wem ich was rede. Der Höller ist nicht mehr auszuhalten, so wichtig nimmt sich der.Ich hoffe die Adresse stimmt, sobald Sie sich bei mir gemeldet haben, sende ich Ihnen Nachricht damit Sie Rechenschaft haben, damit ich über ihr restliches Vermögen Bericht geben kann. Ich werde Ihnen, wie versprochen regelmäßig berichten, wie es steht, über Alles welches ich getreulich zu verwalten gedenke, so wie ich es Ihnen am Tage Ihrer Abreise versprochen habe. Hans ließ das Blatt sinken. Das war des Pudels Kern, das war der Schlüssel! Amadeus hat das Vermögen von einem Herrn Grandauer verwaltet! Deshalb diese Akribie, die 213.560 € waren also seit 1942/43 angespart – das Ergebnis der Verwaltung – er rechnete kurz nach - erwirtschaftet in über siebzig Jahren. Hatte er alles später von Grandauer geerbt oder geschenkt bekommen? Er las weiter.Georg Höller hat alles dran gesetzt und ist tatsächlich der Vorsitzende der Milchbauernvereinigung geworden, als Ortsgruppenführer und Bauernführer kann er walten und schalten wie er will. Ein Nazi durch und durch. Er ist natürlich UK gestellt, während die anderen Männer an die Front müssen. Vermögen speziell von Juden wurden beschlagnahmt, aber damit nicht genug, sie verfolgen alle ob Kommunisten, Zentrumspolitiker, Sozialisten. Wer nicht für sie ist, ist gegen sie – genau wie Sie immer gesagt haben. Es war sehr klug von Ihnen nach Amerika zu gehen. Die Einschüchterung läuft im großen Stil und ich hab Angst, dass sie mich trotzdem, dass ich ein Christ bin, holen. Die beiden Pünktchen sind ja schon weg, ich heiße jetzt Gluck – ob das wohl helfen wird? Ich bin in das Kutscherhaus gezogen und habe das Haupthaus und den Pavillon an – seien Sie versichert - ordentliche Menschen vermietet. Das Haupthaus habe ich vermietet an Herrn Lehrer Baumann mit Frau und Kindern. Er lehrt an der örtlichen Schule. Er ist Beamter auf Lebenszeit. Den Pavillon habe ich eigenhändig mit Umbaumaßnahmen für eine dauerhafte Bewohnbarkeit nutzbar gemacht. Es wohnt ein lediges Fräulein vom Rathaus drin - Maria Wildgruber. Ich glaube gar, dass Sie sie kennen. Ich selber habe im alten Kutschenhaus das ehemalige Kutscherzimmer bezogen und den Stall umgebaut, mit einer kleinen Küche und einem Bad. Alle Einnahmen gehen auf ein eigens eingerichtetes Bankkonto bei der örtlichen Sparkasse, der Direktor ist zwar kein Nazi, aber trauen tue ich dem auch nicht. Meine Aufstellungen umfassen die Einnahmen (Miete) und stellen die Ausgaben (meinen Lohn, sonstige Kosten und die Abgaben) dagegen. Einmal pro Jahr werde ich zum Steuerberater Herrn Dr. Baumgärtl am Marktplatz gehen und die Steuer ordnungsgemäß an das Finanzamt entrichten. Von allem werde ich getreulich berichten, so dass Sie sich keine Sorgen machen müssen, da Sie alles nachvollziehen können. Achten Sie auf Ihre Gesundheit - seit Kindesbeinen ist Ihr Herz ja nicht das Beste - und diese aufregenden Zeiten sind dem Herzen sicherlich nicht zuträglich. Ich hoffe, Ihre Reise ist gut verlaufen und Sie können im fremden Lande sich heimisch machen. Gott segne und beschütze Sie.Ihr getreulicher Amadeus GlückP.S. In der Hoffnung bald von Ihnen Nachricht zu haben Hans erinnerte sich, in der Schule gehört zu haben, dass vor der Machtergreifung der Nazis schon Zehntausende, meist bildende Künstler, Wissenschaftler, Intellektuelle, aber auch politisch Andersdenkende, Schriftsteller, Schauspieler, Theater- und Filmschaffende und eben die besonders verfolgten Juden das Land verlassen hatten und diese Emigration unvermindert anhielt während der ganzen Herrschaftszeit der Nazis. Wie wenig er sich davon gemerkt hatte! Geschichte war langweilig, aber wenn man plötzlich sah, was es für das Leben eines Mannes bedeutet hatte, sah das schon anders aus. Auf jeden Fall dürfte Bartholomäus Grandauer also auf eine große deutschsprachige Gemeinde getroffen sein, egal wohin er in den USA auch gegangen war. Was es wohl für einen Menschen bedeutete, alle Brücken hinter sich abzubrechen? Sich ins Ungewisse zu wagen? Alles neu anzufangen? Selbst die Sprache ist nicht die eigene! Darüber hatte er sich nie wirklich Gedanken gemacht und Gott-sei-Dank auch nie machen müssen. Er schätzte auf einmal sein wohlgeordnetes Leben, unspektakulär, gleichförmig aber eben auch ohne Angst vor Verfolgung. Die Briefe aus dem Tresor lagen als großer, farbig gesprenkelter wilder Haufen über den Tisch verstreut. Die Umschläge in weiß, braun oder gelblich, größere, schmalere, dickere und flachere: Alle lagen ungeordnet vor ihm. Wahllos griff er nach irgendeinem und öffnete ihn wie zuvor.Grafing den 1.8.1945Lieber sehr geehrter Herr Grandauer,noch immer weiß ich nichts über Ihren Verbleib und wie es Ihnen ergangen ist. Ich mache mir Sorgen, nach so vielen Jahren ohne Nachricht. Jetzt wo wir befreit sind, kommen Sie sicher wieder nach Hause. Oder ich kann mich auf die Suche nach Ihnen machen. Seit drei Monaten sind die Amerikaner hier. Sie glauben gar nicht wie froh wir alle waren. Die Amerikaner haben mich aus dem KZ befreit. Ich war zwei Jahre im KZ Außenkommando Ebersberg-Steinhöring gefangen, der Höller hat mich da reingebracht. Ich sei Jude hat er behauptet, aber er wollte nur die Villa und das Geld. Er hatte schon Monate gegen mich gehetzt und meine Papiere wurden einfach für ungültig erklärt! Es wurde alles beschlagnahmt und er hat zwei Jahre in der Villa gewohnt. Die konnten nicht glauben, dass ich nichts auf dem Bankkonto habe. Sie haben alles auf den Kopf gestellt, um das Geld zu finden, aber ich hatte ein sicheres Versteck, da ich schon ahnte, dass es so kommen würde. Sie haben nichts gefunden. Der Höller hat natürlich nicht bezahlt und alle anderen Mieter rausgeworfen, es gibt also keine Einnahmen für die Höller-Jahre. Ich war dann im KZ, deshalb habe ich Ihnen zwei Jahre nicht schreiben können, aber der Gedanke, dass Sie sich wenigsten rechtzeitig in Sicherheit gebracht haben, der hat mein Herz erleichtert während all der Zeit.Ich bin am 21.3.1943 zu Hause um fünf Uhr in der Früh deportiert worden. Am Sonntag. Die haben an der Türe gepoltert und rumgebrüllt. Ich war noch schlaftrunken, im Schlafanzug haben die mich verhaftet. Stellen Sie sich vor, im Schlafanzug. Barfuß. Ich musste auf einen Wagen steigen, da saßen die alte Frau Roth und eine Familie, die ich nicht kannte. Sie brachten uns nach Grafing Bahnhof. Wir sind in einen Güterzug verladen worden und kamen dann in Dachau an. Dort wurden wir registriert, wir wurden alle kahlgeschoren – mit stumpfen Rasiermessern, ich habe heute noch Narben und Scharten davon. Auch die Frauen haben sie geschoren und die Kinder. Einige haben geweint. Alles immer im Laufschritt und immer wurden alle Befehle gebrüllt. Dann wurden wir selektiert, wir mussten uns ganz nackt ausziehen Männer und Frauen und die Kinder! Ich habe mich so geschämt. Dann wurden alle erneut getrennt. Noch heute höre ich die Mütter und die Kinder, nachts. Ich will nicht klagen, ich lebe. Ich wurde als arbeitsfähig eingestuft und bekam einen Sträflingsanzug und eine Nummer in den Arm eintätowiert und dann wurde ich ins Außenlager Eberberg-Steinhöring verlegt. Wir arbeiteten für den Lebensborn, auch so eine Nazierfindung. Sie wollten besondere Arier züchten, also haben sie Frauen aus Deutschland, aber auch Frauen aus Norwegen, den Niederlanden und so hierher verschleppt, alle blond, blauäugig und groß. Deutsche Männer, die als Arier galten und alle von der Waffen SS, haben dann mit diesen armen Frauen Kinder gezeugt.Wir haben die dafür benötigten Einrichtungen geschreinert. Kinderwiegen, Kinderbetten, Kommoden und Alles in Stand gehalten. Wieso der Höller gedacht hat, ich sei Schreiner, kann ich nicht sagen, jedenfalls musste ich ganz schnell so tun, als ob ich einer sei. Am 1. Mai 1945 standen die Amerikaner vor den Toren, die Wachen waren schon vorher abgehauen, aber die Tore waren verschlossen. Die Amerikaner sind einfach mit dem Panzer durchgefahren! Das Geräusch, wie die das Tor niedergemalmt haben, klang wie der schönste Jubelgesang in meinen Ohren. Ich war froh. Mager und hungrig, aber so froh, ich habe geweint vor Freude. Die haben uns registriert, waren nett. Die Ärzte haben mich untersucht und ich habe Brot bekommen und Suppe. Wenn man so verhungert ist, darf man nicht zu schnell zu viel essen, da stirbt man dran. Die ersten Tage war ich in einer Art Lazarett, ich habe nur schöne, dicke Suppen bekommen, sie glauben nicht wie gut das geschmeckt hat. Einer der Offiziere hat Akten angelegt und ich durfte meine Geschichte erzählen. Dann bin ich wieder heimgekommen nach Grafing. Der Höller war weg! Den haben sie ein paar Tage später gefunden, im Gebüsch auf dem Weg nach Grafing-Bahnhof, erstochen. Man munkelt es waren die Zwangsarbeiter - die befreiten. Einer der Lagerdolmetscher lag daneben, auch erstochen. Die Amerikaner haben nicht nur uns KZler befreit sondern auch die Zwangsarbeiter. Jetzt plant der Offizier, den ich am 4 Mai kennengelernt habe, die Vermögensrückübertragung. Ich werde davon ausführlich berichten und Ihnen die Dokumente senden, sobald ich Ihre Adresse habe. Jetzt kommen Sie doch bald zurück, oder? Ich würd mich so freuen, Sie wohlbehalten wiederzusehen. Ach und das will ich Ihnen auch noch berichten:Der 4. Mai war ein toller Tag! Die Amerikaner haben in der Nähe der alten Kegelbahnen, hinten beim ehemaligen Wild-Bräu ein Lager mit 40.000 eingemauerten Flaschen Spirituosen gefunden! Eingemauert! 40.000 Flaschen Bier, Wein und Schnaps! Stellen Sie sich das vor. Ich sag Ihnen Herr Grandauer, da haben alle gefeiert! Die Grafinger – also die die noch übrig waren - und die befreiten Zwangsarbeiter und wir die überlebenden KZler aus Steinhöring und die Bauern und alle amerikanischen Soldaten, also das war eine