Der blaurote Methusalem. Karl May

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Der blaurote Methusalem - Karl May

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ließ dabei ein ungeduldiges Knurren hören. Er war vom »Geldbriefträger von Ninive« her gewöhnt, daß das Glas sofort gefüllt werde.

      Der Methusalem erklärte den Polizisten, daß man ihrer Hilfe nicht bedürfe, worauf sie sich entfernten. Dann nahmen die vier Reisenden an dem Tische Platz, den der Hund für sie eingenommen hatte. Degenfeld erkundigte sich, ob man Bier bekommen könne, und erhielt eine bejahende Antwort.

      »So bringen Sie uns vier gute Schlucke!« befahl er. »Wir haben Durst.«

      Die Kellner rannten alle von dannen, um dieser Weisung Gehorsam zu leisten. Nur der Wirt blieb zurück. Er postierte sich in ehrerbietiger Entfernung und verwandte kein Auge von den vier Leuten, deren Herkommen und Lebensstellung selbst ihm ein Rätsel war.

      Da trat ein neuer Gast herein, dessen Person ganz geeignet war, die Blicke der Anwesenden auf sich zu ziehen.

      Der Mann war nicht hoch, aber so dick, daß er wohl seit Jahren seine eigenen Füße nicht hatte sehen können. Sein Körper war ein ungeheurer Fleischklumpen zu nennen, welcher sich nur langsam fortbewegen zu können schien. Das glatt rasierte, runde Vollmondsgesicht glänzte in dunkler Röte. Ebenso auffällig wie seine Gestalt war seine Kleidung. Er trug Hose, Weste und Jacke von seinem, weißem Linnen. Die letztere war so kurz, daß die gewaltige Halbkugel des Bauches zur vollsten Geltung kam. Die Füße steckten in niedrigen chinesischen Schuhen mit vier Zoll hohen Filzsohlen. Um den Bauch – denn Taille konnte man unmöglich sagen, und von Hüften war auch keine Rede – trug er eine rotseidene Schärpe, aus welcher der eingelegte, kostbare Griff eines malaiischen Kris hervorblickte. Der Schädel bildete eine einzige große, haarlose Platte, welche kaum halb von einer kleinen, schwarz und weiß karrierten, schottischen Mütze bedeckt wurde, von der zwei lange, breite, ebenso gefärbte Schleifen bis auf den Rücken herabhingen. Zwei lange Flinten, welche sich hinten und deren Riemen sich vorn über der Brust kreuzten, hingen ihm auf dem Rücken. Ueber die beiden Läufe dieser Gewehre war eine schwarze, wohlgefüllte und sorgfältig zugeschnallte Ledertasche gehängt, und in der Rechten trug er einen chinesischen Sonnenschirm von solcher Größe, daß eine ganze Familie unter demselben Platz finden konnte.

      »Goeden dag, mijne Heeren!« grüßte er in breiter, holländischer Sprache. »Het is tijd, dat wij aan tafel gaan!« Das heißt zu deutsch: »Guten Tag, meine Herren! Es ist Zeit, daß wir zu Tische gehen!«

      Das war eine ganz eigene Art und Weise, zumal er die Anwesenden dabei gar nicht anblickte und, ohne sie zu beachten, mit kleinen, gewichtigen Blicken auf den nächsten Tisch zusteuerte. Der Wirt schien ihn zu kennen, denn er stürzte dienstfertig herbei, schob unter mehreren tiefen Verbeugungen zwei Stühle zusammen, da der Gast auf nur einem nicht genügend Platz gefunden hätte, nahm ihm die Tasche, die beiden Flinten und den Regenschirm ab und plazierte diese Gegenstände mit zarter Sorgfalt in der Nähe des Gastes.

      Ueber das Gesicht des Methusalem war beim Anblicke und bei dem Gruße dieses Mannes ein heiteres Lächeln geglitten. Er erhob sich, machte eine Verneigung und antwortete in lustigem Tone: »Neemt plaats; maakt geene Komplimenten; doet als of gij thuis waart – setzen Sie sich; machen Sie keine Umstände; thun Sie, als ob Sie zu Hause wären!«

      Jetzt erst blickte der Dicke zu den Vieren herüber. Er musterte sie einige Sekunden lang, zog dann die haarlosen Brauen zusammen und sagte zu dem höflichen Methusalem: »Zij zijn een ongelukkige nijlpaard – Sie sind ein unglückliches Nilpferd!«

      Dann krachte er seufzend auf die zwei Stühle nieder und gähnte, als ob er die halbe Atmosphäre einschlucken wolle.

      »En zij zijn een dick stekelvarken – und Sie sind ein dickes Stachelschwein!« rief der Student ihm lachend zu.

      »Zij schaap – Sie Schaf!« antwortete der Dicke verächtlich.

      »Zij neushoorn – Sie Nashorn!« warf der Methusalem zurück.

      »Zij – zij – zij papegaai – Sie Papagei!« donnerte der Dicke.

      »Zij hooi-hofd – Sie Heukopf!« lachte Degenfeld.

      Da stand der Dicke aus, streckte beide Fäuste aus und brüllte mit überschnappender Stimme: »Zij dor vlammetje, zij droogen kleermaker – Sie dürres Streichhölzchen, Sie trockener Schneider. Zij – zij – zij – – –«

      Er kam nicht weiter. Der Neufundländer hatte das feindselige Verhalten des Dicken bemerkt, war von seinem Stuhle gestiegen und kam langsam auf ihn zugeschritten. Bei ihm angekommen, richtete er sich auf, legte ihm die Pfoten auf die Achseln, zeigte die Zähne und knurrte ihm warnend in das rote Gesicht, als ob er sagen wolle: »Du, nun ist's genug, sonst bekömmst du es mit mir zu thun!«

      Dem Bedrohten blieb das beabsichtigte Schimpfwort im Munde stecken. Er ließ sich auf seine Stühle niedersinken, wodurch der Hund wieder vierfüßig zu stehen kam, und rief wider alles Erwarten dem Wirte zu: »Ik heb Honger; gevt mij eene soep en kalfsvleesch – ich habe Hunger; geben Sie mir eine Suppe und Kalbfleisch!«

      Das sah so komisch aus und klang so drollig, daß die vier andern in ein lautes Gelächter ausbrachen. Der Hund zog die Oberlippe in Falten, als ob er in dieses Lachen einstimmen wolle, und kehrte schweifwedelnd zu seinem Herrn und auf seinen Stuhl zurück. Als der Dicke sich nicht mehr von dem Tiere bedrängt sah, wendete er sich um und rief in zornigem Tone: »Mijne Heeren, ik zoude mij schaamen, zoo dom de lagchen. Eet gij liefst een vleesch of en eyeren-koek; dit is buiten twijfel beter dan dit ondeugende foeikzen – meine Herren, ich würde mich schämen, so dumm zu lachen. Essen Sie lieber ein Fleischernes oder einen Eierkuchen; dies ist ohne Zweifel besser als dieses nichtsnutzige Feixen!«

      Diese geharnischte Rede hatte nur ein vermehrtes Gelächter zur Folge, was den Dicken so erboste, daß er, vorher tief Atem holend, die Lachenden mit wahrer Donnerstimme anfuhr: »Mijne heeren, gij zijt slecht, gij zijt slechter, gij zijt de allerslechtsten; gij zijt myne vyanden; gij – gij – gij zijt vier zuuren aapen – meine Herren, Sie sind schlecht, Sie sind schlechter, Sie sind die allerschlechtesten; Sie sind meine Feinde; Sie – Sie – Sie sind vier saure Affen!«

      Es läßt sich denken, daß die Lacher durch diese Donnerworte nicht in eine ernstere Stimmung versetzt wurden.

      »Herrlich, herrlich!« rief Gottfried von Bouillon; »dat ist jeradezu kostbar; dat ist jöttlich! Sie sind der ausjezeichnetste Mijnheer, der mich jemals vorjekommen ist! Aber ich bitt Ihnen, schonen Sie Ihre fette Konstitution, sonst könnten Sie gar leicht zerplatzen. Man sieht den Leberthran Ihnen schon jetzt aus allen Poren schwitzen!«

      Der Holländer wollte auf diese Beleidigung antworten; da aber brachte einer der Kellner ihm die verlangte Suppe, und er zog es vor, dieser seine Aufmerksamkeit zu widmen. Er knurrte nur noch: »Eene soep is beter dan zoo een bedorven schaap – eine Suppe ist besser als so ein verdorbenes Schaf!«

      Er warf dem Gottfried eine verächtliche Handbewegung zu, knüpfte sich die Serviette um den Hals und begann dann, seine Suppe mit so schmatzendem Wohlbehagen zu essen, daß es klang, als ob ein halbes Dutzend »Varken« (Ferkel) am Troge säßen.

      Dann wurde das Kalbfleisch gebracht. Er griff mit beiden Händen nach dem Teller, roch die Portion prüfend an, gab durch ein freundliches Nicken zu erkennen, daß der Duft ihm behage und befahl: »Gevt tnij een stuk ossevleesch met erwten en zuurkool – geben Sie mir ein Stück Ochsenfleisch mit Erbsen und Sauerkraut!«

      Den vier Zuschauern war es zweifelhaft, ob man hier in China Erbsen oder gar Sauerkohl bekommen könne. Der Holländer schien aber die Leistungen der Hotelküche genau zu kennen, denn eben als er das Kalbfleisch verzehrt hatte, wurde ihm der verlangte zweite Gang gebracht. Er beroch auch diesen, nickte wieder freundlich und bestellte: »Gevt mij

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