Nesthäkchen ihre Blicke in alle Ecken des Korridors schweifen ließ. Doch soviel sie auch guckte, Margot kam nicht zum Vorschein.
Aber als das Mädchen jetzt mit den gewünschten Zetteln zurückkehrte, da schob sich ein braunes Köpfchen mit braunem Zöpfchen hinter ihr neugierig durch die Türspalte.
»Guten Tag, Margot!« rief Annemarie selig.
Nicht weniger erfreut streckte Margot ihrem kleinen Besuch die Hand hin und knickste errötend vor Fräulein. Als Fräulein sich mit Nesthäkchen wieder verabschieden wollte, überwand Margot jedoch ihre Schüchternheit.
»Darf – darf die Kleine nicht noch ein bißchen bei mir bleiben und mit mir spielen?« fragte sie stotternd vor Verlegenheit.
»Au ja – au fein!« jubelte Annemarie los und wußte gar nicht, daß es ein fremder Korridor war, in dem sie vor Freude herumhopste.
»Erlaubt denn das deine Mama, Margot?« fragte Fräulein zögernd.
»Ja, Muttchen hat eben noch gesagt, mit der Kleinen von Doktors darf ich spielen«, beteuerte die kleine Braunhaarige.
»Nicht wahr, du erlaubst es auch, Fräulein?« Nesthäkchens Blauaugen vereinigten sich mit Margots braunen zur flehentlichen Bitte.
Da konnte das gute Fräulein nicht widerstehen.
Sie ging allein Annemaries Schulbücher besorgen, und diese folgte Margot herzklopfend vor Freude in das Kinderzimmer, zu dem sie schon so oft ihre Blicke sehnsüchtig auf Besuch geschickt hatte.
Dort gab es zwei kleine Blondköpfe, die Annemarie bereits vom Fenster her kannte: Bubi und Baby. Der vierjährige Bubi thronte auf dem Schaukelpferd und ließ sich in seinen Reitkünsten durch den Besuch in keiner Weise stören. Baby aber, ein süßes, kleines Mädelchen von zwei Jahren, kam Annemarie sofort mit zärtlich ausgebreiteten Ärmchen entgegengetappelt.
Ach, das war ja ein noch viel schöneres Spielzeug als Puppe Gerda. Annemarie war von dem lebendigen Püppchen ganz begeistert, sie vergaß sogar Margot, zu der sie doch zu Besuch gekommen, über das possierliche kleine Ding.
»Was wollen wir denn spielen?« brachte sich diese schließlich schüchtern wieder in Erinnerung.
»Gnädige Frau«, schlug Annemarie vor; »Baby ist mein Kind, und wir bauen uns unsere Wohnung hier am Fenster. Und du kannst unser Fräulein sein oder auch die Hanne,