Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt. Rudolf Steiner

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Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt - Rudolf Steiner

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stehe, wie es sich der gedanklichen Weltanschauung ergibt. Man muss sich vorstellen, was in einer Seele vorgeht, die in aller Schärfe solchen inneren Zwiespalt erlebt, an ihm leidet; dann wird man nachfühlen, wie in dieser Seele des Empedokles die alte Vorstellungsart als Kraft des Empfindens aufersteht, aber unwillig ist, sich dies zum vollen Bewusstsein zu bringen, und so in gedanken-bilderhafter Art ein Dasein sucht, in jener Art, von der Aussprüche des Empedokles ein Widerklang sind, die, aus dem hier Angedeuteten heraus verstanden, ihre Sonderbarkeit verlieren. Wird doch von ihm ein Spruch wie dieser angeführt: »Lebt wohl. Nicht mehr ein Sterblicher, sondern ein unsterblicher Gott wandle ich umher; ... und sobald ich in die blühenden Städte komme, werde ich von Männern und Frauen verehrt: sie schließen sich an mich an zu Tausenden, mit mir den Weg zu ihrem Heile suchend, da die einen Weissagungen, die anderen Heilsprüche für mannigfaltige Krankheiten von mir erwarten.« So betäubt sich die Seele, in welcher eine alte Vorstellungsart rumort, die sie ihr eigenes Dasein wie das eines verbannten Gottes empfinden lässt, der aus einem anderen Sein in die entseelte Welt der Sinne versetzt ist, und der deshalb die Erde als »ungewohnten Ort« empfindet, in den er wie zur Strafe geworfen ist. Man kann gewiss auch noch andere Empfindungen in der Seele des Empedokles finden; denn es leuchten aus seinen Aussprüchen Weisheitsblitze bedeutsam heraus; sein Gefühl gegenüber der »Geburt der gedanklichen Weltanschauung« ist durch solche Stimmungen gegeben.

      Anders als diese Persönlichkeit sahen diejenigen Denker, welche man die Atomisten nennt, auf das hin, was für die Seele des Menschen aus der Natur durch die Geburt des Gedankens geworden war.

      Man sieht den bedeutendsten unter ihnen in Demokrit (geb. um 460 v. Chr. in Abdera). Leukipp ist ihm eine Art Vorläufer.

      Bei Demokrit sind die Homoiomerien des Anaxagoras um einen bedeutenden Grad stofflicher geworden. Bei Anaxagoras kann man die Ur-Teil-Wesen noch mit lebendigen Keimen vergleichen; bei Demokrit werden sie zu toten, unteilbaren Stoffteilchen, welche durch ihre verschiedenen Kombinationen die Dinge der Außenwelt zusammensetzen. Sie bewegen sich voneinander, zueinander, durcheinander: so entstehen die Naturvorgänge. Der Weltverstand (Nus) des Anaxagoras, welcher wie ein geistiges (körperloses) Bewusstsein in zweckvoller Art die Weltenvorgänge aus dem Zusammenwirken der Homoiomerien hervorgehen lässt, wird bei Demokrit zur bewusstlosen Naturgesetzmäßigkeit (Ananke).

      Die Seele will nur gelten lassen, was sie als nächstliegendes Gedankenergebnis erfassen kann; die Natur ist völlig entseelt; der Gedanke verblasst als Seelen-Erlebnis zum inneren Schattenbilde der entseelten Natur. Damit ist durch Demokrit das gedankliche Urbild aller mehr oder weniger materialistisch gefärbten Weltanschauungen der Folgezeit in die Erscheinung getreten.

      Die Atomen-Welt des Demokrit stellt eine Außenwelt, eine Natur dar, in welcher nichts von »Seele« lebt. Die Gedanken-Erlebnisse in der Seele, durch deren Geburt die Menschenseele auf sich selbst aufmerksam geworden ist: bei Demokrit sind sie bloße Schatten-Erlebnisse.

      Damit ist ein Teil des Schicksals der Gedanken-Erlebnisse gekennzeichnet. Sie bringen die Menschenseele zum Bewusstsein ihres eigenen Wesens, aber sie erfüllen sie zugleich mit Ungewissheit über sich selbst. Die Seele erlebt sich durch den Gedanken in sich selbst, aber sie kann sich zugleich losgerissen fühlen von der geistigen, von ihr unabhängigen Weltmacht, die ihr Sicherheit und inneren Halt gibt.

      So losgebunden in der Seele fühlten sich diejenigen Persönlichkeiten, welchen man innerhalb des griechischen Geisteslebens den Namen »Sophisten« gibt. Die bedeutendste in ihren Reihen ist Protagoras (von Abdera um 480-410 v. Chr.). Neben ihm kommen in Betracht: Gorgias, Kritias, Hippias, Trasymachus, Prodikus. Die Sophisten werden oftmals als Menschen hingestellt, die mit dem Denken ein oberflächliches Spiel getrieben haben. Viel hat zu dieser Meinung die Art beigetragen, wie sie der Lustspieldichter Aristophanes behandelt hat. Es kommt aber, neben vielem anderen, schon als äußerlicher Grund zu einer besseren Würdigung zum Beispiel in Betracht, dass selbst Sokrates, der sich in gewissen Grenzen als Schüler des Prodikus fühlte, diesen als einen Mann bezeichnet haben soll, der für die Veredelung der Sprache und des Denkens bei seinen Schülern gut gewirkt hat.

      Protagoras‹ Anschauung erscheint in dem berühmten Satz ausgesprochen: »Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nicht seienden, dass sie nicht sind.« In der Gesinnung, welche diesem Satz zugrunde liegt, fühlt sich das Gedanken-Erlebnis souverän. Einen Zusammenhang mit einer objektiven Weltenmacht empfindet es nicht. Wenn Parmenides meint: Die Sinne geben dem Menschen eine Welt der Täuschung, – man könnte noch weiter gehen und hinzufügen: Warum sollte das Denken, das man zwar erlebt, nicht auch täuschen? Doch Protagoras würde erwidern: Was kann es den Menschen bekümmern, ob die Welt außer ihm anders ist, als er sie wahrnimmt und denkt? Stellt er sie denn für jemand anderen als für sich vor? Mag sie für ein anderes Wesen sein wie immer, der Mensch braucht sich darüber keine Sorge zu machen. Seine Vorstellungen sollen doch nur ihm dienen; er soll mit ihrer Hilfe seinen Weg in der Welt finden. Er kann, wenn er sich völlig klar über sich wird, keine anderen Vorstellungen über die Welt haben wollen als solche, welche ihm dienen. Protagoras will auf das Denken bauen können; dazu stützt er es lediglich auf dessen eigene Machtvollkommenheit.

      Damit aber setzt sich Protagoras in gewisser Beziehung in Widerspruch mit dem Geiste, der in den Tiefen des Griechentums lebt. Dieser »Geist« ist deutlich vernehmbar innerhalb des griechischen Wesens. Er spricht bereits aus der Aufschrift des delphischen Tempels »Erkenne dich selbst«. Diese alte Orakelweisheit spricht so, als ob sie die Aufforderung enthielte zu dem Weltanschauungsfortschritt, der sich aus dem Bildervorstellen zu dem gedanklichen Ergreifen der Weltgeheimnisse vollzieht.

      Es ist durch diese Aufforderung der Mensch hingewiesen auf die eigene Seele. Es wird ihm gesagt, dass er in ihr die Sprache vernehmen könne, durch welche die Welt ihr Wesen ausspricht. Aber es wird damit auch auf etwas verwiesen, was in seinem eigenen Erleben sich Ungewissheiten und Unsicherheiten erzeugt. Die Geister innerhalb Griechenlands sollten die Gefahren dieses sich auf sich selbst stützenden Seelenlebens besiegen. So sollten sie den Gedanken in der Seele zur Weltanschauung ausgestalten.

      Die Sophisten sind dabei in ein gefährliches Fahrwasser geraten. In ihnen stellt sich der Geist des Griechentums wie an einen Abgrund; er will sich die Kraft des Gleichgewichts durch seine eigene Macht geben. Man sollte, wie schon angedeutet worden ist, mehr auf den Ernst dieses Versuches und auf seine Kühnheit blicken, als ihn leichthin anklagen, wenn auch die Anklage für viele der Sophisten gewiss berechtigt ist. Doch stellt sich dieser Versuch naturgemäß in das griechische Leben an einem Wendepunkte hinein.

      Protagoras lebte um 480-410 v. Chr. Der Peloponnesische Krieg, der an dem Wendepunkte des griechischen Lebens steht, fand statt von 431-404 v. Chr. Vorher war in Griechenland der einzelne Mensch fest in die sozialen Zusammenhänge eingeschlossen; die Gemeinwesen und die Tradition gaben ihm den Maßstab für sein Handeln und Denken ab. Die einzelne Persönlichkeit hatte nur als Glied des Ganzen Wert und Bedeutung. Unter solchen Verhältnissen konnte noch nicht die Frage gestellt werden: Was ist der einzelne Mensch wert? Die Sophistik stellt diese Frage, und sie macht damit den Schritt zu der griechischen Aufklärung hin. Es ist doch im Grunde die Frage: Wie richtet sich der Mensch sein Leben ein, nachdem er sich des erwachten Gedankenlebens bewusst geworden ist? Von Pherekydes (oder Thales) bis zu den Sophisten ist in Griechenland innerhalb der Weltanschauungsentwicklung das allmähliche Einleben des schon vor diesen Persönlichkeiten geborenen Gedankens zu beobachten. An ihnen zeigt sich, wie der Gedanke wirkt, wenn er in den Dienst der Weltanschauung gestellt wird. Doch ist diese Geburt in der ganzen Breite des griechischen Lebens zu bemerken. Die Weltanschauung ist nur ein Gebiet, auf dem sich eine allgemeine Lebenserscheinung in einem besonderen Falle auslebt. Man könnte eine ganz ähnliche Entwicklungsströmung auf den Gebieten der Kunst, der Dichtung, des öffentlichen Lebens, der verschiedenen Gebiete des Handwerks, des Verkehrs nachweisen. Diese Betrachtung würde überall zeigen, wie die menschliche Wirksamkeit eine andere wird unter dem Einfluss derjenigen Organisation des Menschen, die in die Weltanschauung den Gedanken einführt. Die Weltanschauung »entdeckt« nicht etwa den Gedanken, sie entsteht vielmehr dadurch, dass sie sich des geborenen

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