Stein. Sabine Korsukéwitz

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Stein - Sabine Korsukéwitz

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der Ewigkeit bereits verbunden fühlten. Sie hatten den Tod nicht so zu fürchten wie wir.

      Die einzigen Steine von Wert für die australischen Ureinwohner, waren auffallend geformte Kiesel, bis zu handtellergroß und abgeflacht, die mit Pflanzenfarben bemalt und bestimmten Ritualen zugeordnet waren. Sie symbolisierten die Verbindung zu bestimmten Teilen der Traumzeit, in die auch lebende Menschen in Schlaf oder Trance jederzeit zurückkehren können. Man könnte sagen, auch sie hatten das Bedürfnis, die Vergänglichkeit zu bewältigen, aber sie entwickelten dazu von Anfang an eine andere Strategie als wir: Nicht die Trennung von der Natur und ihre Überwindung, sondern die Bewahrung der Einheit.

      Ebenso, wie die Aborigines, haben andere Völker in extremen Umweltbedingungen sich ab einem bestimmten Punkt nicht weiterentwickelt oder, anders ausgedrückt, sich zufrieden gegeben. Aber unsere Welt ist zu klein geworden, der Druck zu groß. Man wird ihnen nicht erlauben, in der selbstgewählten Steinzeit zu verharren. Der Hominide will nicht unbedingt lernen, aber er muss.

      2. Von Hünengräbern und Hinkelsteinen

      Morgennebel über den rauen Felsen der bretonischen Küste. Es riecht herb nach Salzwasser und Tang, nur wenig versüßt vom Duft des blühenden Ginsters. Hohe Wolkenschleier im Osten beginnen sich rosig zu färben, aber hier unten herrschen noch Schatten und Dämmerung. Hölzerne Boote scharren über den Sand, werden hastig ans Ufer gezogen vor dem Zugriff der gierigen Wellen. Zwei, drei halbwüchsige Jungen bleiben am Strand zurück. Eine Gruppe von gebückten Gestalten schleicht sich von der Küste her ins Landesinnere. Speere und Steinbeile heben sich aus den Umrissen ab. Es sind Krieger eines fremden Stammes auf Beutezug nach Frauen oder was sonst gerade fehlt bei ihnen zuhause. Siegessicher sind sie, malen sich in Gedanken aus, wie man sie bei ihrer Rückkehr empfangen wird und welche Trophäen sie wegschleppen werden. Kein Wachfeuer brennt. Ahnungslos schläft das Dorf, dem sie sich nähern.

      Da plötzlich tauchen im Dunst vor ihnen graue Schemen auf, grobschlächtig und riesenhaft, eine lange Reihe davon, und dahinter noch eine Reihe. Unzählbar stehen sie dort, die Wächter, dunkel und still. Die räuberische Horde bleibt stehen, duckt sich, wittert – geflüsterte Beratung. Die Riesen rühren sich nicht. Was ist das? Was wird geschehen, wenn man versucht, an ihnen vorbei zu gelangen? Es wird gestikuliert, gedeutet, geschubst: Geh du zuerst! Nein du! Nein, du! Keiner kann sich entschließen. Und die Riesen stehen und starren. Zu unbegreiflich, zu unheimlich sind diese grauen Wächter. Und während man unentschlossen starrt, leuchtet der Himmel schon golden; ein Hahn kräht. Die rechte Stunde ist vertan. Die Horde kehrt um. Der Angriff wurde abgewehrt ohne einen Speerwurf, ohne einen Laut.

      Menhire, die bretonischen Fingersteine, verwitterte Brocken Granit, deren einstige Form nur zu ahnen ist. Auch 1000 Dolmen (keltisch: tol = Tisch, men = Stein) – drei Tragsteine, darüber eine Deckplatte – stehen an der bretonischen Atlantikküste. Man nimmt an, dass es Gräber sind. Unter manchen fand man Knochen, Grabbeigaben. Nicht unter allen. Vielleicht wurden sie geplündert, vielleicht waren nie welche da. Und die 5000 Menhire? Wozu sie errichtet wurden unter unendlichen Mühen, zu welchem Zweck, teils einzeln, teils in langen Reihen, das lässt sich nicht mehr sagen. Ganz bestimmt waren es Heiligtümer, aber auf der Basis welcher Vorstellungen? Symbolisierten sie gefallene Krieger, eine Armee aus Stein, oder hilfreiche Geister, die Seelen der Ahnen, einen steinernen Wald? Hatten sie irgendwie mit den Gestirnen zu tun, wie der Steinkreis von Stonehenge? Unwahrscheinlich. Zwar verlaufen einige der Reihen von Ost nach West, aber nicht alle. Vergeblich hat man gemessen und nach Bezugspunkten am nächtlichen Firmament gesucht. Astrologische Observationsstätten wie Stonehenge in England lassen sich hier nicht sicher nachweisen.

      Der Altertumsforscher Carl Schuchardt, der Erfahrungen mit den klassischen Mittelmeerkulturen hatte, verglich die bretonischen Anlagen mit griechischen Feststraßen, das war kreativ, blieb aber Spekulation: Dort führten gepflasterte Straßen von einem Anlegeplatz am Meer zu einer Kultstätte, so seine Theorie – auch in der Bretagne gäbe es entsprechende Verbindungen zwischen alten Anlegeplätzen im Golf von Morbihan und den Steinalleen, die zu einem Cromlech (llech – das walisische und bretonische Wort für Stein) also zu einem Steinkreis führten, mit einer einzelnen rauen Granitsäule in der Mitte. Aber warum dann gleich vier Alleen parallel nebeneinander?

      Zu viele Stücke fehlen für den schlüssigen Beweis. Viele Menhire sind umgefallen, zerschlagen und als Baumaterial verschleppt worden. In Plouharnel, Bretagne, lieferte ein 20 Meter langer Steinkorridor zu einem Gemeinschaftsgrab das Rohmaterial für ein nahes Dorf.

      Zwischen 1830 und 1840 ist bei Saumur in Zentralfrankreich die tonnenschwere Deckplatte eines Großstein-Grabes als Brücke über einen Bach zweckentfremdet worden. Bei der Gelegenheit lernten wohl die französischen Bauern im Schweiße ihres Angesichts die Leistungen ihrer Vorfahren zu schätzen: 18 Ochsenpaare mussten vor das Trumm gespannt werden, um es zu bewegen und vier Eichen von je einem Meter Durchmesser wurden gefällt um die notwendigen Rollhölzer zu liefern, bevor die Sache auch nur in Gang kam. Eine Brücke! Welch profane Entfremdung eines Werks aus einer Zeit, in der nur höchste religiöse Ziele und die Urangst vor der Endgültigkeit des Todes die Verwendung solche Steinkolosse rechtfertigten. Die Häuser der Lebenden waren dieser Mühe nicht wert. Sie wurden aus Holz errichtet und Lehm, Schilf und anderen vergänglichen Materialien, mit einer einzigen Ausnahme: Skara Brae in den Orkneys. Dort war Holz so knapp, dass den Bewohnern der Insel nichts anderes übrig blieb, als ihre Behausungen aus flachen Steinplatten aufzuschichten. Das Aufstellen aber von massiven Steinriesen blieb eine Abnormität.

      Einige Autoren haben die Fingersteine als frühgeschichtliche Kunst sehen wollen. Das widerspricht der Theorie von der religiösen Kultstätte nicht. Schließlich hat sich Andacht und Verehrung immer und überall in Kunst ausgedrückt. Kunst ist die Essenz der Andacht und ein Weg dazu. Doch wer hier verehrt wurde und warum ist damit immer noch nicht erklärt. Auch vorstellbar, dass die frühe Menschheit noch gar keine fest definierten Gottheiten verehrte, sondern sich direkt an die Natur wandte. Sie betrieben eher einen Totenkult als einen Gotteskult. Ihre Heiligen waren die Geister von Quellen, Bergen, Bäumen und Steinen. Waren die Menhire also nicht Statuen für Götter sondern selbst Götter/Geister? Und wer waren die Erbauer?

      Einer lokalen Sage nach lebte hier früher eine zwergische Rasse, die Kérions oder Korrigans. Sie liebten die Steine und lebten in Löchern, die sie in die Berge gruben oder in Steinhäusern, die sie mit Zauberkraft errichteten – so erklärte man sich später die Existenz von Menhiren und Dolmen, als die Kunst ihrer Aufstellung längst in Vergessenheit geraten war. In früherer Zeit hatten die Kérions noch Umgang mit Menschen, die von weither kamen, um sie um Rat zu fragen. Heutzutage sieht man sie nur noch selten und nur am Sabbat. Es gibt alte Leute in der Bretagne, die behaupten, mit Kérions Bekanntschaft zu pflegen, aber es ist verboten allzu viel darüber zu sagen oder gar zu einem Treffen einen Fremden mitzubringen. Das würde den Zorn der Kérions nach zu ziehen. Wem sie sich zeigen, das bestimmen sie selbst. Offenbar haben sie auch entschieden etwas gegen Kameras.

      Sowohl die Sage von den hilfreichen Erdgeistern, als auch die phallische Form der standing stones verleitet bis heute romantisch veranlagte Paare, Nachtens über die Schutzzäune zu klettern um bei Vollmond zwischen den Steinen Fruchtbarkeitstänze aufzuführen. Man möchte sich das lieber nicht so genau vorstellen. Angeblich ist aber manche Bretagne-Touristin dann glücklich schwanger nach Hause zurückgekehrt.

      Vierzig bis 50 000 solcher megalithischer Monumente sind allein in Westeuropa bekannt. Steinkreise, Gräber verschiedener Formen, die alle nur eins gemeinsam haben: Die Verwendung von riesigen – von ‘mega’-Steinen. Ihre Maße und Gewichte sind eine Ansammlung von Superlativen.

      Carnac: 4 Steinalleen, zusammen fast vier Kilometer lang;

      Locmariaquer: Le Grand Menhir Brisé, der größte und schwerste aller Fingersteine, 20 Meter lang, 350 Tonnen schwer;

      Morlaix: der Grabhügel Barnenez, Parthenon der Steinzeit: 14000 Tonnen Steine wurde hier aufgeschichtet;

      Stonehenge:

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