Hampelmann. Anton Weiß

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Hampelmann - Anton Weiß

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die ich immer wieder anpeilte. Auch den Top-Spin versuchte ich so zu spielen, dass er immer wieder an die gleiche Stelle zurückkam. Besonders wichtig war mir, dass niemand sehen konnte, wie ich mich verbesserte. Das war mein Traum: Eines Tages auf den Platz zu gehen, als Nobody, und den besten Tennisspieler zu besiegen. Da merkte ich, wie sich der Zwerg so richtig aufpumpte, dass er aufpassen musste, nicht zu zerplatzen.

      Als kleiner Junge hatte ich da ein Erlebnis, als ich mit dem Fahrrad freihändig fuhr. Ich war stolz, freihändig fahren zu können und wollte es allen zeigen: „Schaut her, wie toll ich freihändig fahren kann“, schrie es in mir. Aber schnell merkte ich, dass es überhaupt keinen auf der Straße interessierte, dass da ein kleiner Junge auf dem Fahrrad seine Künste zeigte. Da wurde mir schon klar, dass anderen das, was für mich so wichtig und so herzeigenswert war, überhaupt nichts bedeutete. Da begegnete mir zum ersten Mal der Zwerg. Ich hatte immer das Empfinden, dass ich mich zu wichtig nahm und litt darunter. Aber so sehr ich mich auch bemühte, dagegen etwas zu tun – immer wieder ertappte ich mich dabei.

      Später beobachtete ich, wie es die anderen hielten. Da erlebte ich, wie Mütter, die kleine Kinder oder gar Babys hatten, über gar nichts anderes mehr sprachen als über ihre Kinder. Die Welt bestand nur aus dem Wohl und Wehe ihres Jüngsten: dass das Baby schon zwei Tage keinen Stuhlgang mehr hatte, wie es gestern so viele Blähungen hatte, dass die Windeln bald zu klein werden und man viel zu viele gekauft hatte, dass man viele Kleidungssachen im Secondhand-Laden kaufe, weil man es ja sonst nicht mehr bezahlen könnte, dass andere gar keine Ahnung davon haben, wie sehr man mit so einem kleinen Knirps rund um die Uhr beschäftigt sei, und so weiter. So langsam begriff ich, dass jeder in seiner Welt lebt, in der er der Mittelpunkt zu sein schien. Für das, was die anderen bewegte, brachten nur die wenigsten echtes Interesse auf. Meistens wartete der eine nur, bis der andere geendet hatte, damit er dann von sich erzählen konnte. Das erlebte ich sehr deutlich bei meiner Mutter; wenn sie mit ihrer Nachbarin auf ihre Krankheiten zu sprechen kam – und das kam es immer, ein anderes Gesprächsthema habe ich kaum je erlebt – dann konnte es keine von beiden erwarten, bis die andere geendet hatte, um sofort von ihren Krankheiten zu berichten. Da erlebte ich den Zwerg bei anderen und nahm mir vor, es anders zu machen.

      Ich selbst hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich entdeckte, dass ich mich in den Mittelpunkt gestellt hatte; das war wohl auch der Hintergrund des Leeregefühls nach guten Gesprächen. Wenn es mir einmal gelang, in einem Gespräch die Rede auf Dinge zu lenken, die mich interessierten und ich ins Reden kam und von meinen eigenen Gedanken überrascht und überwältigt war, fühlte ich mich zu Hause immer wie ausgebrannt, wie wenn ich Geld ausgegeben hätte, das mir nicht gehörte.

      Dennoch versuchte ich auch, den anderen zuzuhören und auf das einzugehen, was sie bewegte. Ich war ein religiöser Mensch und bemüht, das was Jesus sagt, in meinem Leben umzusetzen, und da steht ja bekanntlich das Interesse am anderen obenan, was mit Nächstenliebe bezeichnet wird. Vielleicht tue ich anderen unrecht, wenn ich behaupte, dass man einen religiösen Menschen heute mit der Lupe suchen muss, und damit meine ich einen Menschen, der das zu leben versucht, was im Neuen Testament steht und nicht nur die konventionellen religiösen Formen vollzieht. Und das kann jemand sein, der sich selbst gar nicht als religiös einstufen mag, weil er sich von den Menschen, die vorgeben, religiös zu sein, abgestoßen fühlt. Wichtig ist nicht, wozu sich einer bekennt, sondern wie er handelt. Nicht, was einer sagt ist der Maßstab, nach dem er beurteilt wird, sondern wie sich einer verhält. Und da klafft bei vielen zwischen Reden und Tun doch eine große Lücke.

      Dass ich religiös bin, ist kein persönliches Verdienst, ich habe überhaupt nichts dazu getan, ich habe mich so vorgefunden. Meine Mutter erzählte mir, wie ich schon mit vier Jahren kaum vom Rockzipfel einer Ordensschwester wegzubringen war, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot wie zum Beispiel bei einem Besuch in einem Krankenhaus, das damals noch oft von Ordensschwestern geführt wurde.

      Ob es mit meiner Religiosität zusammenhing oder einfach mit meinem Menschsein, vermag ich gar nicht zu sagen. Seit ich denken kann war ich bemüht, kein ichhafter Mensch zu sein; ob mir dabei die Religion den Weg dazu wies oder ob ich durch die Religion erst darauf gestoßen wurde, weiß ich gar nicht. Tatsache ist, dass ich immer ein schlechtes Gewissen hatte, wenn ich mich bei ichhaftem Verhalten ertappte oder mich ertappt fühlte. Es war mir furchtbar peinlich und ich schämte mich vor mir selbst, wenn ich mir eingestehen musste, dass ich aus egoistischen Gründen gehandelt hatte, was sich bei ganz alltäglichen Situationen einstellte, zum Beispiel, wenn ich mir beim Essen schnell das leckerste Stück angelte, damit es keinem anderen in die Hände fiel. Oft merkten es die anderen gar nicht, wenn es aber der Fall war, dann wäre ich am liebsten im Boden versunken.

      Mir kam der Verdacht, dass ich überhaupt nicht weniger ichhaft war als alle anderen, dass ich die Religion benützte, um mich als Ich in den Vordergrund zu schieben, also als Vorwand, um mich wichtig zu machen. Da befand ich mich in einer grotesken Situation: Mein ganzes Bemühen kreiste darum, nicht ichhaft zu sein und mein Leben auf Gott auszurichten, und genau darin lag meine Ichhaftigkeit. Da stellte sich mir die Frage, wie ernst es mir nun mit der Religion war, deren Kern ja darin lag, das Ich zu transzendieren. Ging es mir nun im Innersten darum oder wollte ich mich nur damit wichtig machen? Und ich kam zu der Überzeugung, dass beides richtig war, dass beides ganz nahe beieinander lag und dass es genau darum ging, sich auf die richtige Seite zu schlagen.

      8

      Bei dem gescheiterten Versuch, Akkordeon zu lernen, blieb es nicht. Immer, wenn ich andere Musikmachen sah, sei es bei Schulveranstaltungen oder bei anderen Gelegenheiten, war ich begeistert, wenn einer sein Können vorführte. Es sah immer so leicht aus und ich dachte: „Das lernst du auch.“ So sammelten sich bei mir nach und nach Instrumente an, die ich alle angefangen und bald wieder aufgegeben hatte. So hängt heute eine Gitarre an der Wand, eine Posaune steht im Eck und die Piccoloflöte stammt von meinem Vater.

      Als ich ans Gymnasium kam, wurden wir vom Musiklehrer gefragt, wer ein Instrument lernen wollte. Es wurden verschiedene Instrumente genannt, für die es Lehrer gab, die Unterricht erteilen würden, unter anderem Geige, Trompete, Querflöte und Cello. Ich hatte keine Ahnung, was ein Cello war und meldete mich dafür. Als ich meinem Vater von meinem Entschluss erzählte, war er nicht gerade begeistert. Ich konnte es ihm nicht verdenken, denn mein Durchhaltevermögen war ja bekannt. „Ein Cello kann ich dir nicht kaufen, was glaubst du, was das kostet!“ Aber das hinderte mich nicht daran, Cello zu lernen, denn die Schule stellte Instrumente zur Verfügung. Zum Üben ging ich jeden Tag eine Stunde vor Unterrichtsbeginn in die Schule und spielte Cello, und das von der fünften bis zur elften Klasse! Dass es genau das Instrument war, das zu mir passte, hat niemand ahnen können; aber das war offensichtlich der Grund, warum ich zu großen Opfern bereit war, darin vorwärts zu kommen. Dabei empfand ich es gar nicht als Opfer. Früh aufstehen machte mir nichts aus und die Schule war zu Fuß in 15 Minuten zu erreichen. Mein Vater wählte das Gymnasium nach gut überlegten Gründen: Es war ein wirtschaftswissenschaftliches Gymnasium und er erkannte ganz richtig, welch wichtige Rolle die Wirtschaft in unserem Leben noch spielen würde, und es war leicht zu Fuß zu erreichen. Dass es für mich keinen größeren Missgriff hätte geben können, konnte er nicht ahnen und ich machte es ihm auch nie zum Vorwurf. Stenographie und Schreibmaschine zu lernen war ja noch recht hilfreich, aber Buchführung und Wirtschaftslehre war für mich eine derart tote und uninteressante Welt, dass es nur jemand überstehen konnte, der so introvertiert war wie ich. Die Innenwelt war mir viel wichtiger als die konkrete Realität. Ob ein Raum schön oder hässlich war, eine warme oder kalte Atmosphäre hatte, bedeutete mir nichts. Ob jemandem eine Kleidung stand, ob der Rock zur Bluse oder das Hemd zum Sakko passte oder nicht, konnte ich überhaupt nicht beurteilen. Mir war wichtig, wie etwas funktionierte, ein Wecker etwa, und da war keiner vor mir sicher. Im Zerlegen war ich Meister, aber die Feder wieder so an ihren Ort und in die richtige Lage zu bringen, dass die Uhr hinterher wieder funktionierte, das war nicht immer der Fall.

      9

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