Stein. Sabine Korsukéwitz
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Vieles lässt sich aus der sorgfältigen Untersuchung von Fundstellen ableiten: Zum Beispiel, wann ungefähr man begann, Flammen nicht nur zum Rösten und Wärmen, sondern auch zur Beleuchtung zu nutzen, weil man nämlich ab einem bestimmten datierbaren Zeitraum feine Flintwerkzeuge im Inneren einer Höhle, weit vom lichtspendenden Eingang fand. Da saßen wahrscheinlich die Frauen am Feuer, tratschten und stichelten Lederhosen zusammen, während die Männer am Höhleneingang mit größeren Werkzeugen gröbere Arbeiten durchführten. Fürs Grobe sind sie gut.
Da der Protomensch nun in die kälteren Zonen vorgedrungen war, musste er Techniken erdenken, die dem neuen Lebensraum angepasst waren. Er brauchte Kleidung. Der Anteil an sorgfältig geformten Schnittkanten nahm zu. In Thüringen sind aus der Zeit des späten Pleistozän eine größere Zahl gekerbter Artefakte gefunden worden, die auf Faserverarbeitung hinweisen, steinerne Kämme für die Herstellung von Taschen und Matten.
Zur Zeit des späten Pleistozän existierten viele verschiedene Arten und Größen von Messern, Dolchen, Schabern, Keilen, Pfeil- und Lanzenspitzen; steinerne Kämme für Faserverarbeitung, feine Stichel zum Nähen der Tierfellkleidung; Waffenspitzen für die Jagd auf große, dickhäutige und auf kleinere Tiere, Lanzenspitzen mit Widerhaken und solche, die sich leicht vom Schaft lösen, damit der Lanzenschaft die Wunde nicht solange versiegelt, dass die Beute verwundet entkommen konnte. Sie sollte schnell ausbluten und umfallen. Schließlich mochte man ihr nicht ewig hinterherrennen.
Archäologen kommen ins Schwärmen, wenn von Solutréen-Klingen die Rede ist, ich zitiere: “Das Phänomen Solutréen mit seinen herrlichen Lorbeerblattspitzen...” . Gemeint ist eine Klinge in Lorbeerblattform von bemerkenswerter Schönheit und Präzision.
Man lernte Axtblätter, statt sie mit weichgekauten Lederriemen im gespaltenen Ende eines Astes zu befestigen, im Schaft zu durchbohren, so dass der Stiel einfach durchgesteckt werden konnte, nicht anders als heute – eine bahnbrechende Erfindung! Mit solchen Beilen kann man sogar Bäume fällen. Ein weiterer Fortschritt war das Schleifen der Äxte in Sandsteinwannen mit Hilfe von losem Sand und/oder Wasser, wobei ausgesprochen schöne Stücke entstanden. Die feinsten und farbig außergewöhnlichsten bekamen die Anführer und die besten Jäger. Die frühen Menschen konnten sich nun den Luxus von Ästhetik leisten. Schönes bekam Wert. All diese Werkzeuge wurden noch lange in die Eisenzeit hinein genutzt. Metall war viel zu selten, die Herstellung von Metallgegenständen zu aufwendig, um für Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs verwendet zu werden.
Erste Formen von Bergbau entstanden. Zunächst merkte man sich ergiebige Fundstellen. Die Jäger und Sammlergruppen kehrten in gewissen Zeitabständen zu diesen Fundstellen zurück und errichteten dort ihr Lager, das sie solange bewohnten, bis ihr Vorrat an Feuerstein aufgefüllt war. Dann zogen sie weiter. Eichhörnchen hafte Depots wurden angelegt – und vergessen, zum Glück der Forscher von heute.
Später begann man, den kostbaren Silex systematisch abzubauen, mit Grabstöcken und Hirschgeweihen, mit Winkelhölzern, Hacken. Holzkohlereste an Steilwänden weisen daraufhin, wie der erfindungsreiche Ahne lernte, Werkstoffe miteinander zu verbinden, die Reaktionen von Stein auf Temperaturunterschiede für sich zu nutzen. Feuer wurde an Silex haltigen Hängen angelegt und das umgebende Gestein dann mit Wasser abgeschreckt, um es zu zermürben und so leichter an die begehrten Knollen zu gelangen.
Ganze Familienindustrien wurden organisiert. Wahrscheinlich ging die ganze Gruppe zu eine Fundstelle. Die stärksten Männer hackten und gruben die Feuersteine frei, Frauen und Kinder sammelten sie auf und brachten sie zu den Steinschlägern, die an Ort und Stelle Rohlinge herstellten. Diese Rohlinge wurden dann zur Weiterverarbeitung ins Basislager oder die gemeinsame Höhle gebracht. Ebenso wie bei den effektiveren Jagdmethoden war hier Teamwork gefragt, unmöglich ohne Sprache und vorausplanendes Denken..
‘Spezialisierung’ heißt der Weg zur Hölle. Der homo habilis hatte auf diesem Weg den ersten Schritt getan. Bei Eygaliers, Südfrankreich, gibt es einen riesigen vorgeschichtlichen Feuersteinbruch. Aus den Überresten haben Archäologen geschlossen, dass hier ausschließlich Waffen, kaum Werkzeug hergestellt wurde – eine vorsintflutliche Waffenfabrik. Manchem Griechen in Massilia und manchem Römer wurde wohl mit Qualitätsklingen aus Eygaliers die Kehle aufgeschlitzt.
Man kann sicher davon ausgehen, dass geschickte Steinschläger ebenso viel Ansehen in der Gruppe besaßen, wie besonders gute Jäger. Bei einer der letzten noch existierenden Steinzeitkulturen, den Asmat in Papua Neuguinea, stehen die Steinschnitzer, die sibopeipits in hohem Ansehen. Sie gelten als Künstler und Lieblinge der Götter. Die Qualität ihrer Werke wird nach Härte, Textur, Farbe, Schliff und Politur beurteilt. Besonders gelungene Stücke sind viele Generationen lang bis heute weitergegeben und bewahrt worden als gehüteter Clan-Besitz. Sie werden im Wald unter Bäumen vergraben und versteckt und nur zu besonderen Anlässen hervorgeholt. Je älter sie sind, desto höher ihr Wert: Sie gelten als Verbindung zur Ahnenwelt.
Vor etwa acht bis 10 000 Jahren endete die letzte Eiszeit. Nun begann die Fortschritts-Spirale ernstlich. Die Erfindungen und Verbesserungen folgten rasch und logisch aufeinander. Da sich die hominide Bevölkerung in dem milderen Klima wieder ausbreiten konnte und nach neuen Ressourcen suchte, entstanden weite Handelsbeziehungen. Die besten Feuersteine kamen aus dem Gebiet des heutigen Norddeutschland und Mittelfrankreich und wurden bis weit in die Mittelmeergebiete gehandelt. Woher weiß man das? 1898 berichtete Rudolf Virchow – der nicht nur Pathologe war, sondern auch allgemein naturwissenschaftlich interessiert – von einer Entdeckung in Ösel im Landkreis Wolfenbüttel. Dort hatte man eine schöne große Mittelmeermuschel gefunden, eine Tritonschnecke, die mit Flintstücken gefüllt war. Das spitze Endstück der Muschel war bearbeitet und durchbohrt: Offenbar ist sie als Trompete genutzt worden und hatte – für damalige Verhältnisse – einen weiten Weg hinter sich. Aus solchen und ähnlichen Funden von Gegenständen weit von ihren jeweiligen Ursprungsort hat man sich ein Bild machen können vom erstaunlichen Ausmaß steinzeitlicher Fernbeziehungen. Nach genauen Untersuchungen über die Herkunft bestimmter Gesteine, ließ sich für die schönen, tiefschwarz glänzenden Geräte aus Hornblendeschiefer aus dem Böhmischen zum Beispiel ein Handel entlang der großen Flüsse nachweisen bis zum Unterrhein, nach Friedland und in die Mark Brandenburg.
Die Methoden des Bergbaus waren um 3000 v.Chr. bereits auf hohem Niveau. Neben dem Tagebau und dem Herausarbeiten von Flintknollen aus Hängen und Wänden, wurden trichterförmige Löcher bis zu fünf Metern Tiefe gegraben und schließlich sogar Stollen in den Berg getrieben, so tief, dass man dort nur noch mit künstlichem Licht, im Schein von brennenden Kienspänen arbeiten konnte. Bis zu siebzehn Meter tief wurden die Stollen vorangetrieben, wobei sie progressiv niedriger wurden, um ein Einstürzen der Stollen zu verhindern. Hölzerne Stützen gab es zu dieser Zeit noch nicht. Besonders viele solch urgeschichtlicher Stollensysteme hat man in Belgien, England, den Niederlanden, Polen und Ungarn gefunden. Zeichen von Gewinnstreben: Man baute das weithin begehrte Material nun nicht mehr nur für den eigenen Bedarf ab, sondern um damit Handel zu treiben. Um gute Fundgründe dürfte es auch schon die ersten Kleinkriege gegeben haben. Flint war damals der wichtigste Rohstoff. Wer die Fundstellen kontrollierte, konnte die Preise diktieren; das war in der Steinzeit nicht anders als heute.
Mit der Ballung von Menschen konnten das Jagen von Wild und das Sammeln von Wurzeln, Kräutern und Beeren den Nahrungsbedarf nicht mehr decken. Nomadenhafte Tierhaltung gab es wahrscheinlich schon seit 50000 Jahren. Jetzt kam der systematische Anbau von Pflanzen dazu. Gerätschaften zur Bearbeitung des Bodens und Getreideernte mussten erdacht werden. Regelrechte Sicheln von bis zu 30 Zentimetern Länge wurden aus den größten Rohlingen gefertigt, ein Meisterstück der Steinzeit-Technik. Neu dazu kam der Reib- und Mahlstein zur Bereitung von Breien und später Mehl für Brot. Hierzu eignete sich am besten Basaltlava, wie sie in der Eifel und an einigen Stellen in Frankreich und Ungarn vorkommt.