Hauptwerke: Menschliches – Allzumenschliches, Also sprach Zarathustra, Jenseits von Gut und Böse. Friedrich Nietzsche

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Hauptwerke: Menschliches – Allzumenschliches, Also sprach Zarathustra, Jenseits von Gut und Böse - Friedrich Nietzsche

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zornwüthigen Mutter leben. Hat man so Etwas erlebt, so wird man sein Leben lang es nicht verschmerzen, zu wissen, wer Einem eigentlich der grösste, der gefährlichste Feind gewesen ist.

      423. Eltern-Thorheit. – Die gröbsten Irrthümer in der Beurtheilung eines Menschen werden von dessen Eltern gemacht: diess ist eine Thatsache, aber wie soll man sie erklären? Haben die Eltern zu viele Erfahrung von dem Kinde und können sie diese nicht mehr zu einer Einheit zusammenbringen? Man bemerkt, dass Reisende unter fremden Völkern nur in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes die allgemeinen unterscheidenden Züge eines Volkes richtig erfassen; je mehr sie das Volk kennen lernen, desto mehr verlernen sie, das Typische und Unterscheidende an ihm zu sehen. Sobald sie nah-sichtig werden, hören ihre Augen auf, fern-sichtig zu sein. Sollten die Eltern desshalb falsch über das Kind urtheilen, weil sie ihm nie fern genug gestanden haben? – Eine ganz andere Erklärung wäre folgende: die Menschen pflegen über das Nächste, was sie umgiebt, nicht mehr nachzudenken, sondern es nur hinzunehmen. Vielleicht ist die gewohnheitsmässige Gedankenlosigkeit der Eltern der Grund, wesshalb sie, einmal genöthigt über ihre Kinder zu urtheilen, so schief urtheilen.

      424. Aus der Zukunft der Ehe. – Jene edlen, freigesinnten Frauen, welche die Erziehung und Erhebung des weiblichen Geschlechtes sich zur Aufgabe stellen, sollen einen Gesichtspunct nicht übersehen: die Ehe in ihrer höheren Auffassung gedacht, als Seelenfreundschaft zweier Menschen verschiedenen Geschlechts, also so, wie sie von der Zukunft erhofft wird, zum Zweck der Erzeugung und Erziehung einer neuen Generation geschlossen, – eine solche Ehe, welche das Sinnliche gleichsam nur als ein seltenes, gelegentliches Mittel für einen grösseren Zweck gebraucht, bedarf wahrscheinlich, wie man besorgen muss, einer natürlichen Beihülfe, des Concubinats ; denn wenn aus Gründen der Gesundheit des Mannes das Eheweib auch zur alleinigen Befriedigung des geschlechtlichen Bedürfnisses dienen soll, so wird bei der Wahl einer Gattin schon ein falscher, den angedeuteten Zielen entgegengesetzter Gesichtspunct maassgebend sein: die Erzielung der Nachkommenschaft wird zufällig, die glückliche Erziehung höchst unwahrscheinlich. Eine gute Gattin, welche Freundin, Gehülfin, Gebärerin, Mutter, Familienhaupt, Verwalterin sein soll, ja vielleicht abgesondert von dem Manne ihrem eigenen Geschäft und Amte vorzustehen hat, kann nicht zugleich Concubine sein: es hiesse im Allgemeinen zu viel von ihr verlangen. Somit könnte in Zukunft das Umgekehrte dessen eintreten, was zu Perikles' Zeiten in Athen sich begab: die Männer, welche damals an ihren Eheweibern nicht viel mehr als Concubinen hatten, wandten sich nebenbei zu den Aspasien, weil sie nach den Reizen einer kopf- und herzbefreienden Geselligkeit verlangten, wie eine solche nur die Anmuth und geistige Biegsamkeit der Frauen zu schaffen vermag. Alle menschlichen Institutionen, wie die Ehe, gestatten nur einen mässigen Grad von praktischer Idealisirung, widrigenfalls sofort grobe Remeduren nöthig werden.

      425. Sturm- und Drangperiode der Frauen. – Man kann in den drei oder vier civilisirten Ländern Europa's aus den Frauen durch einige Jahrhunderte von Erziehung Alles machen, was man will, selbst Männer, freilich nicht in geschlechtlichem Sinne, aber doch in jedem anderen Sinne. Sie werden unter einer solchen Einwirkung einmal alle männlichen Tugenden und Stärken angenommen haben, dabei allerdings auch deren Schwächen und Laster mit in den Kauf nehmen müssen: so viel, wie gesagt, kann man erzwingen. Aber wie werden wir den dadurch herbeigeführten Zwischenzustand aushalten, welcher vielleicht selber ein paar Jahrhunderte dauern kann, während denen die weiblichen Narrheiten und Ungerechtigkeiten, ihr uraltes Angebinde, noch die Uebermacht über alles Hinzugewonnene, Angelernte behaupten? Diese Zeit wird es sein, in welcher der Zorn den eigentlich männlichen Affect ausmacht, der Zorn darüber, dass alle Künste und Wissenschaften durch einen unerhörten Dilettantismus überschwemmt und verschlammt sind, die Philosophie durch sinnverwirrendes Geschwätz zu Tode geredet, die Politik phantastischer und parteiischer als je, die Gesellschaft in voller Auflösung ist, weil die Bewahrerinnen der alten Sitte sich selber lächerlich geworden und in jeder Beziehung ausser der Sitte zu stehen bestrebt sind. Hatten nämlich die Frauen ihre grösste Macht in der Sitte, wonach werden sie greifen müssen, um eine ähnliche Fülle der Macht wiederzugewinnen, nachdem sie die Sitte aufgegeben haben?

      426. Freigeist und Ehe. – Ob die Freigeister mit Frauen leben werden? Im Allgemeinen glaube ich, dass sie, gleich den wahrsagenden Vögeln des Alterthums, als die Wahrdenkenden, Wahrheit-Redenden der Gegenwart es vorziehen müssen, allein zu fliegen.

      427. Glück der Ehe. – Alles Gewohnte zieht ein immer fester werdendes Netz von Spinneweben um uns zusammen; und alsobald merken wir, dass die Fäden zu Stricken geworden sind und dass wir selber als Spinne in der Mitte sitzen, die sich hier gefangen hat und von ihrem eigenen Blute zehren muss. Desshalb hasst der Freigeist alle Gewöhnungen und Regeln, alles Dauernde und Definitive, desshalb reisst er, mit Schmerz, das Netz um sich immer wieder auseinander: wiewohl er in Folge dessen an zahlreichen kleinen und grossen Wunden leiden wird, – denn jene Fäden muss er von sich , von seinem Leibe, seiner Seele abreissen. Er muss dort lieben lernen, wo er bisher hasste, und umgekehrt. Ja es darf für ihn nichts Unmögliches sein, auf das selbe Feld Drachenzähne auszusäen, auf welches er vorher die Füllhörner seiner Güte ausströmen liess. – Daraus lässt sich abnehmen, ob er für das Glück der Ehe geschaffen ist.

      428. Zunahe. – Leben wir zu nahe mit einem Menschen zusammen, so geht es uns so, wie wenn wir einen guten Kupferstich immer wieder mit blossen Fingern anfassen: eines Tages haben wir schlechtes beschmutztes Papier und Nichts weiter mehr in den Händen. Auch die Seele eines Menschen wird durch beständiges Angreifen endlich abgegriffen; mindestens erscheint sie uns endlich so, – wir sehen ihre ursprüngliche Zeichnung und Schönheit nie wieder. – Man verliert immer durch den allzuvertraulichen Umgang mit Frauen und Freunden; und mitunter verliert man die Perle seines Lebens dabei.

      429. Die goldene Wiege. – Der Freigeist wird immer aufathmen, wenn er sich endlich entschlossen hat, jenes mutterhafte Sorgen und Bewachen, mit welchem die Frauen um ihn walten, von sich abzuschütteln. Was schadet ihm denn ein rauherer Luftzug, den man so ängstlich von ihm wehrte, was bedeutet ein wirklicher Nachtheil, Verlust, Unfall, eine Erkrankung, Verschuldung, Bethörung mehr oder weniger in seinem Leben, verglichen mit der Unfreiheit der goldenen Wiege, des Pfauenschweif-Wedels und der drückenden Empfindung, noch dazu dankbar sein zu müssen, weil er wie ein Säugling gewartet und verwöhnt wird? Desshalb kann sich die Milch, welche die mütterliche Gesinnung der ihn umgebenden Frauen reicht, so leicht in Galle verwandeln.

      430. Freiwilliges Opferthier. – Durch Nichts erleichtern bedeutende Frauen ihren Männern, falls diese berühmt und gross sind, das Leben so sehr, als dadurch dass sie gleichsam das Gefäss der allgemeinen Ungunst und gelegentlichen Verstimmung der übrigen Menschen werden. Die Zeitgenossen pflegen ihren grossen Männern viel Fehlgriffe und Narrheiten, ja Handlungen grober Ungerechtigkeit nachzusehen, wenn sie nur Jemanden finden, den sie als eigentliches Opferthier zur Erleichterung ihres Gemüthes misshandeln und schlachten dürfen. Nicht selten findet eine Frau den Ehrgeiz in sich, sich zu dieser Opferung anzubieten, und dann kann freilich der Mann sehr zufrieden sein, – falls er nämlich Egoist genug ist, um sich einen solchen freiwilligen Blitz-, Sturm- und Regenableiter in seiner Nähe gefallen zu lassen.

      431. Angenehme Widersacher. – Die naturgemässe Neigung der Frauen zu ruhigem, gleichmässigem, glücklich zusammenstimmendem Dasein und Verkehren, das Oelgleiche und Beschwichtigende ihrer Wirkungen auf dem Meere des Lebens, arbeitet unwillkürlich dem heroischeren inneren Drange des Freigeistes entgegen. Ohne dass sie es merken, handeln die Frauen so, als wenn man dem wandernden Mineralogen die Steine vom Wege nimmt, damit sein Fuss nicht daran stosse, – während er gerade ausgezogen ist, um daran zu stossen.

      432. Missklang zweier Consonanzen. – Die Frauen wollen dienen und haben darin ihr Glück: und der Freigeist will nicht bedient sein und hat darin sein Glück.

      433. Xanthippe. – Sokrates fand eine Frau, wie er sie brauchte, – aber auch er hätte sie nicht gesucht, falls er sie gut genug gekannt hätte: so weit wäre auch der Heroismus dieses freien Geistes nicht gegangen. Thatsächlich trieb ihn Xanthippe in seinen eigenthümlichen Beruf immer mehr hinein, indem sie ihm Haus und Heim unhäuslich und unheimlich machte: sie lehrte

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