Der blaurote Methusalem. Karl May
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Seine lange, schmale Gestalt war fast genau so gekleidet wie der »Methusalem«, nur daß ihm anstatt des Cerevis eine weißleinene, schirmlose Mütze, wie Köche und Konditoren sie tragen, auf dem kurz geschorenen Haupte saß.
So schritten sie die Humboldtstraße und dann das Pfeffergäßchen entlang, voran der Hund, dann der Herr und hinter diesem der Wichsier, einer gerade so würdevoll und gemessen wie der andre. Lächelnd blickte man ihnen nach.
Eben als sie in den Flur des heimatlichen Hauses einbiegen wollten, wurde die Thür des chinesischen Ladens geöffnet und der Besitzer trat heraus, in die weite, originelle Tracht des »himmlischen Reiches« gekleidet. Er hatte mit dem Studenten Freundschaft geschlossen, von ihm sich in der deutschen Sprache, die er, als er sich hier niederließ, nur gebrochen sprach, unterrichten lassen und ihm dafür so viel vom Chinesischen beigebracht, daß der »Methusalem« desselben recht leidlich mächtig war.
»Tsching!« grüßte der Theehändler, indem er sich verneigte.
»Tsching tsching, mein lieber Ye-Kin-Li!« antwortete der Student in seinem tiefen Bierbasse. »Wollen Sie ausgehen?«
»'s sche tsche, Tschu – ja, Herr. Auf die Polizei.«
»Zur Polizei? Was haben Sie denn mit den Herren dort zu thun? Haben Sie einen verlorenen Hausschlüssel gefunden? Oder sollen Sie wegen gefälschten Thees in Strafe genommen werden?«
Der Chinese ließ seinen Zopf zärtlich durch die Hände gleiten, zog die haarlosen Brauen empor und antwortete in verbindlichem Tone: »Es gefällt Ihnen, zu scherzen! Ye-Kin-Li wird niemals Strafe zahlen, denn alle Waren sind echt, rein und spottbillig. Ich habe einen Brief aus der Heimat erhalten, den ich abgeben soll. Da der Name des Empfängers nicht im Adreßbuche steht, so muß ich mich im Einwohneramt erkundigen.«
»Dessen bedarf es nicht, mein Verehrtester. Das zuverlässigste Adreßbuch ist hier vorhanden« – er deutete nach seiner Stirn – »ich bin nicht umsonst Methusalem genannt. Viele wurden geboren, und viele starben; Tausende kamen als grüne Füchse und gingen fort als bleiche Philister; ich allein blieb stehen als Fels im fliegenden Sande, und ihre Namen sind eingetragen in den noch ungedruckten Annalen meines Genius. Wie lautet denn die Adresse?«
»So!«
Der Theehändler zog einen Brief aus seinem weiten Aermel und zeigte denselben hin.
Die Chinesen benutzen bekanntlich die Aermel als Taschen. Der Brief trug weder Marke noch Stempel; er war also jedenfalls als Einlage nach Deutschland gelangt. Die nicht mit Feder, sondern mit Pinsel geschriebene Adresse lautete: »Dem Volksschullehrer Joseph Ferdinand Stein oder dessen Verwandten, früher wohnhaft Obergasse 12 parterre.«
Der Student blickte nachdenklich und kopfschüttelnd auf das Papier.
»Hm!« sagte er. »Der Mann ist also nicht im Adreßbuche zu finden?«
»Nein.«
»Auch ich weiß, daß kein Lehrer dieses Namens hier angestellt ist. Wahrscheinlich ist der Adressat verstorben und – ah! Heureka! Vielleicht ist meine Wirtin seine Witwe! Vertrauen Sie mir den Brief auf einige Augenblicke an, lieber Freund! Ich reite im Galopp hinauf und bringe Ihnen dann per Extrazug Bescheid.«
Er eilte davon, ins Haus hinein. Hund und Wichsier waren mit ihm stehen geblieben. Beide waren auf diesen plötzlichen Aufbruch ihres Herrn nicht gefaßt gewesen. Der Neufundländer sprang rasch zur Seite; der Wichsier aber war weniger geistesgegenwärtig. Der »Methusalem« hatte während der Unterredung den Pfeifenschlauch ergriffen und nun beim Forteilen die Spitze desselben wieder in den Mund gesteckt. Wäre der Wichsier sofort nachgesprungen, so hätte er das folgende Unglück vermieden, so aber zögerte er einen Augenblick, der Schlauch wurde angespannt und ihm dadurch die Wasserpfeife aus der Hand gerissen. Er wollte, um sie zu retten, nach ihr greifen, gab dadurch aber ihrem Falle eine solche Richtung, daß sie auf den Neufundländer flog und dann zur Erde stürzte, wo das Wasserbassin in Scherben zerbrach. Der Kopf hatte seinen glühenden Inhalt auf den Kopf des Hundes ergossen; der übrige Teil wurde von dem eilfertigen Studenten mit bis zur halben Treppe gerissen. Dann bemerkte der letztere, daß hinter ihm nicht alles in Ordnung sei. Er blieb stehen und drehte sich um.
Da sah er, daß er nur den Schlauch mit dem Fuße der Pfeife im Besitze hatte. Der Hund heulte laut, denn seine Kopfhaare begannen zu glimmen, und der Wichsier war über ihn weggestürzt und lag mit der Oboe an der Erde. Dabei stand der Chinese, schlug die Hände zusammen und rief erschrocken: »O Nieou-nieou-nieou! Chi-tchin! Chi-nieou!«
Das alles machte einen so drolligen Eindruck, daß der Student gar nicht an den Verlust der teuren Pfeife dachte, sondern lachend von der Treppe herabrief: »Aber, Gottfried von Bouillon, was hast du da angerichtet!«
Der Wichsier des »Methusalem« wurde nämlich aus später zu erwähnenden Gründen von sämtlichen Studenten »Gottfried von Bouillon« genannt. Er sprang von der Erde auf und antwortete mehr zornig als verlegen: »Wat ich angerichtet hab'? Als wie ich? Da hört mir Allens off, Allens, und die Umdrehung der Erde dazu! Wer hat mich denn die wässerige Hukah aus der Hand jerissen und mir mit samt der Oboe parterre jebracht, so daß sogar der Pelz des Neufundländers in sechs Scheunenbrände jeraten ist? Da jeht man in aller Würde und Feierlichkeit von Jott Bachussen zu seine heimischen Penaten, und kaum ist man in das Ostium jetreten, so steht ein Mann des Zopfes da und schreit einen mit Nieou an! Wat hat des zu bedeuten?«
Diese zornige Frage war an den Chinesen gerichtet. An dessen Stelle antwortete der Student: »Nieou heißt zu deutsch Ochse. Dreimal hintereinander bedeutet es also dreifacher Wiederkäuer.«
»Schön! Und Chi-tchin?«
»Ein Tölpel, ein langsamer Sancho Pansa.«
»Noch schöner! Herr Ye-Kin-Li, Sie wollten sich soeben zur Polizei bejeben; det haben Sie nicht nötig, denn ich werde Ihnen hinführen lassen. Sie werden arretiert. Vorher aber will ich Sie zeigen, wie ein musikalisch approbierter Europäer auf solche Beleidigungen mit seinem Lieblingsinstrumente antwortet.«
Er hob die Oboe vom Boden auf, fällte sie wie ein Gewehr und drang dann mit derselben auf den Chinesen ein. Dieser war keineswegs ein Held und hielt es für das beste, das Hasenpanier zu ergreifen. Er floh in seinen Laden und riegelte die Thür desselben hinter sich zu.
»So, da ist er mit jütiges Verschwinden hinter seine Coulissen retiriert,« lachte Gottfried von Bouillon. »Ich habe jesiegt, verzichte aber darauf, Viktoria schießen zu lassen und werde mir lieber bemühen, diese Ueberreste einer seligen Vergangenheit einem glücklichen Verjessensein entjegenzuführen.«
Er suchte die Scherben zusammen. Sein Herr warf ihm den Wasserschlauch zu und ging nach oben, um bei seiner Wirtin einzutreten.
Diese bewohnte ein Stübchen, an welches ein kleines Schlafgemach stieß. Die andren Räume ihrer Wohnung hatte sie an den Studenten vermietet, um dadurch ihre dürftige Lage ein wenig zu verbessern. Sie war die Witwe eines Lehrers und bezog eine sehr kärgliche Pension, welche nicht einmal für Salz und Brot ausreichte. Darum mußte sie manche Nacht hindurch am Nähtischchen oder Stickrahmen