Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole. H. G. Wells
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Читать онлайн книгу Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole - H. G. Wells страница 13
Nicht Landstraßen und Feldpfade entlang, sondern durch das Wirrsal meiner Triebe steuerte ich an jenem Nachmittage. Unter anderem entsinne ich mich einer heftigen Sehnsucht nach meinem Onkel: Hätte ich nur noch einmal mit seinem Geiste Zwiesprache halten können! Hätte ich mir nur seine körperliche Erscheinung und seine Stimme vergegenwärtigen können, dann wären die bösen Gewalten in meiner Brust nur halb so mächtig gewesen. Vielleicht schwebte etwas von ihm noch über den Hügeln von Wiltshire. Doch als ich das Antlitz westwärts wandte, warf mir die untergehende Sonne goldene Speere in die Augen und ließ mich wieder umkehren.
Ob ich betete, fragt ihr mich? Ob mir die Religion meiner Welt eine Hilfe war? Nicht einen Augenblick lang. Ich erkannte klarer als je zuvor, daß ich nur an meinen Onkel glaubte und nicht an den hilfreichen Gott, den seine Güte auf den gleichgültigen Himmel gemalt hatte. Dem Gott meines Glaubensbekenntnisses weihte ich in meiner Not nicht einen Gedanken. Ich hätte mich ebensogut an Sirius wenden können.
Schließlich wurde es dunkel, und meine Radlampe war noch nicht angezündet. Ich fuhr um eine Ecke und entdeckte, etwa einen Meter von mir entfernt, die Rückseite eines Rollwagens, die im Zwielicht matt schimmerte. Er schien zu fahren, und ich wollte ihn überholen, doch dann verkürzte sich seine Rückwand mit verblüffender Schnelligkeit, und ich erkannte zu spät, daß er wendete: Ein Zusammenstoß war nicht mehr zu vermeiden. Ich sehe noch heute, wie meine Lenkstange sich rasch den hölzernen Wagenrädern näherte, fühle, wie ich das Gleichgewicht verlor und einen verspäteten Versuch machte, umzudrehen.
Bis zu diesem Punkte ist meine Erinnerung vollkommen klar. Das Folgende ist aus meinem Gedächtnis völlig verschwunden. Wahrscheinlich prallte ich gegen den Wagen und wurde von ihm umgestoßen. Ich habe darüber niemals Genaueres erfahren können. Jedenfalls verlor ich das Bewußtsein, aber es ist sonderbar, daß meine Erinnerung nicht bis zu dem Augenblicke reicht, da ich bewußtlos wurde. Das Licht geht aus, sozusagen, während ich eben erst mit den Rädern und der Seitenwand des Wagens in Berührung komme.
7
Mr. Blettsworthy vergißt sich vollkommen
Meine eingehende, persönliche Erzählung muß nun einem unbestimmten Bericht Platz machen. Die Ereignisse der folgenden sechs Wochen haben so gut wie gar keine Spuren in meinem Gedächtnis zurückgelassen. Ich konnte niemals feststellen, was aus meinem Rad wurde, noch wie ich nach Oxford gelangte. Ich kam nämlich spät am Abend in meine Wohnung in Carew Fossetts zurück, und zwar in einer Droschke, den Kopf sachgemäß verbunden.
Dann scheine ich eine Woche oder sogar noch länger in Oxford verblieben zu sein. Ich oblag meinen geschäftlichen Angelegenheiten auf eine sehr unzulängliche Art. Ich erfuhr, daß Graves die gesamte ihm von mir zur Verfügung gestellte Summe behoben und einen Posten bei einer Handelsgesellschaft an der Goldküste angenommen hatte. Er schrieb mir, wenn ich nicht irre, einen Brief, in dem er Entschädigung und Rückzahlung versprach und etwas wie Bedauern ausdrückte. Höchstwahrscheinlich schrieb er mir, aber ich glaube nicht, daß ich den Brief noch habe. Mr. Ferndyke scheine ich von dem Treubruch meines Partners und meinen geschäftlichen Nöten nicht in Kenntnis gesetzt zu haben. Das Eingeständnis war mir wohl zu demütigend, nachdem ich kurz vorher so große Zuversicht an den Tag gelegt hatte. Ich zog vielmehr einen schäbigen kleinen Oxforder Anwalt ins Vertrauen, der sich hauptsächlich mit den Wettrennangelegenheiten der Studenten befaßte. Er traf etliche recht voreilige und unvorteilhafte Verfügungen betreffs der Aktiva unserer Gesellschaft. All dies ist völlig aus meinem Gedächtnis entschwunden. Zweimal oder auch noch öfter versuchte ich, wenn ich nicht irre, Olive Slaughter allein zu sehen; sie mochte ihrer Mutter gesagt haben, daß sie sich vor mir fürchte, jedenfalls schlugen meine Versuche fehl. Ein schrecklicher Verband über dem einen Auge mag meiner äußeren Erscheinung etwas Bedrohliches gegeben haben. Ich bilde mir ein, daß mich etliche Anfälle heftiger Wut überkamen, doch zweifle ich, daß das in Anwesenheit von Menschen geschah. Ich habe nur eine ganz schwache Erinnerung daran. Zu einer Klage wegen Nichterfüllung des Eheversprechens kam es nicht.
Niemand wußte genau, wie und wann ich Oxford verließ. Ich beschritt meinen einsamen Weg, und nur meine Wirtin vermißte mich. Mr. Ferndyke beglich später meine Mietschuld und holte auch meine Sachen. Drei Wochen lang lassen sich meine Unternehmungen nicht verfolgen. Am Ende dieses Zeitabschnittes wurde ich in einer Hinterstraße eines der äußeren Bezirke von Norwich gefunden, und zwar um drei Uhr früh von einem Polizisten. Ich war von Straßenschmutz bedeckt, hatte keinen Hut und keinen Penny in der Tasche und fieberte stark. Ich hatte wohl unmäßig viel getrunken, Narkotika zu mir genommen und mich offenbar in schlechter Gesellschaft befunden. Ich roch intensiv nach Äther. Ich hatte meinen Namen völlig vergessen, wußte nicht im geringsten, wer ich war, und trug keinerlei Papier bei mir, wodurch meine Identität hätte festgestellt werden können. Von der Polizeiwache brachte man mich ins Armenhospital; dort fiel es einer klugen Schwester auf, daß meine Kleider maßgeschneidert waren, sie untersuchte die innere Rocktasche und fand das Etikett eines Oxforder Schneiders, das meinen Namen und den meines College trug; durch diesen engen Kanal eröffnete sich aufs neue eine Verbindung mit meinen verlorenen und vergessenen Lebensumständen. Inzwischen blieb ich im Bette liegen, hörte nicht auf meinen Namen, war krank und zu apathisch, um zu genesen.
Langsam, aber stetig gelangte ich wieder zum Bewußtsein meiner selbst. Wann das war, weiß ich nicht mehr zu sagen. Ich bewahre den unbestimmten Eindruck, daß ich in eine höhere Klasse des Hospitals verlegt wurde, wo ich es bequemer hatte, und daß ich mich freute, als mir der Besuch Mr. Ferndykes angekündigt wurde. Ich erinnerte mich seines Namens als zu einem liebenswürdigen Menschen gehörig, meines eigenen jedoch konnte ich mich noch immer nicht entsinnen. Die erste Äußerung der wiederkehrenden Lebenskraft in mir war eine Welle der Abneigung gegen die mich betreuende Krankenschwester, ein geschwätziges Geschöpf mit dünnem flachsblondem Haar, das von Feindseligkeit gegen zwei bestimmte Männer erfüllt war und die Namen dieser beiden in einem aufreizenden Kehrreim zu ihren Reden unablässig wiederholte; »Hall Dane« und »Hall Caine« klang es immer wieder von ihren Lippen, während sie ihren Pflichten nachging. Hall Caine war, wie ich schließlich feststellte, der bekannte Romanschriftsteller; eine seiner Heldinnen hatte Anstoß bei ihr erregt, und zwar Gloria Storm, die von Leidenschaft zerrissene Krankenschwester. Hall Dane erkannte ich mit größerer Schwierigkeit als Lord Haldane, der den Status der Militärkrankenschwestern abgeändert hatte. Ich lag da und haßte sie, und plötzlich fiel mir ein Besuch des Lord Haldane in der »Union« ein. Dabei erinnerte ich mich einiger Sätze in einer Rede, die Lyulph Graves gehalten hatte – ich sah Lyulph Graves, wie er sich von dem Sitze neben mir erhob, um zu sprechen.
Ich war Arnold Blettsworthy vom Lattmeer College! Nun sammelten sich die Erinnerungen, den Schülern einer Klasse vergleichbar. Sie begaben sich auf ihre Plätze, nickten, schrien Namen, riefen einander zu …
Am nächsten Tag kam der alte Ferndyke, rosig, die Brille auf der Nase und besorgt. Sein rundes, glattrasiertes Gesicht ist in meiner Erinnerung überlebensgroß und wirkt überpersönlich.
Es ist, als ob ich ihn durch ein Vergrößerungsglas gesehen hätte. Das Gesicht ist ebenso gütig wie das meines Onkels, zeigt aber einen weltlichen Sinn, der meinem Onkel völlig fremd war. Eine Falte über dem einen Augenlid geht ein bißchen abwärts und läßt die randlosen Augengläser etwas schief scheinen. Sein Haar ist oberhalb des einen Ohres ein wenig angegraut und so glatt und ordentlich wie das Fell einer Katze. Er betrachtet mich, während er spricht, wie einer, der an schwierige Verhandlungen mit Menschen gewöhnt ist.
»Neurasthenie«, sagt er tröstend. »Eine Reihe von Mißgeschicken. Das kann jedermann geschehen. Sie haben sich unterkriegen lassen. Daran ist nichts, was Sie bedauern, nichts, dessen Sie sich schämen müßten.«
Er schien seine rosige linke Hand zu Rate zu ziehen. »Ich könnte Ihnen allerlei aus meiner eigenen Jugend erzählen«, fuhr er fort, als wollte er mir ganz außerordentliche Eröffnungen machen. »Zufälligerweise