Der blaurote Methusalem. Karl May

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Der blaurote Methusalem - Karl May

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die Medizin, die Medizin, die fehlt!«

      »Fehlt? Fällt mir gar nicht ein! Das fehlte noch, daß die fehlt! Die Medizin ist ja gerade mein Lieblingsfach!«

      »Wirklich? Ist das wahr?«

      »Natürlich!«

      »Haben Sie schon kuriert, Kranke gesund gemacht?«

      »Und wie! Dem Dalai-Lama habe ich ein Bandwurmmittel gegeben, und als das Tier zum Vorschein kam, war es ein Lindwurm, sehr einfach deshalb, weil ich ihn mit Lindenblütenthee behandelt hatte – – –«

      »Wie? Mit Lindeboombloesem?«

      »Ja, mit Lindeboombloesem, wie Sie es holländisch nennen. Und dem türkischen Großwesier habe ich den Flamingo operiert. Was sagen Sie dazu?«

      »Fla – fla – fla –, was ist das für ein Wesen?«

      »Ein Vogel, eigentlich viel größer als ein Storch. Die Aerzte hatten die Krankheit für den grauen Star gehalten; aber als dann ich den Kerl herausgeschnitten hatte, zeigte es sich, daß es ein roter Flamingo war.«

      »Das – das verstehe ich niet!«

      »Ist auch nicht notwendig. Das ist nur Sache für den Ophthalmologen.«

      »Aber so ein großer Vogel!«

      »Thut nichts! In leichten Fällen nennt man es bloß Star, in schweren aber Flamingo; das sind die wissenschaftlichen Ausdrücke.«

      »Aber, Mijnheer, wenn Sie sich auf solche Kuren verstehen, so können Sie ja auch mir helfen!«

      »Mit Leichtigkeit sogar!«

      »So kennen und heilen Sie alle Krankheiten?«

      »Alle, nämlich wenn der Patient nicht zu dick ist.«

      »Mijn Hemel – mein Himmel! Warum diese Ausnahme?«

      »Sehr selbstverständlich, weil es dann ganz unmöglich ist, ihm in das Innere zu blicken.«

      »So sagen Sie, wie steht es da mit mir.«

      »Sie sind zu fett.«

      »Dit Ongelukk! Ich war erst viel dicker als jetzt! So können Sie mij also niet kurieren?«

      »Schwerlich! Aber es ist einer da, welcher Ihnen sicher Hilfe brächte, wenn Sie sich an ihn wenden wollten.«

      »Wer ist das?«

      »Mein Kommilitone, welcher vorhin fortgegangen ist.«

      »Der mit vier Flaschen Bier in drei Minuten?«

      »Ja, derselbe. Ich heile alles, aber bei so korpulenten Patienten ist er mir doch überlegen. Wenden Sie sich also nur getrost an ihn!«

      In diesem Augenblicke ging die Thür auf, und der Methusalem trat herein. Sofort sprang der Holländer auf, eilte auf ihn zu, ergriff ihn am Arme und fragte hastig: »Mijnheer, wat leert het Woordenboek van mijn maag ein van mijne zenuwen?«

      Fritz Degenfeld maß ihn vom Kopfe bis zu den Füßen herab, schüttelte den Kopf und antwortete: »Was das Wörterbuch von Ihrem Magen und Ihren Nerven lehrt? Um da zu wissen, woran man ist, bedarf es gar keines Buches.«

      »Sehen Sie, Mijnheer! Habe ich es Ihnen nicht vorherjesagt!« rief Gottfried, jetzt wieder in seine Mundart fallend. »Er weiß eben allens, und zwar janz ohne in dat Wörterbuch zu kieken.«

      »Du!« mahnte der Methusalem, ihm mit dem Finger drohend. »Da hast du dich wohl wieder einmal gehen lassen!«

      »Nicht die Spur von da! Er ist krank an alle innerliche und äußerliche Extremitäten. Mit die äußerlichen wollte ich's schon gern probieren, aberst zu die innerlichen, was man die internen heißt, kann meine Auskultur nicht jelangen, weil da die sojenannte »Dickt« im Wege steht. Darum habe ich mir erlaubt, den Mijnheer an Ihnen zu adressieren, weil Ihr Blick sojar durch Fleisch und Knochen jeht. Jestatten Sie mich aberst vor allen Dingen, ihm Sie vorzustellen, nämlich Mijnheer Willem van Aardappelenbosch aus Java. Dat Klima hat ihn dort so abjemagert, daß er nach hier jekommen ist, um sich da wieder emporzuessen. Der Offizier van der Gezondheit hat es ihm jeraten.«

      »Wirklich?« fragte Degenfeld, sich an den Holländer wendend.

      »Ja, Mijnheer,« antwortete dieser. »Ik ben seit einiger Zeit ganz und gar vom Vleesch gefallen.«

      »Waren Sie früher noch dicker?«

      »Ik was een reus – ich war ein Riese; jetzt aber kann man mij nur mit Mitleid betrachten.«

      Er begann, seine Leiden gerade so aufzuzählen, wie er sie vorhin genannt hatte. Degenfeld ließ ihn ruhig sprechen; er merkte sehr bald, wen er vor sich hatte. Dann, als die Aufzählung zu Ende war, fragte er Gottfried: »Habt ihr euch dem Mijnheer denn auch schon vorgestellt?«

      »Namentlich noch keineswegs,« antwortete er; »aberst daß ich ein jroßes Lumen bin, das hat er bereits jemerkt.«

      »So will ich diese Versäumnis nachholen. Mijnheer, hier sehen Sie zunächst den jungen Herrn Richard Stein, einen deutschen Gymnasiasten. Neben ihm sitzt unser Freund Tur-ning sti-king kuo-ngan ta-fu-tsiang – – –«

      »Also ein Chinese! Vorhin sprach er doch deutsch!« meinte der Dicke.

      »Von Haus aus ist er allerdings ein Deutscher. Da er aber jetzt aus dem Häuschen ist, so dürfen Sie ihn für einen Chinesen halten. Ferner sehen Sie hier meinen Spiritus familiaris, vom heiligen Femgerichte, eingetragen als Gottfried von Bouillon.«

      »Ist das niet een tapperer Ritter?«

      »Ja. Vor ungefähr achthundert Jahren hat er einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen unternommen; jetzt aber kriecht er vor jedem Gläubiger zu Kreuze, sintemalen alle ihm zur Zahlung präsentierten Wechsel mit dem schönen Namen Gottfried Ziegenkopf querbeschrieben sind. Was nun mich selbst betrifft, so bin ich einfach der allbekannte Methusalem.«

      »Von dem die Bibel vertalt?«

      »Ja, von dem die Bibel verzählt, der Sohn Henochs und Vater des Lamech. Da ich aber weder Henoch noch Lamech gekannt habe, so möchte ich zuweilen an mir selbst verzweifeln. In solchen trüben Augenblicken nenne ich mich Fritz Degenfeld und nehme an, daß ich in einem deutschen Brauhause dem irdischen Dasein guten Morgen sagte. Ob Sie mich nun Degenfeld oder Methusalem nennen wollen, ist mir gleich; meine intimen Bekannten ziehen das letztere vor, was ich ihnen aus wohl erwogenen Gründen nicht verdenken kann.«

      Mijnheer van Aardappelenbosch sah von einem zum andern. Er wußte nicht, was er denken solle. Hier ein Patriarch aus dem alten Testamente und dort ein Ritter aus der Zeit der Kreuzzüge, beide nach einer ihm unbegreiflichen Art gekleidet! Der dritte nun gar ein unechter Mandarin, der Bier wie Wasser trank. Ueber Richard brauchte er sich den Kopf nicht zu zerbrechen; aber die andern waren ihm rätselhaft, zumal die Ausdrücke des Methusalem und seines Wichsiers so dunkel waren, daß er den Sinn derselben nicht recht zu erfassen vermochte.

      Degenfeld sah ihm das an und erlöste ihn aus seiner Pein, indem et ihm wohlwollend sagte: »Nicht wahr, Sie können nicht recht begreifen, wen Sie vor sich haben? Sie sollen bald Klarheit

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