Der Scout. Karl May

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Der Scout - Karl May

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vergeblich. Der Aerger, so übertölpelt worden zu sein, ließ mich nicht ruhen, und ich durchwanderte, in alle möglichen Restaurants und Tavernen blickend, bis in die späte Nacht hinein die Straßen. Dann, als ich mich gar zu ermüdet fühlte, ging ich nach meinem Lodging-House und legte mich nieder.

      Der Traum versetzte mich in ein Irrenhaus. Hunderte von Wahnsinnigen, welche sich für Dichter hielten und ausgaben, streckten mir ihre dickleibigen Manuscripte entgegen, welche ich durchlesen sollte. Natürlich waren es lauter Tragödien, welche einen verrückten Dichter zum Haupthelden hatten. Ich mußte lesen und lesen, denn Gibson stand mit dem Revolver neben mir und drohte, mich sofort zu erschießen, wenn ich nur einen Augenblick pausire. Ich las und las, daß mir der Schweiß von der Stirne lief. Um denselben abzutrocknen, zog ich mein Taschentuch, hielt eine Sekunde lang inne und – wurde von Gibson erschossen!

      Das Krachen des Schusses weckte mich, denn es war nicht ein vermeintliches, sondern ein wirkliches Krachen gewesen. Ich hatte mich vor Aufregung im Bette hin und her geworfen und in der Absicht, Gibson den Revolver aus der Hand zu schmettern, die Lampe von dem Kammerdiener, einem kleinen, hart am Bette stehenden Tischchen, geschlagen. Sie wurde mir am Morgen mit nur acht Dollars angerechnet. Das kommt davon, wenn man einen Spitzbuben fangen will und kein Geschick dazu hat!

      Vollständig in Schweiß gebadet, erwachte ich. Ich trank meinen Thee und fuhr dann hinaus nach dem herrlichen See Pontchartrain, wo ich ein Bad nahm, welches mich erfrischte und auch meine moralische Constitution zu stärken schien. Dann begab ich mich von Neuem auf die Suche. Dabei kam ich wieder an die deutsche Bierstube, in welcher ich gestern Old Death getroffen hatte. Ich ging hinein, und zwar ohne alle Ahnung, hier eine Spur finden zu können. Das Local war in diesem Augenblicke nicht so gefüllt, wie am vergangenen Tage. Gestern war keine Zeitung zu bekommen gewesen; heut lagen mehrere Blätter unbenutzt auf dem Tische, und ich ergriff das erste, beste, eine deutsche Zeitung, die bereits damals in New-Orleans erscheinende »Deutsche Zeitung«, welche noch heute existirt, wenn sie auch wahrscheinlich inzwischen nach amerikanischem Muster den Verleger und Redacteur viele Male gewechselt hat.

      Ohne die Absicht, das Blatt wirklich durchzustudiren, schlug ich es auf, und das erste, was mir auffiel, war ein Gedicht. Gedichte lese ich bei der Durchsicht einer Zeitung entweder zuletzt oder lieber gar nicht. Die Ueberschrift glich der Kapitelüberschrift eines Schauerromans. Das stieß mich ab. Sie lautete: »Die fürchterlichste Nacht«. Schon wollte ich die Seite umwenden, als mein Auge auf die beiden Buchstaben fiel, mit denen das Gedicht unterzeichnet war: »W.O.« Das waren ja die Anfangsbuchstaben des Namens William Ohlert! Der Name hatte mir so lange Zeit und so unausgesetzt im Sinne gelegen, daß es nicht Wunder nehmen kann, wenn ich ihn in Beziehung zu diesen Buchstaben brachte. Ohlert junior hielt sich ja für einen Dichter. Sollte er seinen Aufenthalt in New-Orleans dazu benutzt haben, eine Reimerei an das Publikum zu bringen? Vielleicht war die Veröffentlichung so schnell erfolgt, weil er die Aufnahme bezahlt hatte. Bewahrheitete sich meine Vermuthung, so konnte ich durch dieses Gedicht auf die Spur der Gesuchten gebracht werden. Ich las also:

      Die fürchterlichste Nacht.

      Kennst du die Nacht, die auf die Erde sinkt

      Bei hohlem Wind und schwerem Regenfall,

      Die Nacht, in der kein Stern vom Himmel blinkt,

      Kein Aug’ durchdringt des Wetters dichten Wall?

      So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen;

      O lege dich zur Ruh, und schlafe ohne Sorgen!

      Kennst du die Nacht, die auf das Leben sinkt,

      Wenn dich der Tod auf’s letzte Lager streckt

      Und nah der Ruf der Ewigkeit erklingt,

      Daß dir der Puls in allen Adern schreckt?

      So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen;

      O lege dich zur Ruh, und schlafe ohne Sorgen!

      Kennst du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,

      Daß er vergebens nach Erlösung schreit,

      Die schlangengleich sich um die Seele schlingt

      Und tausend Teufel ins Gehirn dir speit?

      O halte fern dich ihr in wachen Sorgen,

      Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen! W. O.

      Ich gestehe, daß die Lectüre des Gedichtes mich tief ergriffen. Mochte man es für literarisch werthlos erklären, es enthielt doch den Entsetzensschrei eines begabten Menschen, welcher vergebens gegen die finstern Gewalten des Wahnsinnes ankämpft und fühlt, daß er ihnen rettungslos verfallen müsse. Doch schnell überwand ich meine Rührung, denn ich mußte handeln. Ich hatte die Ueberzeugung, daß William Ohlert der Verfasser dieses Gedichtes sei, suchte im Directory nach der Adresse des Herausgebers der Zeitung und begab mich hin.

      Expedition und Redaction befanden sich in demselben Hause. In der Ersteren kaufte ich mir ein Exemplar und ließ mich sodann bei der Redaction melden, wo ich erfuhr, daß ich sehr richtig vermuthet hatte. Ein gewisser William Ohlert hatte das Gedicht am Tage vorher persönlich gebracht und um schleunige Aufnahme gebeten. Da das Verhalten des Redacteurs ein ablehnendes gewesen war, so hatte der Dichter zehn Dollars deponirt und die Bedingung gestellt, daß es in der heutigen Nummer erscheine und ihm die Revision zuzuschicken sei. Sein Benehmen sei ein sehr anständiges gewesen, doch habe er ein wenig verstört drein geschaut und wiederholt erklärt, daß das Gedicht mit seinem Herzblute geschrieben sei – übrigens eine Redensart, deren sich begabte und unbegabte Dichter und Schriftsteller gern zu bedienen pflegen. Wegen der Zusendung der Revision hatte er seine Adresse angeben müssen, und ich erfuhr dieselbe natürlich. Er wohnte oder hatte gewohnt in einem als fein und theuer bekannten Privatkosthause in einer Straße des neueren Stadttheiles.

      Dorthin verfügte ich mich, nachdem ich mich in meiner Wohnung unkenntlich gemacht hatte, was mir nach meiner Ansicht sehr gut gelang. Dann holte ich mir zwei Polizisten, welche sich vor der Thüre des gedachten Hauses aufstellen sollten, während ich mich im Innern befand.

      Ich war so ziemlich überzeugt, daß mir die Festnahme des gesuchten Spitzbuben und seines Opfers gelingen werde, und in ziemlich gehobener Stimmung zog ich die Hausglocke, über welcher auf einem Messingschilde zu lesen war: »First class pension for Ladies and Gentlemen.« Ich befand mich also am richtigen Orte. Haus und Geschäft waren Eigenthum einer Dame. Der Portier öffnete, fragte mich nach meinem Begehr und erhielt den Auftrag, mich bei der Dame zu melden; auch übergab ich ihm eine Visitenkarte, welche auf einen andern Namen lautete als den meinigen. Ich wurde in das Parlour geführt und hatte nicht lange auf die Lady zu warten.

      Sie war eine fein gekleidete, behäbig aussehende Dame von ungefähr fünfzig Jahren. Wie es schien, hatte sie einen kleinen Rest von schwarzem Blute in ihren Adern, wie ihr gekräuseltes Haar und eine leichte Färbung ihrer Nägel vermuthen ließen. Sie machte den Eindruck einer Frau von Gemüth und empfing mich mit großer Höflichkeit.

      Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich ihr einen Bären von ziemlichem Umfang aufband, denn ich stellte mich ihr als den Feuilletonredacteur der »Deutschen Zeitung« vor, zeigte ihr das betreffende Blatt und gab an, daß ich den Verfasser dieses Gedichtes sprechen müsse; dasselbe habe solchen Anklang gefunden, daß ich ihm Honorar und neue Aufträge bringe.

      Sie hörte mir ruhig zu, betrachtete mich aufmerksam und sagte dann:

      »Also ein Gedicht hat der Herr bei Ihnen drucken lassen? Wie hübsch! Schade, daß ich nicht Deutsch verstehe, sonst würde ich Sie bitten, es mir vorzulesen. Ist es gut?«

      »Ausgezeichnet!

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