Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole. H. G. Wells
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Читать онлайн книгу Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole - H. G. Wells страница 12
»Was bedeutet denn das Ganze dann eigentlich?« fragte Mrs. Slaughter.
»Das betrifft nur Olive und mich«, antwortete ich.
Mrs. Slaughter betrachtete mich einige Augenblicke lang, und ihr Gesicht nahm einen kampflustigen Ausdruck an. Sie verschränkte die Arme und warf den Kopf zurück. »Ei, sieh da!« rief sie. »Das geht mich wohl nichts an?«
»Ich glaube nicht.«
»Das Glück meiner Tochter geht mich also nichts an, wie? Ich habe mich abseits zu halten? Während Sie ihr das Herz brechen? Da irren Sie sich, junger Mann!«
Mrs. Slaughter wartete auf eine Antwort. Ich gab aber keine. Ich unterließ es, ihr zu erklären, daß mir das Glück ihrer Tochter nicht am Herzen lag. Mein Stillschweigen verwirrte sie, glaube ich, denn ihre Redegewandtheit beschränkte sich vorwiegend auf die schlagfertige Antwort.
Die Pause zog sich in die Länge. Ich blieb höflich und geduldig. Mrs. Slaughter ordnete ihre äußere Erscheinung durch ein paar rasche Handgriffe und trat dichter an mich heran.
»Nun seien Sie einmal vernünftig, Arnold«, sagte sie in einem Tone salbungsvoller Mütterlichkeit, der es mich als Glück empfinden ließ, eine Waise zu sein. »Wenn Sie und Olive um nichts und wieder nichts streiten, so macht ihr euch ja lächerlich. Sie lieben sie doch. Das wissen Sie ganz genau, und Sie wissen auch, daß sie an niemanden auf der Welt denkt als nur an Sie. Ich weiß ja nicht, um was es geht, aber ich bin überzeugt, daß es nicht der Rede wert ist. Wahrscheinlich handelt es sich um Eifersucht oder so was Ähnliches. Ich kenne solche Geschichten. Habe ich sie doch vor Jahren mit meinem Seligen erlebt. Machen Sie einen Strich durch das Ganze. Denken Sie nicht mehr daran. Da sitzt das Mädel zu Hause und weint sich krank! Gehen Sie zu ihr. Geben Sie ihr einen Kuß und sagen Sie ihr, daß alles gut ist, und in zehn Minuten werdet ihr wieder wie zwei Turteltauben miteinander schnäbeln. Hören Sie auf zu schmollen. Ein Griesgram ist etwas Unausstehliches. Kommen Sie gleich mit mir und bringen Sie die Geschichte in Ordnung, dann haben Sie es hinter sich. Es wird bald Mittag, und ich habe ein Stück Hammelfleisch auf dem Herd. Sie haben mir noch nie die Ehre angetan, in meinem bescheidenen Heim eine Mahlzeit einzunehmen. Tun Sie es heute, und lassen Sie Ihren bösen Trotz fahren. Versöhnen Sie sich mit Olive, und bleiben Sie den Nachmittag bei uns. Oder machen Sie einen kleinen Ausflug mit ihr. Das ist mein wohlgemeinter Rat, Arnold. Ich kann Ihnen keinen besseren geben.«
Sie hielt inne. Hinter ihrer Herzlichkeit war Angst zu erraten.
Schon wollte ich sie mit der Anrede »Meine liebe Frau« tödlich beleidigen, doch ich antwortete wie einer, der sich seine Worte wohl überlegt hat. »Mrs. Slaughter«, sagte ich, »ich kann nur wiederholen, daß die Angelegenheit Olive und mich betrifft. Ich möchte sie mit ihr allein ins reine bringen.«
Mrs. Slaughter wollte mich unterbrechen, ich aber erhob die Stimme. »Und zwar nicht heute. Nicht heute. Es gibt Dinge, die ihre Zeit brauchen, um auszureifen.«
Ihre Miene verdüsterte sich; sie fühlte sich zurückgestoßen. Und sie wurde nun eines Umstandes gewahr, den sie bisher außer acht gelassen hatte. »Warum ist der Laden wieder ganz geschlossen?«
»Er ist aus Geschäftsgründen geschlossen«, erwiderte ich. »Aber auch das ist eine Angelegenheit, die zu besprechen ich jetzt außerstande bin.«
»Und Mr. Graves?«
»Ist nicht hier.«
Das war jedenfalls der wesentliche Inhalt unseres Gesprächs. Sie sagte noch manches andere, aber nichts von Bedeutung, wiederholte manche ihrer Sätze einige Male, und schließlich kehrte sie zu dem Hammelfleisch auf ihrem Herde zurück. Ich scheine danach noch eine lange Zeit untätig im Laden geblieben zu sein.
Dann sehe ich mich vor dem Hause stehen, einen Fuß auf dem Pflaster, das andere Bein über mein Rad geschwungen, bereit aufzusteigen. Ich fragte mich: »Und wohin zum Teufel soll ich nun fahren?«
6
Zusammenstoß im Dunkeln
Ich saß Tee trinkend in dem dunklen, aber von Sauberkeit glänzenden Speisesaal des »Spread Eagle« in Thame, der trotz seiner Kleinheit zu den vorzüglichsten Gasthöfen Englands gerechnet wird. Der Wirt, der immer einen flaschengrünen Anzug mit Messingknöpfen trug, ehrte mich durch sein Gespräch.
»Haben Sie sich jemals verloren?« fragte ich ihn.
»Und einen anderen wiedergefunden?«
»Ich suche einen gewissen Arnold Blettsworthy, der vor etwa sechzehn Stunden verschwunden ist.«
»Wir spielen alle mit uns selbst Verstecken. War Arnold Blettsworthy ein junger Mann voll der Hoffnungen und des Ehrgeizes?«
Ich nickte.
»Solche verschwinden ganz plötzlich.«
»Und kehren sie jemals wieder?«
»Manchmal wohl. Nach längerer Zeit.«
Er seufzte, blickte aus dem langen, tief liegenden Fenster und sah plötzlich etwas, was seiner Fürsorge bedurfte. Er verließ mich mit einer undeutlich gemurmelten Entschuldigung. Er kam nicht wieder, und nach einer Weile zahlte ich der Kellnerin und fuhr auf meinem Rad in Richtung Amersham davon. Schüchternheit hinderte mich daran, allzu lange auf ihn zu warten. Ich war traurig, daß er unser Gespräch nicht wieder aufgenommen hatte, denn seine Stimme und sein ganzes Wesen hatten mich angezogen, und er schien meine Sorge zu begreifen. Wäre er aber zu mir zurückgekommen, so hätte ich wahrscheinlich von anderen Dingen gesprochen.
Ich fuhr in die Einsamkeit hinaus.
Ich fuhr ziellos durch den warmen Abend eines Spätsommertages und wandte mich ostwärts, um meine Augen vor dem Sonnenuntergang zu schützen. Ich brütete über einem dunklen Problem, das meine eigene Identität betraf. War Arnold Blettsworthy nichts mehr als der Name und die Hülle mehrerer Wesenheiten, die miteinander in Widerstreit lagen? Ich kannte die Blettsworthyschen Grundsätze von Ehre und gutem Willen, die mir in meinen Schwierigkeiten als Richtschnur hätten dienen sollen. Ich kannte sie genau. Was mich verwirrte, war der Sturm von Begierde in mir, von tierischer Lust, die mit Zorn vermengt sich als das Recht auf Selbstbehauptung aufzuspielen versuchte und alle jene Grundsätze und Vorschriften beiseite schob, als ob sie nichts bedeuteten. Wer war der zornige und lüsterne Egoist, der meinen Willen zu vergewaltigen suchte und ganz erfüllt schien von dem Bilde der entblößten, erschreckten und widerstandslosen Olive? Nicht ich. Ganz gewiß nicht ich. In früherer Zeit nannte man ihn den Teufel – oder einen Teufel. Einen Eindringling, der Macht über uns gewinnt. Verändert es ihn wesentlich, wenn man ihn auf moderne Art als ein zweites Ich bezeichnet? Aber war ich nun Arnold Blettsworthy oder jener andere? Neben dieser Leidenschaft, die mir die Gewalt über mein Tun zu entwinden suchte, drängte sich noch ein schmählicher und verächtlicher fremder Geist in das Wirrsal, der zynische Beobachter, und blies mir bösen Rat ein. »Ein Narr warst du«, hielt er mir vor, »und ein Narr bist du. Ein Narr und Schwächling. Wozu all diese gespielte Empörung? Wenn du das Mädchen haben willst, nimm sie, und wenn du sie haßt, dann laß sie fahren, jedenfalls aber geh so mit ihr um, daß du dabei nicht zu Schaden kommst. Du kannst es so einrichten, daß die Schuld auf sie und nicht auf dich fällt. Ihre Augen haben dir deine Macht über sie verraten. Richte sie zugrunde, und such dann das Weite. Warum sie aber deinen Willen auf solche Art zu versklaven und über dich Schmach und Gefahr zu bringen vermag, kann ich wahrhaftig nicht sagen. Dieser erste flüchtige Blick auf einen warmen und geschmeidigen Körper war offenbar