Nesthäkchen und der Weltkrieg. Else Ury

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Nesthäkchen und der Weltkrieg - Else Ury

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wir Daheimbleibenden Opfer bringen«, meinte die Kleine eifrig mit denselben Worten, welche die alte Dame vor kurzem ihr selbst ans Herz gelegt hatte.

      Da mußte Großmama über das drollige Mädel lächeln. Doch das Lächeln erstarb ihr auf den Lippen – »mein Tuch – mein Taschentuch – – –« bei einem Haar wäre Nesthäkchen ihrem davonflatternden Tüchlein hinterdrein auf die Straße gestürzt.

      »Ich bin gleich wieder oben«, ehe Großmama den Wildfang zurückhalten konnte, war er schon die Treppen hinunter.

      Einer der Feldgrauen hatte das rotrandige Tüchlein lachend auf sein Gewehr gespießt, wie eine Fahne wehte es.

      Annemarie, die in Wittdün stets ohne Hut und Mantel auf die Straße gegangen, lief auch hier in Berlin, wie sie ging und stand, hinter ihrem flatternden Taschentuch her. Es war schwer, sich bei der Musik verständlich zu machen, oder wollte der Soldat aus Scherz ihre Bitte um das Tuch nicht verstehen? Ausgelassen marschierte sie neben dem »Fahnenträger« her und fiel mit heller Stimme in den Soldatensang ein:

      »Die Vöglein im Walde,

      Die singen so wunder–wunderschön,

      In der Heimat, in der Heimat,

      Da gibt's ein Wiedersehn.«

      Herzklopfend sah Großmama den winzigen roten Punkt unter all dem Staubgrau sich weiter und weiter entfernen. Du Grundgütiger, kam denn das Kind nicht wieder?

      Da endlich am Ende der langen Straße, ehe die graue Menschenschlange um die Ecke bog, erhielt Nesthäkchen ihr Eigentum zurück. In großen Sätzen sprang es wieder dem elterlichen Hause zu.

      So – das war eine Aufmunterung zur rechten Zeit gewesen. Ordentlich erfrischt fühlte sich Annemarie nach dem kleinen Ausflug.

      Großmama war anderer Ansicht.

      »Kind – Kind – wie habe ich mich wieder um dich gebangt – und dann ohne Hut, mit der Schürze bist du auf die Straße gelaufen, das tut ein wohlerzogenes kleines Mädchen doch nicht.« Die gute Großmama pflegte niemals böse auf ihren Liebling zu sein, um so mehr Eindruck machten heute ihre Worte.

      »Ach Großmuttchen, wenn du dich immerzu um uns sorgst, wirst du ja deines Lebens gar nicht froh hier bei uns. Vielleicht kannst du dich lieber immer erst hinterher ängstigen, weil du es doch so oft umsonst tust«, schlug die Kleine teilnehmend vor.

      Dann aber griff sie von selbst wieder nach ihrem Strickzeug. Die Krieger, die so freudig in den Kampf hinauszogen, sollten nicht frieren. Vielleicht bekam gerade der nette Soldat, der ihr das Taschentuch wiedergegeben, die Pulswärmer. Nesthäkchen quälte sich mit dem dicken Wollzeug, daß Schweißtropfen auf die gebräunte Kinderstirn traten. Es sah nicht auf, bis Hanne mit der Kaffeekanne erschien und Großmama ihr liebkosend über das Blondhaar fuhr: »So, für heute wollen wir es genug sein lassen, Herzchen.«

      »Hurra – für heute habe ich genug Opfer gebracht!« Nesthäkchen jubelte so laut los, daß ein kecker Spatz, der sich bis auf die Balkonbrüstung gewagt hatte, erschreckt aufflatterte.

      2. Kapitel

      »Extrablatt!«

      Hanne, die treue Alte, die Doktors Nesthäkchen schon auf den Armen getragen, war ganz aus dem Häuschen durch die Kriegsaufregung und die vielen Reden ihrer Freunde, des Grünkramhändlers, Milchmanns und Portiers. Sie wußte gar nicht mehr, was sie tat.

      Auch heute legte sie Großmama neben die Kaffeekanne zu Nesthäkchens heimlichem Entzücken die silberne Suppenkelle hin.

      »Ei, Hanne, soll ich den Kaffee mit der Kelle austeilen«, Großmama lachte mit ihrem Enkelchen um die Wette.

      »Nein, wir sollen sie gewiß als Kaffeelöffel benutzen und den Zucker in der Tasse damit umrühren«, rief Annemarie übermütig.

      »Nee, diese Russen, die machen mich doch reine varrickt«, Hanne griff kopfschüttelnd nach dem etwas groß geratenen Kaffeelöffel.

      »Na, warten Sie nur, Hanne, wenn die Russen erst vor Berlin stehen, dann wird's noch ganz anders sein«, neckte Nesthäkchen. Es kannte die Russenfurcht der treuen Seele.

      Die war denn auch gleich Feuer und Flamme.

      »Um Jottes willen, tu dir nich versündigen, Kindchen. Bis vor Küstrin sollen ja schon die Kosaken streifen, hat der Portier, der heut mit sein Rejiment fortjemacht is, jesagt. Und der Milchmann hat heut morjen janz deutlich Kanonendonner jehört. Und was der Jrünkramfritze von nebenan is, der meint, kommen tun se sicher, die Russen, indem daß wir nämlich zu ville Feinde haben. Mit eenen werden wa woll fertig, aber nich mit det viertel Dutzend!« Hanne reckte ihre dicken, roten Arme, als sei ihr die schwere Aufgabe zugefallen, ganz allein Deutschland gegen all seine Feinde zu verteidigen.

      »Na, beruhigen Sie sich nur, Hanne«, Großmama, die sich vor kurzem selbst deshalb Sorgen gemacht, schaute jetzt belustigt drein. »Unsere tapferen Feldgrauen werden uns schon vor russischem Besuch zu schützen wissen. Auf sie müssen wir vertrauen in dieser schweren Zeit. Vor allem aber auf den Helfer da droben!«

      »Jotte doch, ja – wenn man der Herr Doktor und unsere jnädige Frau zu Hause wären, denn wär' mich auch lang' nich so miesepetrig zumut. Aber so auseinanderjerissen, wie man nu is, da fiehlt man natierlich die Verantwortung für die janze Familie. Denn Jroßmamachen ist doch auch jrade kein Jüngling nich mehr. Und man is doch nu schon über zehn Jahr im Haus.«

      »Ja, ja, Hanne, wir wissen ja, daß Sie's gut meinen.« Großmama, die schon selbst besorgt genug war, mochte sich ihr gemütliches Kaffeestündchen nicht verstören lassen.

      Aber Hannes Mundwerk war mit Ausbruch des Krieges ebenfalls mobil gemacht, wenn sie jetzt anfing zu reden, hörte sie so schnell nicht auf.

      »Ja, und was ich noch sagen wollte, die Leute reden ja alle, es jibt sicher 'ne Hungersnot. Wie wild kaufen se ein. Was der Kaufmann von de Ecke is, hat zumachen müssen, weil se ihm seinen Laden geradezu jestürmt haben. Ich hab' auch 'n bisken was mitjebracht, man kann ja nie wissen, wie's kommt. Nudeln und saure Heringe und 'n scheenen Spickaal und Schokoladenpulver. Denn mir hat letzte Nacht jeträumt – – –«

      Hanne sollte ihren Traum nicht mehr zum besten geben können, denn lachend fiel Nesthäkchen ihr ins Wort: »Au, wenn's Hungersnot gibt, dann stippen wir die Nudeln in die saure Heringssoße, und den Spickaal essen wir mit Schokoladenspeise!«

      »Ach, Annemiechen, du bist noch ville zu jung, um den Ernst der Zeit zu bejreifen«, Hanne machte Miene, sich wieder an die alte Dame zu wenden, bei der sie mehr Verständnis zu finden hoffte.

      Aber auch Großmama hatte vorläufig genug. »Bitte, rufen Sie Klaus zum Kaffee, Hanne, und sehen Sie zu, ob Herr Hans schon zurück ist.« Damit war die Unterhaltung fürs erste abgebrochen.

      »Der Herr Hans ist noch nich wieder da, und auch unser Klaus is fortjejangen«, kam die Köchin nach kurzem wieder zurück.

      »Klaus auch fort?« trotzdem Großmama in den fünf Tagen, in denen sie Doktor Brauns Sprösslinge bemutterte, nun schon daran gewöhnt sein mußte, daß Klaus öfters von der Bildfläche verschwand, erschrak sie stets aufs neue. »Ich dachte, er liest in seinem Zimmer. Wo mag der Junge nun bloß wieder stecken?« Es war doch nicht so einfach, mit den wilden Enkelkindern fertig zu werden. Großmama

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