Die Pyrenäenträumer - Band 2. Wolfgang Bendick
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Der Aufstieg hat uns gut aufgewärmt. Wir setzen uns auf unsere Parkas in den Schnee, aus dem hier und da ein Tannenspitzle herausragt. Uns zu Füssen erstreckt sich im Silberlicht der Sonne unser heimatliches Tal. Ein klarblauer Himmel wölbt sich über die Glitzerwelt, dünne aufsteigende, sich dann ausbreitende Rauchfäden zeigen an, dass hier und da noch menschliches Leben vorhanden ist. Tief unter uns liegt das langgestreckte, lehmfarbene Gebäude unseres Hofes wie eine im Eismeer verankerte Arche Noah.
Wir ziehen die Handschuhe aus, um besser den Neujahrsjoint rauchen zu können, den Reiner geschickt zusammenzaubert. Diese Handlung vertieft unser Zusammengehörigkeitsgefühl, fühlen wir uns eh schon wie Brüder, nein, eher wie Zwillinge, denn die streiten sich nicht! Unter uns braucht es nicht viele Worte. Er ist gelernter Gärtner wie ich, und das Arbeiten mit der Erde eint uns. Auch er würde gerne ein Grundstück haben, eine Scheune… Noch ein tiefes Zügle, wir lassen uns vom Gefühl der Heimat durchdringen, das uns der Ort übermittelt.
Am nächsten Morgen, meinem Geburtstag, ziehen die Verwandten es vor, früh aufzubrechen wegen der verschneiten Straßen überall. Zum Glück hatten sie das Auto im Dorf gelassen. Wir laden ihr Gepäck auf den Transporter, wickeln uns dick ein, und tasten uns vorsichtig mit dem Fahrzeug ins Tal, die Kinder johlend mit den stiebenden Schlitten voraus. Ein letztes Umarmen, Winken, dann fahren sie langsam davon, in der Hoffnung, dass die Hauptstraßen besser geräumt sind. Dennoch brauchen sie diesmal 24 Stunden für die Heimfahrt, das Doppelte wie bei schönem Wetter.
Bevor wir wieder in die warme Stube hochgehen, werfe ich noch schnell einen Blick in den Stall, um zu sehen, ob Nachwuchs da ist. Nach einer Weile erfüllt Kuchenduft die Küche. Doris hat zur Feier des Tages einen Kuchen gebacken, die Kinder legen eine Kassette mit lokaler Volksmusik ein, die sie mir gekauft haben, und wir verbringen den Tag im Warmen, nur unterbrochen von Holzholen, Stallarbeit und den Schlittenfahrten der Kinder.
Ein neues Jahr hat angefangen, jetzt, da Ruhe herrscht, ist Zeit, eine Bilanz zu ziehen: Bald sind wir vier Jahre hier. Wir haben vier Kühe, ein Dutzend Jungziegen, 18 Milchschafe und dreißig Bienenvölker. Weiterhin 15 Hühner und einen Hahn, fünf Katzen, einen Hund sowie vier Stallhasen. Und zudem eine Menge Läuse! Aber das sind wohl Dinge, die man in Kauf nehmen muss, wenn die Kinder in die Schule gehen! Und die Biester kriegt man nicht mehr los, weil immer jemand seine Kinder nicht behandelt oder kein Geld dafür hat, oder aus sonstigen ideologischen Gründen. Außerdem zahlt die Krankenkasse nicht das teure Mittel. Doch in Deutschland soll es jetzt auch Läuse geben. Wahrscheinlich sind die Biester inzwischen immun gegen alles. Nur wir Menschen sind anfällig für alles geworden!
Die Nächte sind klirrend kalt. Wir wundern uns in der Früh, dass das Heu nicht aufgefressen ist. Die Schafe machen Terror, wir fragen uns, warum. Bis wir merken, dass die Tränken in den Ställen eingefroren sind! Nur das Brunnenrohr im Hof läuft noch und der Strahl verschwindet in einem bizarren Eisgebilde. Wir schlagen das Eis von der Oberfläche, um mit einem Eimer Wasser zu schöpfen, damit wir die Tiere tränken können. Die Schafe sind so wild auf das Wasser, dass sich alle zugleich darauf stürzen und den Eimer umwerfen. Wir versuchen es mit mehreren Eimern zugleich. Das geht besser. Und wir tränken sie nun mehrmals am Tag.
Die Kühe sind da behäbiger. Sie trinken in satten, tiefen Zügen, ab und zu innehaltend, den Kopf hebend. Das Wasser trieft ihnen dann in dicke Fäden aus den glänzenden Mäulern. Wenn sie anfangen, im Eimer herum zu stoßen, heißt das, sie haben erst mal genug, und man trägt den Eimer zur nächsten Kuh.
Da draußen außer Schneeschaufeln nicht viel zu tun ist, schaffe ich die übrig gebliebenen Bretter vom Bau der Bienenstöcke rein, und fange mit dem Schreinern von Küchenmöbeln an. Zuerst eine Arbeitsfläche, mit Regalen und Schubläden darunter. Archie, der Klempner, hatte mal eine Küchenspüle aus Nirosta-Stahl bei uns gelassen, mit Doppelbecken, für Emil und Rosa. Doch die wollten so ein neumodisches Zeug nicht in ihr Haus einbauen. Also findet sie jetzt bei uns ein neues Leben. Rundum gefliest, darüber mein Weihnachtsgeschenk für Doris, ein elektrischer Durchlauferhitzer von der ‚Redoute‘, einem Versandhaus, der in Ostdeutschland hergestellt ist. Das rieche ich schon, als ich die Verpackung aufmache! Der ist für den Sommer, jetzt tut es unser ‚Schiffle‘ im Küchenherd. Das Weihnachtsgeschenk für mich war ein Elektrohobel, der jetzt mit seinem Surren und Staub das Haus erfüllt, während ich die Bretter anpasse. Da viel Holz übrig ist, baue ich gleich noch eine Ofenbank, mit einer Spielsachenabteilung für jedes Kind unten drin. Natürlich wird diese Bank sofort belegt, weil es der wärmste Platz im Haus ist! Dorle macht es sich darauf bequem und schmökert die ‚Tin Tin‘ - Comics, die der Weihnachtsmann den Kindern gebracht hatte.
Beim Umräumen finde ich in einem Winkel ein Dösle mit grünen Kräutern drinnen, die einen bitteren Duft verströmen. Als alle im Bett verschwunden sind, kann ich es mir endlich auf der Ofenbank bequem machen und schmauche im Dunkeln meine Meerschaumpfeife aus Istanbul. Ich schaue den durch die Ritzen der Ofenringe entweichenden Feuerflecken zu, die an der Zimmerdecke einen sanften Tanz vollführen und frage mich, was Leben ist und Zeit, und warum wir Menschen wirklich null Durchblick haben. Oder – ist vielleicht das Suchen nach dem Grund der wahre Sinn des Lebens? Dann wäre das ja ganz einfach!
Irgendwann werde ich wach. Das Blubbern der Flammen und ihr Tanz haben aufgehört. Gleißend, noch verstärkt durch die Kälte der Nacht, schicken die Sterne ihr Licht durch die neuen Fenster, mir eine Ahnung von der Ewigkeit des Weltalls vermittelnd. Doch wenn es da draußen so etwas wie Ewigkeit gibt, dann muss sie ebenfalls hier unten sein, auch in uns! Ich bin ein Teil des Universums! Mit dieser Gewissheit gehe ich vor die Tür. Meine Hand klebt an der Klinke fest, als ich leise die Tür schließe. Ich lasse sie so lange, bis das Metall sich erwärmt hat und mich wieder frei gibt. Der Schnee um mich herum glitzert wie ein Spiegelbild des Weltalls. Knirschend verdichtet er sich unter meinen Tritten. Ein wohliger Mief schlägt mir entgegen, als ich in den Stall schlüpfe. Noch ist das Wasser in den Becken gefroren, nur vom Rand her sind sie ein wenig aufgetaut. Schläfrig blicken mich die Kühe an, kurz ihr Widerkäuen unterbrechend, um ihren Kautabak auf die andere Seite zu schieben. Wohlig strecken sich ein paar neugierige Schafe, bevor sie näherkommen und mich beschnuppern.
Der Hund liegt hinter seinem Vorhang in der Hütte und grunzt zufrieden, als ich ihn kraule. Noch ein Schluck vom Wasserstrahl oberhalb des Eiskegels auf dem Brunnentrog, dann schnell zurück ins Haus und ins Bett. „Dieses Leben ist das Großartigste, was mir je passiert ist!“ durchströmt es mich, während der Schlaf mich in seine Arme nimmt.
*
Eigenartigerweise ist das Wasser im Haus noch nicht eingefroren. Irgendwie muss ich wieder fließendes Wasser in den Stall bekommen, der Winter kann noch lang dauern! Ich mache mit einer Brechstange einen kleinen Durchbruch vom Flur in den Raum nebenan, in welchem ich später vielleicht die Käserei einrichten will und von dort zu den Kühen. Das neue Rohr umgebe ich gut mit Schaumröhren als Isolierung und schließe es an der bestehenden Leitung im Stall an. Jetzt geht es darum, die Leitungen im Stall aufzutauen, was durch die Wärme der Tiere letztendlich gelingt. Nur müssen wir jetzt den Hahn ein kleines bisschen offenlassen, damit die neue Leitung nicht auch noch einfriert!
Nach ein paar Tagen ist es mir, als wäre es wärmer. Es ist nur noch minus sechs Grad. Und prompt fängt es auch an zu schneien! Am Abend liegen dann schon 20 Zentimeter Neuschnee und ein beißender Wind wirbelt ihn zu bizarren Dünen. Ab und zu schiebt er die Wolken auseinander und gibt den vollen Mond frei, der sich wie ein Diskus vorwärts zu bewegen scheint, die Berge in ein unirdisches Licht tauchend, Mondschattenland… Alles glitzert, sogar die sonst dunklen Schatten. Die Berge scheinen zu schweben, scheinen vergeistigt,