geSUCHT und NICHT GEFUNDEN. Anton Weiß

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geSUCHT und NICHT GEFUNDEN - Anton Weiß

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er führt, dass er immer auf der Suche ist, scheint mir ein entscheidender Unterschied zum Tier zu sein. Ein Tier ist mit dem Leben, in dem es sich befindet, zufrieden. Es verwirklicht sich in dem Maße, in dem es sich in seinen Gegebenheiten vorfindet: Ein Löwe jagt, eine Kuh grast, ein Vogel fliegt durch die Lüfte und ein Fisch schwimmt im Wasser - und sie scheinen in der Erfüllung ihrer Gegebenheiten ein befriedigendes Leben zu führen. Anders der Mensch: Er ist nicht zufrieden mit dem Zustand, in dem er sich vorfindet: Er will den Luftraum erobern, er will die Hintergründe der Welt wissen, er strebt danach, mehr zu werden, als er ist – mehr zu haben, mehr zu sein und auch mehr zu scheinen. Er ist nicht zufrieden mit den Gegebenheiten, in denen er sich vorfindet. Es scheint ein Wesensmerkmal des Menschen zu sein, nicht zufrieden zu sein. Er strebt nach etwas, was er gar nicht benennen kann. Alles Streben nach mehr Wissen, mehr Haben, mehr Sein scheint nur Ausdruck eines Verlangens zu sein, von dem der Mensch letztlich nicht weiß, wonach ihn verlangt.

      Denn wenn er erreicht hat, was er erstrebt hat, dann ist er nicht, wie man meinen möchte, zufrieden, sondern kaum ist das Ziel erreicht, drängt es ihn schon wieder nach neuen Zielen, die es zu erreichen gilt.

      Das sieht man besonders schön in allen sportlichen Ereignissen: Alles Streben z. B. einer Fußballmannschaft in der Bundesliga ist auf das Erreichen des Endspiels ausgerichtet. Wie viel Mühe und Plage wird aufgewendet, um bis zu diesem Punkt zu kommen. Das ganze Leben eines Fußballspielers dreht sich nur darum, dieses Ziel zu erreichen; das Familienleben, die Freunde werden zurückgestellt oder in dieses Streben mit eingebunden, leiden mit oder stehen dem ganzen verständnislos gegenüber. In jedem Fall liegt über dem gesamten Leben eines leidenschaftlichen Fußballspielers der Schatten dieses unbedingten Siegenwollens. Ist dann wirklich das Endspiel erreicht und der Meistertitel errungen, d. h. das so sehnlichst Erstrebte erreicht, dann ist der Betreffende der glücklichste Mensch auf der Welt. Aber nur für ganz kurze Zeit. Denn in wenigen Wochen beginnt das Spiel von vorne. Wieder arbeitet man darauf hin, in das Endspiel zu kommen und Meister oder Sieger zu werden. Jetzt geht es um das neue Ziel, das man sich steckt, das alte ist schon vergessen, und die Frage, ob es eine bleibende Erfüllung hinterlassen hat, wird gar nicht gestellt. Und das geht so Jahr für Jahr und Millionen Fans fiebern mit Jahr für Jahr, erleiden Höhen und Tiefen für etwas – den großen Sieg, auf den sich alles hinstreckt -, was nach ganz kurzer Zeit aber schon wieder verblasst, weil das ganze von vorne beginnt, mit dem gleichen Elan, um dann doch wieder rasch zu verblassen. Und niemand fragt, wofür das ganze steht, worin das eigentliche Ziel besteht.

      Weder im Sportjournalismus noch bei Interviews mit einzelnen Sportlern taucht diese Überlegung auf. Gerade wenn man im Fußball das Bundesligageschehen verfolgt, müsste doch irgend jemand einmal darauf zu sprechen kommen, dass im Grunde es ein jährlicher, immer wieder kehrender Kreislauf ist, dass manchmal der Vorjahressieger seinen Sieg wiederholen kann – oder auch nicht. Dann wird eine andere Mannschaft Sieger. Die einen klettern in der Rangliste nach oben, andere fallen nach unten. Was bedeutet es, Sieger geworden zu sein? Wird das nicht völlig relativiert und verliert jeglichen Wert, wenn man sich klar macht, dass nach wenigen Wochen der Sieg bedeutungslos geworden ist, weil alles wieder von Neuem und von vorne losgeht, und erstaunlicherweise Jahr für Jahr wieder mit dem gleichen Elan und Eifer?

      Im Tennis-Sport hat Roger Federer jetzt im Jahr 2009 seinen 14. Grand-Slam-Titel gewonnen. Als er den 12. gewonnen hatte, fehlte ihm immer noch der Sieg bei den French Open. Den ersehnte er sich schon seit sehr langem. Dann war das nächste Ziel, Pete Sampras zu übertreffen, was ihm nun mit dem 14. Grand-Slam-Titel gelungen ist. Damit ist er bester Tennisspieler aller Zeiten. Ist er jetzt zufrieden? Ist er jetzt so glücklich, wie er sich erhofft hat? Und wie lange hält es an? Und welches Ziel strebt er jetzt an? Sich so lange an der Spitze zu halten, wie es möglich ist? Und was ist der Sinn darin? Welcher Sportler – im Grunde jeder Mensch, der etwas erstrebt - gibt sich darüber Rechenschaft, was der Sinn seines Strebens ist? Wir nehmen das Streben einfach hin, ohne es zu hinterfragen!

      Bei olympischen Spielen ist es ähnlich mit der Erwartung von Medaillen. Es liegen immer große Erwartungen auf den Teilnehmern, für ihr Land Medaillen zu gewinnen. Was bedeutet es für die Menschen in den einzelnen Ländern, dass ihre Sportler Medaillen gewinnen? Was haben sie davon? Für den Sportler verstehe ich es ja – obwohl seine Medaillen spätestens bei der nächsten Olympiade ihren Wert verloren haben -, aber was haben die Menschen seiner Nation davon? Werden sie dadurch größer, bedeutender? Haben sie dadurch mehr Geltung in der Welt? Wenn ja, für wie lange? Hat es drei Jahre später noch irgend eine Bedeutung, was jetzt so wichtig erscheint? Zeigt es nicht Minderwertigkeit, wenn man dadurch erhöht wird, dass Sportler der eigenen Nation Medaillen gewinnen? Und welche Enttäuschung macht sich breit, wenn die erwarteten Medaillen ausbleiben? Was verlieren die Menschen dadurch?

      Die Bedeutung des Siegens

      Was bedeuten eigentlich Sieg oder Niederlage? Bin ich als Mensch besser, wenn ich siege und schlechter, wenn ich verliere oder bloß Zweiter werde, oft nur mit einer Differenz zum Sieger von kaum messbarer Größe? Geht es mir darum, Bester zu sein und worin bin ich dann bester? Bester Tennisspieler aller Zeiten, bester Schwimmer aller Zeiten? Hängt mein Menschsein davon ab, ob ich gewinne oder verliere, oder bin ich als Mensch nicht genau so gut, auch wenn ich verliere? Oder will ich mein Gutsein den anderen zeigen, dass alle sehen, wie gut ich bin? Verleiht mir das eine Wichtigkeit, eine Bedeutung, die ich ohne den Gewinn nicht habe? Geht es also darum, wichtig zu sein, Bedeutung zu haben? Bin ich nicht wichtig, habe ich keine Bedeutung, wenn ich verliere? Bin ich in meinem Menschsein weniger? Und wenn ich mich minderwertig, unbedeutend fühle, verleiht mir dann der Sieg wirklich die Bedeutung, die ich selber nicht empfinde oder verschleiert er nur meine Bedeutungslosigkeit? Oder werde ich als Mensch ein anderer dadurch, dass ich mich schinde und plage, um zu siegen? Ist der Sieg nur ein äußeres Zeichen für meinen Sieg über mich selbst? Dass ich durchgehalten habe, meinen inneren Schweinehund zu überwinden, dass ich gegen meine Schwachheit gekämpft habe, die mich gern einen einfacheren Weg gehen ließe? Das würde ich für den Spieler verstehen, aber was haben dann die Fans für einen Anteil daran oder die Nation?

      Erlebe ich in der Auseinandersetzung mit mir selbst das Drama des Lebens überhaupt, Höhen und Tiefen, die keinem Sportler erspart bleiben? Das ganze Hoffen und Bangen, Freuen und Traurigsein, Begeisterung und Enttäuschung, höchste Anspannung und Mitfiebern – das alles wird im Sport erlebt. In einem einzigen Torschuss ist davon schon viel enthalten: das Hoffen und Bangen, die Vorfreude und Erwartung, dass es ein Tor wird, und die Enttäuschung und Ungläubigkeit, wenn der Ball dann doch nicht im Netz landet oder die Begeisterung, wenn doch. Ist das Durchleiden dieser Höhen und Tiefen das, was die Spieler und Zuschauer fasziniert und haben die Zuschauer in einer geheimnisvollen „participation mystique“, einer unsichtbaren Verbindung daran Anteil?

      Welche Faszination geht aber von Spielen aus, bei denen ich gar nicht viel zu Sieg oder Niederlage tun kann, weil es einfach von den von mir unabhängigen und nicht beeinflussbaren Gegebenheiten abhängt und nicht von meinem Willen und Können, wie z. B. beim Kartenspiel oder beim Kniffeln, einem Würfelspiel, bei dem mein Siegen allein vom Fallen der Würfel abhängt. Warum ärgert es mich hier, wenn ich verliere und bin stolz, wenn ich gewinne? Über wen ärgere ich mich und warum bin ich stolz – doch auf mich – der ich gar nichts dazu tun kann, als einen Würfelbecher zu schütteln? Und nun zeigt sich das ganz Verblüffende: Ich erlebe beim Kniffeln genau so Höhen und Tiefen, Hoffen und Bangen, Freude und Enttäuschung wie dort, wo es auf meinen Einsatz ankommt und wo ich glaube, dass ich es in der Hand habe, dass es an mir liegt, die Leistung zu vollbringen.

      Mir würde viel mehr einleuchten, wenn es um etwas ganz anderes ginge. Wenn viel mehr als der Sieg das Auf und Ab, das Bangen und Hoffen, also das Drama des Weges zum Ziel das Entschei- dende wäre. Es spiegelt sich darin das Drama des Lebens überhaupt; das Leben als Wagnis, das den Einsatz des ganzen Menschen erfordert und wo er, auch wenn er diesen Einsatz leistet, dennoch verlieren kann. Und er hofft so sehr zu gewinnen. Jeder möchte Gewinner sein. Das ist im Leben sogar leichter möglich als im Sport, wo immer nur einer Gewinner sein kann.

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