Hauptwerke: Menschliches – Allzumenschliches, Also sprach Zarathustra, Jenseits von Gut und Böse. Friedrich Nietzsche

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Hauptwerke: Menschliches – Allzumenschliches, Also sprach Zarathustra, Jenseits von Gut und Böse - Friedrich Nietzsche

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verlangen geradezu, dass Einer so begabt, so verschlagen, so ungerecht sei, wie er in ihrer Vorstellung lebt.

      354. Der Verwandte als der beste Freund. – Die Griechen, die so gut wussten, was ein Freund sei, – sie allein von allen Völkern haben eine tiefe, vielfache philosophische Erörterung der Freundschaft; sodass ihnen zuerst, und bis jetzt zuletzt, der Freund als ein lösenswerthes Problem erschienen ist – diese selben Griechen haben die Verwandten mit einem Ausdrucke bezeichnet, welcher der Superlativ des Wortes "Freund" ist. Diess bleibt mir unerklärlich.

      355. Verkannte Ehrlichkeit. – Wenn jemand im Gespräche sich selber citirt ("ich sagte damals", "ich pflege zu sagen"), so macht diess den Eindruck der Anmaassung, während es häufiger gerade aus der entgegengesetzten Quelle hervorgeht, mindestens aus Ehrlichkeit, welche den Augenblick nicht mit den Einfällen schmücken und herausputzen will, welche einem früheren Augenblicke angehören.

      356. Der Parasit. – Es bezeichnet einen völligen Mangel an vornehmer Gesinnung, wenn Jemand lieber in Abhängigkeit, auf Anderer Kosten, leben will, um nur nicht arbeiten zu müssen, gewöhnlich mit einer heimlichen Erbitterung gegen Die, von denen er abhängt. – Eine solche Gesinnung ist viel häufiger bei Frauen als bei Männern, auch viel verzeihlicher (aus historischen Gründen).

      357. Auf dem Altar der Versöhnung. – Es giebt Umstände, wo man eine Sache von einem Menschen nur so erlangt, dass man ihn beleidigt und sich verfeindet: dieses Gefühl, einen Feind zu haben, quält ihn so, dass er gern das erste Anzeichen einer milderen Stimmung zur Versöhnung benützt und jene Sache auf dem Altar dieser Versöhnung opfert, an der ihm früher so viel gelegen war, dass er sie um keinen Preis geben wollte.

      358. Mitleid fordern als Zeichen der Anmaassung. – Es giebt Menschen, welche, wenn sie in Zorn gerathen und die Anderen beleidigen, dabei erstens verlangen, dass man ihnen Nichts übel nehme und zweitens, dass man mit ihnen Mitleid habe, weil sie so heftigen Paroxysmen unterworfen sind. So weit geht die menschliche Anmaassung.

      359. Köder. – "Jeder Mensch hat seinen Preis", – das ist nicht wahr. Aber es findet sich wohl für Jeden ein Köder, an den er anbeissen muss. So braucht man, um manche Personen für eine Sache zu gewinnen, dieser Sache nur den Glanz des Menschenfreundlichen, Edlen, Mildthätigen, Aufopfernden zu geben – und welcher Sache könnte man ihn nicht geben? – Es ist das Zuckerwerk und die Näscherei ihrer Seele; andere haben anderes.

      360. Verhalten beim Lobe. – Wenn gute Freunde die begabte Natur loben, so wird sie sich öfters aus Höflichkeit und Wohlwollen darüber erfreut zeigen, aber in Wahrheit ist es ihr gleichgültig. Ihr eigentliches Wesen ist ganz träge dagegen und um keinen Schritt dadurch aus der Sonne oder dem Schatten, in dem sie liegt, herauszuwälzen; aber die Menschen wollen durch Lob eine Freude machen und man würde sie betrüben, wenn man sich über ihr Lob nicht freute.

      361. Die Erfahrung des Sokrates. – Ist man in einer Sache Meister geworden, so ist man gewöhnlich eben dadurch in den meisten andern Sachen ein völliger Stümper geblieben; aber man urtheilt gerade umgekehrt, wie diess schon Sokrates erfuhr. Diess ist der Uebelstand, welcher den Umgang mit Meistern unangenehm macht.

      362. Mittel der Verthierung. – Im Kampf mit der Dummheit werden die billigsten und sanftesten Menschen zuletzt brutal. Sie sind damit vielleicht auf dem rechten Wege der Vertheidigung; denn an die dumme Stirn gehört, als Argument, von Rechtswegen die geballte Faust. Aber weil, wie gesagt, ihr Charakter sanft und billig ist, so leiden sie durch diese Mittel der Nothwehr mehr als sie Leid zufügen.

      363. Neugierde. – Wenn die Neugierde nicht wäre, würde wenig für das Wohl des Nächsten gethan werden. Aber die Neugierde schleicht sich unter dem Namen der Pflicht oder des Mitleides in das Haus des Unglücklichen und Bedürftigen. – Vielleicht ist selbst an der vielberühmten Mutterliebe ein gut Stück Neugierde.

      364. Verrechnung in der Gesellschaft. – Dieser wünscht interessant zu sein durch seine Urtheile, jener durch seine Neigungen und Abneigungen, der Dritte durch seine Bekanntschaften, ein Vierter durch seine Vereinsamung – und sie verrechnen sich Alle. Denn Der, vor dem das Schauspiel aufgeführt wird, meint selber dabei das einzig in Betracht kommende Schauspiel zu sein.

      365. Duell. – Zu Gunsten aller Ehrenhändel und Duelle ist zu sagen, dass, wenn Einer ein so reizbares Gefühl hat, nicht leben zu wollen, wenn Der und Der das und das über ihn sagt oder denkt, er ein Recht hat, die Sache auf den Tod des Einen oder des Andern ankommen zu lassen. Darüber, dass er so reizbar ist, ist gar nicht zu rechten, damit sind wir die Erben der Vergangenheit, ihrer Grösse sowohl wie ihrer Uebertreibungen, ohne welche es nie eine Grösse gab. Existirt nun ein Ehren-Kanon, welcher Blut an Stelle des Todes gelten lässt, so dass nach einem regelmässigen Duell das Gemüth erleichtert ist, so ist diess eine grosse Wohlthat, weil sonst viele Menschenleben in Gefahr wären. – So eine Institution erzieht übrigens die Menschen in Vorsicht auf ihre Aeusserungen und macht den Umgang mit ihnen möglich.

      366. Vornehmheit und Dankbarkeit. – Eine vornehme Seele wird sich gern zur Dankbarkeit verpflichtet fühlen und den Gelegenheiten, bei denen sie sich verpflichtet, nicht ängstlich aus dem Wege zu gehen; ebenso wird sie nachher gelassen in den Aeusserungen der Dankbarkeit sein; während niedere Seelen sich gegen alles Verpflichtet werden sträuben oder nachher in den Aeusserungen ihrer Dankbarkeit übertrieben und allzu sehr beflissen sind. Letzteres kommt übrigens auch bei Personen von niederer Herkunft oder gedrückter Stellung vor: eine Gunst, ihnen erwiesen, deucht ihnen ein Wunder von Gnade.

      367. Die Stunden der Beredtsamkeit. – Der Eine hat, um gut zu sprechen, jemanden nöthig, der ihm entschieden und anerkannt überlegen ist, der Andere kann nur vor Einem, den er überragt, völlige Freiheit der Rede und glückliche Wendungen der Beredtsamkeit finden: in beiden Fällen ist es der selbe Grund; jeder von ihnen redet nur gut, wenn er sans gêne redet, der Eine, weil er vor dem Höheren den Antrieb der Concurrenz, des Wettbewerbs nicht fühlt, der Andere ebenfalls desshalb angesichts des Niederen. – Nun giebt es eine ganz andere Gattung von Menschen, die nur gut reden, wenn sie im Wetteifer, mit der Absicht zu siegen, reden. Welche von beiden Gattungen ist die ehrgeizigere: die, welche aus erregter Ehrsucht gut, oder die, welche aus eben diesen Motiven schlecht oder gar nicht spricht?

      368. Das Talent zur Freundschaft. – Unter den Menschen, welche eine besondere Gabe zur Freundschaft haben, treten zwei Typen hervor. Der Eine ist in einem fortwährenden Aufsteigen und findet für jede Phase seiner Entwickelung einen genau zugehörigen Freund. Die Reihe von Freunden, welche er auf diese Weise erwirbt, ist unter sich selten im Zusammenhang, mitunter in Misshelligkeit und Widerspruch: ganz dem entsprechend, dass die späteren Phasen in seiner Entwickelung die früheren Phasen aufheben oder beeinträchtigen. Ein solcher Mensch mag im Scherz eine Leiter heissen. – Den andern Typus vertritt Der, welcher eine Anziehungskraft auf sehr verschiedene Charaktere und Begabungen ausübt, so dass er einen ganzen Kreis von Freunden gewinnt; diese aber kommen dadurch selber unter einander in freundschaftliche Beziehung, trotz aller Verschiedenheit. Einen solchen Menschen nenne man einen Kreis : denn in ihm muss jene Zusammengehörigkeit so verschiedener Anlagen und Naturen irgendwie vorgebildet sein. – Uebrigens ist die Gabe, gute Freunde zu haben, in manchem Menschen viel grösser, als die Gabe, ein guter Freund zu sein.

      369. Taktik im Gespräch. – Nach einem Gespräch mit jemandem ist man am besten auf den Mitunterredner zu sprechen, wenn man Gelegenheit hatte, seinen Geist, seine Liebenswürdigkeit vor ihm im ganzen Glanze zu zeigen. Diess benutzen kluge Menschen, welche jemanden sich günstig stimmen wollen, indem sie bei der Unterredung ihm die besten Gelegenheiten zu einem guten Witz und dergleichen zuschieben. Es wäre ein lustiges Gespräch zwischen zwei sehr Klugen zu denken, welche sich gegenseitig günstig stimmen wollen und sich desshalb die schönen Gelegenheiten im Gespräch hin und her zuwerfen, während keiner sie annimmt: so dass das Gespräch im Ganzen geistlos und unliebenswürdig verliefe, weil Jeder dem Andern die Gelegenheit zu Geist und Liebenswürdigkeit zuwiese.

      370.

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