Hampelmann. Anton Weiß
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Hampelmann - Anton Weiß страница 8
Unser Cellolehrer hatte große Pläne; er wollte ein reines Celloorchester aufbauen. Peter und ich waren dafür durchaus vorgesehen, aber es kam nie dazu.
Die Konkurrenz zwischen mir und Peter war – jedenfalls von mir her – nicht mit bösen Gedanken verbunden wie etwa Missgunst, sondern sie war mir ein Ansporn, mein Bestes zu leisten.
Klassische Musik zu spielen war mir allmählich zum Bedürfnis geworden, nachdem ich mein einschneidendes Bach-Erlebnis hatte. Cello ist ja eigentlich kein Soloinstrument, sondern zur Geltung kommt es erst im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten. So ergab sich zwangsläufig das Bedürfnis - als ich nach einigen Jahren ganz ordentlich spielen konnte -, sich nach Leuten umzuschauen, die Geige bzw. Klavier spielten. Im Trio zu spielen war etwas Wunderbares; es gab viele leichte Stücke, ich musste nur Leute finden, die mir nicht zu weit voraus waren, damit ich nicht der Hemmschuh wäre. Ein Geiger fand sich schnell; er hieß Rainer und war ein Klassenkamerad, der schon vor seiner Schulzeit angefangen hatte, Violine zu spielen und auch jetzt immer noch Privatunterricht nahm. Er spielte viel zu gut für mich, aber da auch er auf der Suche war, und die Cello-Partien in Trios in der Regel leichter als die für Geige und Klavier waren, fanden wir uns zusammen. Klavier könnte einer spielen, der im Hause von Rainer wohnte. Er war bedeutend älter als wir und ein hervorragender Klavierspieler. Durch ihn erlebte ich zum ersten Mal Dimensionen, die mir zeigten, in welch verschiedenen Welten wir Menschen leben: Er hatte das absolute Gehör. Bis dahin wusste ich gar nicht, was das war und dass es so etwas geben könnte, und ich konnte es auch nicht glauben. Josef war gerne bereit, sich von mir auf die Probe stellen zu lassen. Er drehte sich um und ich schlug einen Ton auf dem Klavier an. „b“. Ich hatte ein b angeschlagen; ich schaute mich um, ob da irgendwo ein Spiegel wäre, aber es war nirgends einer. Ich ging die ganze Klaviatur hinauf und hinunter – es gab keinen Zweifel, für mich absolut rätselhaft, - er hatte das absolute Gehör. Bescheiden lächelnd drehte er sich wieder zu mir um; für ihn war es nichts Außergewöhnliches. Und er war ein ausgezeichneter Klavierspieler und ein ganz liebenswürdiger Mensch; ein ganz weicher, sanfter und stiller Typ. Durch ihn hatte ich mein großes Bach-Erlebnis. Er spielte uns ein Stück von Bach in einer solchen Vollendung vor, wie ich es bis dahin noch nicht erlebt hatte. Von Musik fühlte ich mich immer schon angesprochen, aber die Welt, die sich durch sein Spiel in mir auftat, war unbeschreiblich. Ein Glücksgefühl durchströmte mich, eine Wonne, wie eine duftende Blumenwiese im Sonnenschein. Beim nächsten Treffen bat ich ihn, nochmals das Stück von Bach zu spielen. Ich setzte mich in erwartungsvoller Haltung hin und war überzeugt, mich wieder dem wohligen Genuss der Musik hingeben zu können. Josef – die Abkürzung Sepp hörte er nicht so gerne - spielte, ich hörte zu, aber es stellte sich kein Hochgefühl ein. Es waren nur Klaviertöne, schöne, aber kein erhebendes Erlebnis. Ich ließ mir meine Enttäuschung nicht anmerken, sie hatte ja nichts mit dem Klavierspiel von Josef zu tun. Ich war um eine ganz grundlegende Erfahrung reicher. Es gab da etwas, das man nicht machen kann, das man nicht willentlich herstellen kann, ein Geschenk, das sich gibt, wenn man es nicht erwartet und das sich entzieht, wenn man es erwartet. Gültigkeit gibt es nur für den Augenblick, was jetzt richtig ist, kann im nächsten Moment falsch sein. Man kann nichts festhalten, alle ist im Fluss. Das also war es, was Heraklit meinte, als er sagte: „Du kannst nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen.“ Es war eine Erfahrung, die mir die Tiefe des Lebens sichtbar machte und die für mein ganzes späteres Leben bestimmend bleiben sollte.
Josef war mir auch in einer anderen Hinsicht ein Erlebnis. Nachdem wir uns wieder einmal bei ihm zum Trio getroffen hat-
ten – Rainer war schon wieder nach oben in seine Wohnung gegangen -, fragte mich Josef ganz unvermittelt: „Wie würdest du empfinden, wenn dich ein Homosexueller ansprechen würde?“ Ich war schockiert, Homosexualität war für mich abartig, widernatürlich, es stand ja Gefängnisstrafe darauf, es war der § 175. „Ich wäre angewidert, aber anzeigen würde ich ihn nicht“, war meine spontane Antwort. „Das finde ich nett von dir, dass du ihn nicht anzeigen würdest“, und damit begleitete mich Josef zur Türe und verabschiedete mich. „Also, bis zum nächsten Mal.“
Ich muss damals schon noch ziemlich naiv gewesen sein, denn erst, als wir längst auseinandergegangen waren, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass Josef homosexuell war.
Sein unauslöschliches Verdienst blieb es, mir den Sinn für Johann Sebastian Bach eröffnet zu haben. Später versuchte ich mich an dessen Solo-Suiten; mein Scheitern daran war einer der Gründe, warum ich das Cello-Spielen aufhörte, aber auch andere Dinge spielten eine Rolle, wie zum Beispiel das Abitur, auf das es zuging und dass ich durchs Tennisspielen ziemlich in Anspruch genommen war.
Vielleicht spielte sogar auch das Ende der Rivalität mit Peter eine Rolle. Die klassische Musik war ja für uns beide die einzig wahre, jede andere straften wir mit Verachtung. Wir fühlten uns durch unsere Leidenschaft zur klassischen Musik verbunden und herausgehoben aus der Masse, die wir auch in der an unserer Schule entstehenden Big Band vertreten sahen.
Meine Enttäuschung von Peter war unbeschreiblich und sie begründete auch den Bruch zwischen uns, zu dem es dadurch kam: Eines Tages hatte ich im Musikübungsraum, in dem ich in der Frühe immer Cello übte, meinen Schal vergessen und wollte ihn nach Unterrichtsschluss holen. An diesem Donnerstag hatten wir noch zwei Nachmittagsstunden und als ich mich dem Musikzimmer näherte, tönte daraus schon laute Musik der Big Band. Als ich eintrat, erblickte ich Peter. Er stand am Kontrabass und schaute mich verlegen an. Ohne ein Wort zu sagen, steuerte ich auf den Stuhl zu, über dem mein Schal hing und ging wieder zur Türe. Den Rückweg wählte ich so, dass ich an Peter vorbei musste; ich zischte ihm nur ein einziges Wort zu: „Verräter!“ In der ganzen Zeit, in der wir beisammen waren, hat er nie auch nur eine winzige Andeutung gemacht, dass er nebenbei auch Kontrabass spielte und sich in der Big Band, in der von uns verpönten Musik, engagierte. Da konnte ich bei einem anderen sehen, wie das Innere beschaffen war. Das war auch ein Mosaikstein, der in das Bild eingefügt wurde, das ich mir vom Menschen machte.
10
Ich weiß nicht, wie viele Jahre es schon ging, als mir meine „Krankheit“ so richtig zu Bewusstsein kam. Ich bezeichnete es als Krankheit, auch wenn ich damit nicht zum Arzt gehen musste. Aber ich ging zu meinem Religionslehrer. Einmal, als er Pausenaufsicht hatte, sprach ich ihn darauf hin an. Er war der einzige, von dem ich dachte, dass ich mich ihm anvertrauen könnte. Ich hielt ja immer schon große Stücke auf ihn und glaubte, dass, wenn irgendwer, er es sei, der mir helfen könnte. So versuchte ich ihm zu schildern, was mich plagte. Es war die Musik in meinem Kopf. Völlig gleich, ob es Lieder waren, die ich gehört hatte oder klassische Musik, Opernmelodien oder Gassenhauer, immer wieder drängten sich Musik oder Gesang in mein Gehirn, und zwar gegen jeden Willen und jede Absicht. Es konnten die blödesten Lieder sein wie „Marie, do liegt a toter Fisch im Wasser, den mach ma hi“ oder das „Halleluja“ aus dem Messias, Beethovens 5. Symphonie oder ein Schlager, der gerade im Radio gespielt wurde. Ob ich für die Schule arbeitete oder auf dem Tennisplatz stand, immer wieder drängten sich Lieder auf und ich fand kein Mittel, sie