Der Scout. Karl May
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»Schurke!« brüllte ihn Einer an. »Willst Du uns gute Lehren geben? Warte, wir werden Deinen Eifer gleich abkühlen.« Und der Inhalt von zwei oder drei Gläsern ergoß sich über den armen Wirth, der es für das Klügste hielt, die Stube schnell zu verlassen.
»Und nun der Großsprecher dort!« rief mein Gegner. »Er soll es haben!«
Den Hund mit der Linken haltend, schleuderte er den Inhalt seines Glases mit der Rechten nach mir. Ich fuhr vom Stuhle auf und zur Seite, so daß ich nicht getroffen wurde. Dann erhob ich die Faust, um zu ihm hinzuspringen und ihn zu züchtigen. Er aber kam mir zuvor.
»Pluto, go on!« rief er, indem er den Hund losließ und auf mich deutete.
Ich hatte grad noch Zeit, an die Wand zu treten, da that das gewaltige Thier einen wahrhaft tigerähnlichen Satz auf mich zu. Der Hund war ungefähr fünf Schritte von mir entfernt gewesen. Diesen Raum durchmaß er mit einem einzigen Sprunge. Dabei war er seiner Sache so gewiß, daß er mich mit den Zähnen bei der Gurgel fassen mußte, wenn ich stehen blieb. Aber eben als er mich packen wollte, wich ich zur Seite und er flog mit der Schnauze an die Mauer. Der Sprung war so kräftig gewesen, daß der Bluthund durch den Anprall fast betäubt wurde. Er stürzte zu Boden. Blitzschnell hatte ich ihn bei den Hinterläufen, schwang seinen Körper und schleuderte ihn mit dem Kopf voran gegen die Mauer, daß der Schädel zerbrach.
Nun erhob sich ein entsetzlicher Lärm. Die Hunde heulten und zerrten an ihren Leinen die Tische von der Stelle; die Männer fluchten, und der Besitzer des todten Hundes wollte sich auf mich werfen. Da aber rief Old Death, der sich erhoben hatte und den Kerls seine beiden Revolver entgegenhielt:
»Stop! Jetzt ist’s nun gerade genug, Boys. Noch einen Schritt oder einen Griff nach Euern Waffen, so schieße ich. Ihr habt Euch in uns geirrt. Ich bin Old Death, der Pfadfinder. Ich hoffe, daß Ihr von mir gehört habt. Und dieser Sir, mein Freund, fürchtet sich ebenso wenig vor Euch wie ich. Setzt Euch nieder, und trinkt euer Bier in Bescheidenheit! Keine Hand nach der Tasche, oder bei meiner Seele, ich schieße!«
Diese letzte Warnung war an einen der Sklavenaufseher gerichtet, welcher seine Hand der Tasche genähert hatte, wohl in der Absicht, nach einem Revolver zu greifen. Auch ich hatte den meinen gezogen. Wir Beide hatten achtzehn Schüsse. Ehe einer der Kerle zu seiner Waffe kam, mußte er von unserer Kugel getroffen sein. Der alte Pfadfinder schien ein ganz anderer Mensch geworden zu sein. Seine sonst gebeugte Gestalt hatte sich hoch aufgerichtet; seine Augen leuchteten, und in seinem Gesichte lag ein Ausdruck überlegener Energie, der keinen Widerstand aufkommen ließ. Spaßhaft war es, zu sehen, wie kleinlaut die vorher so frech auftretenden Menschen auf einmal wurden. Sie brummten zwar einige halblaute Bemerkungen vor sich hin, doch setzten sie sich nieder, und selbst der Herr des todten Hundes wagte es nicht, zu dem Thiere zu treten, da er sonst ganz in meine Nähe gekommen wäre.
Noch standen wir beide da, die Revolver drohend in den Händen, als ein weiterer Gast eintrat – – ein Indianer.
Es gibt Menschen, welche gleich im ersten Augenblicke der Begegnung, noch ehe sie ein Wort gesprochen haben, einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf uns machen. Ohne daß eine solche Person sich freundlich oder feindselig verhalten hat, fühlt man deutlich, ob man sie hassen oder lieben werde. Ein solcher Mensch war dieser Indianer.
Er trug ein weißgegerbtes und mit rother, indianischer Stickerei verziertes Jagdhemde. Die Leggins waren aus demselben Stoffe gefertigt und an den Nähten mit dicken Fransen von Scalphaaren besetzt. Kein Fleck, keine noch so geringe Unsauberkeit war an Hemd und Hose zu bemerken. Seine kleinen Füße steckten in mit Perlen gestickten Moccassins, welche mit Stachelschweinsborsten geschmückt waren. Um den Hals trug er den Medizinbeutel, die kunstvoll geschnitzte Friedenspfeife und eine dreifache Kette von Krallen des grauen Bären, welche er mit größter Lebensgefahr dem gefürchtetsten Raubthiere der Felsengebirge abgewonnen hatte. Um seine Taille schlang sich ein breiter Gürtel, aus einer kostbaren Santillodecke bestehend. Aus demselben schauten die Griffe eines Messers und zweier Revolver hervor. In der Rechten hielt er ein doppelläufiges Gewehr, dessen Holztheile dicht mit silbernen Nägeln beschlagen waren. Den Kopf trug der Indianer unbedeckt. Sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Keine Adlerfeder, kein Unterscheidungszeichen schmückte diese Frisur, und dennoch sagte man sich gleich beim ersten Blicke, daß dieser noch junge Mann ein Häuptling, ein berühmter Krieger sein müsse. Der Schnitt seines ernsten, männlichschönen Gesichtes konnte römisch genannt werden; die Backenknochen standen kaum merklich vor; die Lippen des vollständig bartlosen Gesichtes waren voll und doch fein geschwungen, und die Hautfarbe zeigte ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.
Er blieb einen Augenblick an der Thüre stehen. Ein forschender scharfer Blick seines dunklen Auges flog durch den Raum und über die in demselben befindlichen Personen; dann setzte er sich in unserer Nähe nieder, von den ihn anstarrenden Rowdies möglichst entfernt.
Man sah es ihm an, daß er die Situation sofort begriffen hatte. Seine Augen zogen sich ein ganz klein wenig und wie verächtlich zusammen, als er einen zweiten, kurzen Blick auf unsere Gegner warf, und als wir uns nun niedersetzten und die Revolver wieder einsteckten, zeigte sich ein kaum bemerkbares und, wie es schien, wohlwollendes Lächeln auf seinen Lippen.
Die Wirkung seiner Persönlichkeit war so groß, daß sich bei seinem Eintreten eine wahre Kirchenstille einstellte. Diese Geräuschlosigkeit mochte den Wirth überzeugen, daß die Gefahr vorüber sei. Er steckte den Kopf zur halb geöffneten Thüre herein und zog dann, als er sah, daß er nichts zu fürchten brauche, die übrige Gestalt vorsichtig nach.
»Ich bitte um ein Glas Bier, deutsches Bier!« sagte der Indianer mit wohlklingender, sonorer Stimme und im schönsten, geläufigen Englisch.
Das war den Rowdies merkwürdig wie mir. Sie steckten die Köpfe zusammen und begannen zu flüstern. Die versteckten Blicke, mit denen sie den Indianer musterten, ließen errathen, daß sie nichts Vortheilhaftes über ihn sprachen.
Er erhielt das Bier, hob das Glas gegen das Fensterlicht, prüfte es mit einem behaglichen Kennerblicke und trank.
»Well!« sagte er zum Wirthe, indem er mit der Zunge schnalzte. »Euer Bier ist gut. Der große Manitou der weißen Männer hat sie viele Künste gelehrt, und das Bierbrauen ist nicht die geringste unter denselben.«
Er sprach so geläufig und mit so richtigem Accent, daß ich mich leise zu Old Death wendete:
»Sollte man glauben, daß dieser Mann ein Indianer sei!«
»Er ist einer, und zwar was für einer!« antwortete mir der Alte ebenso leise, aber mit Nachdruck.
»Kennt Ihr ihn? Habt Ihr ihn schon einmal getroffen oder gesehen?«
»Gesehen noch nicht. Aber ich erkenne ihn an seiner Gestalt, seiner Kleidung, seinem Alter, am meisten aber an seinem Gewehre. Es ist die berühmte Silberbüchse, deren Kugel niemals ihr Ziel verfehlt. Ihr habt das Glück, den berühmtesten Indianerhäuptling Nordamerika’s kennen zu lernen, Winnetou, den Häuptling der Apachen. Er ist der hervorragendste unter allen Indianern. Sein Name lebt in jedem Palaste, in jeder Blockhütte, an jedem Lagerfeuer. Gerecht, klug, ehrlich, treu, stolz, tapfer bis zur Verwegenheit, Meister im Gebrauche aller
Waffen, ohne Falsch, ein Freund und Beschützer aller Hilfsbedürftigen, gleichviel, ob sie roth oder weiß von Farbe sind, ist er bekannt über die ganze Länge und Breite der Vereinigten Staaten und weit über deren Grenzen hinaus als der ehrenhafteste und berühmteste Held des fernen Westens.«
»Aber wie kommt