Nesthäkchens Backfischzeit. Else Ury
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Читать онлайн книгу Nesthäkchens Backfischzeit - Else Ury страница 8
»So, nun laßt es euch schmecken, junge Herrschaften!« sagte er und stellte die große Baisertorte aus dem Fenster mitten aus den Tisch vor die fünf.
»Was – die soll auch für uns sein?« Annemarie riß die Augen noch weiter auf als sonst.
»Na, janz werdet ihr sie wohl nicht schaffen.« Der Konditor begann mit breitem Lachen die Torte in Stücke zu schneiden. »Das schmeckt nach der Anstrengung, was?«
Und ob es schmeckte! Der gute Mann brauchte wirklich nicht zu fragen. Das sah er den eifrig Schmausenden an, den schleckenden Mäulchen und den dankbaren jungen Augen. Selbst Marlenes Gewissen mußte solchen Herrlichkeiten gegenüber sich verkriechen.
Doch ach! – »Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zuteil.« Es nahte das Verderben.
Keine der fröhlich Schmausenden hatte acht auf die Türschelle. Erst als eine weibliche Stimme draußen am Ladentisch ein Viertel Hustenbonbons verlangte, hoben sich jäh die Mädchenköpfe. Erschreckte Augen sahen sich an. Marlene blieb der Bissen im Halse stecken. O Gott – Fräulein Neubert in höchsteigener Person. Warum gab es denn keine Tarnkappe, um sich unsichtbar zu machen! Wenn das Verhängnis doch bloß an ihnen vorübergehen wollte!
Nein – Fräulein Neuberts Augen entging nichts, sie sahen alles, auch wenn sie nicht die Eulengläser trugen. Beim Verlassen des Ladens warfen sie durch die offene Tür einen Blick in den Nebenraum und – blieben starr an dem Marmortischchen der fünf haften.
Marlene hatte sich trotz ihres Schreckes höflich erhoben. Die anderen folgten herzklopfend ihrem Beispiel. Nur Doktor Brauns Nesthäkchen blieb ruhig sitzen und steckte das Näschen in die Schokoladentasse. Aber diese Vogel-Strauß-Politik half ihr wenig. Schon stand Fräulein Neubert vor den Erschreckten.
»Möchtet ihr mir vielleicht erklären, was das bedeuten soll, daß ihr, anstatt eure Pflicht zu erfüllen, hier heimlich euer Taschengeld vernascht?« begann sie mit gedämpfter, aber gewitterschwüler Stimme.
Keine Antwort. Jede dachte, die andere würde sprechen. Annemarie gab sich einen Ruck.
»Wir vernaschen nicht unser Taschengeld – wir sind eingeladen worden,« sagte sie so dreist wie möglich.
»Eingeladen – von wem?« Die Lehrerin schien ihren Worten nicht recht Glauben zu schenken.
»Von mir,« mischte sich der Konditor da plötzlich in das Verhör. »Was ich bin, Karl Aujust Hirsekorn, ich habe die jungen Damens mit Verlaub zu einem Täßchen Schokolade einjeladen, weil sie mir den Schnee so brav vor meiner Tür fortjeschaufelt haben. Und wenn das Fräulein vielleicht auch ein Täßchen genehmigen möchte, es soll mir nicht darauf ankommen.« Der weltkluge Mann glaubte auf diese Weise am schnellsten die Wogen des Zornes zu glätten, und seine jungen Freundinnen vor einer weiteren Standpauke zu bewahren.
Aber da kannte er Fräulein Neubert nicht. Die schüttelte hoheitsvoll das Haupt, auf dem die Pelzmütze noch immer schief thronte, und sprach mit gebieterischer Handbewegung: »Ihr verlaßt augenblicklich die Konditorei und begebt euch unverzüglich nach Hause. Alles andere wird sich morgen in der Schule finden.«
Das klang so unheilverkündend, daß Marlene sofort mit scheuem Gruß davonschlich. Ilse, ihr getreuer Schatten, natürlich hinterher. Vera und Marianne warfen schmerzliche Abschiedsblicke auf die noch recht umfangreiche Baisertorte. Nur Annemarie hatte so viel Geistesgegenwart, das halbe Stück Torte, das sie noch auf ihrem Teller hatte, trotz des flüssigen Eierschaums in der Manteltasche verschwinden zu lassen. Dann wandte sie sich höflich an den Konditor.
»Herr Hirsekorn, ich danke Ihnen noch vielmals, auch im Namen meiner Freundinnen, für Ihre feine Bewirtung.«
»Is jern jeschehen – recht jern jeschehen, Fräuleinchen. Und wenn 's morjen wieder schneit, könnt ihr euch wieder eine Tasse Schokolade mit Schippen verdienen!«
Ach, Doktors Nesthäkchen sowohl wie den Kränzchenschwestern sollte der Appetit aus Konditor Hirsekorns Schokolade gründlich vergehen.
3. Kapitel
Doktors Nesthäkchen gründet einen Schülerrat
Wenn doch bloß die Literaturstunde bei Fräulein Neubert erst vorüber wäre,« rief Ilse Hermann am nächsten Tage aufgeregt.
Marlene Ulrich, an welche ihre Worte gerichtet waren, nickte nur stumm. Sprechen konnte sie vor Beklommenheit nicht. Ganz blaß sah das arme Mädchen aus. Sie hatte in der Nacht nur wenig geschlafen in banger Erwartung, was wohl nach dem gestrigen Konditoreibesuch noch erfolgen würde. Allgütiger – wenn Fräulein Neubert ihnen ihre Versetzungszensuren nach Obersekunda verdarb!
Marianne, Vera und Annemarie hatten ebenfalls die Köpfe zusammengesteckt.
»Seid doch nicht solche Banghasen, Kinder!« Unbekümmert biß Annemarie Braun in ihr Frühstücksbrot. »Was soll denn nachkommen? Höchstens noch eine erneute Auflage des gestrigen Donnerwetters. Na meinetwegen – ich habe ein Elefantenfell.«
Der Eintritt der gefürchteten Lehrerin machte dem halblauten Gespräch, dem die Klasse voll Interesse gelauscht, ein Ende.
Marlene konnte sich kaum von ihrem Sitz erheben, so zitterten ihr die Knie. Vera rückte unbehaglich auf ihrem Platz hin und her.
Fräulein Neubert schritt gravitätisch mit gemessenen Schritten zum Katheder. Dort oben blieb sie stehen und blickte durch die Eulenbrille stumm auf die Mädchenschar, von der sich hier und da eine hinter der Vorihrsitzenden verkroch.
»Lieber Gott, laß sie doch zum Literaturbuch greifen! Ich kann zwar sehr wenig von den mittelalterlichen Dichtern, aber immerhin besser, als wenn sie noch einmal die Soße von gestern aufwärmt,« betete Marianne Davis im innersten Herzen.
»Ich habe der Untersekunda eine Mitteilung zu machen, eine recht betrübende,« begann da Fräulein Neubert. Das hörte sich ganz und gar nicht nach Literatur des Mittelalters an. Wo sollte das hinaus? Fünf bange Seelen fragten es sich bedrückt.
»Mehrere Schülerinnen der Untersekunda,« fuhr Fräulein Neubert fort, »sind gestern ungehorsam gewesen.« Die Eulenaugen schienen die fünf jungen Missetäterinnen zu durchbohren. Besonders auf dem rosigen Gesicht Annemaries blieben sie haften. »Trotz meines Gebotes, ihre Pflicht beim Fortschaffen des Schnees zu erfüllen und keine Allotria zu treiben, habe ich sie schlemmend in einer Konditorei ertappt. Ich will hier gar nicht von der Unschicklichkeit reden, daß Schülerinnen ohne Begleitung eines Erwachsenen eine Konditorei aufsuchen. Lediglich von dem Ungehorsam, der verdient eine exemplarische Strafe –« Marlene Ulrich wurde so weiß wie der Batistkragen an ihrem Kleide.
Wieder eine sekundenlange Pause. Den armen Dingern schien sie Stunden zu dauern.
»Ich sehe mich also genötigt, die betreffenden fünf Schülerinnen wegen Ungehorsam unter Tadel zu schreiben und ihnen auf dem Zeugnis im Betragen Nummer drei zu geben – – –« Lautes Weinen unterbrach die Rede.
»Ach, Fräulein Neubert, liebes Fräulein Neubert!« Das war Marianne Davis.
»Es