Wer bestimmt die Realität. Renate Amelung
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“Jetzt gehen Sie zu weit, aber so viel; er hat Sie auf der ganzen Welt gesucht. Nur Sie verfügen über intime Kenntnisse, weil keine Pläne existieren, wenn wir von ihrem Gehirn absehen. Da rechne ich jetzt ganz stark mit.”
“Moment ich war nicht allein! Da ist noch, Dozenrath, Münch, Marsfeller inzwischen Doktor Marsfeller. Er sitzt irgendwo.”
“Vergessen Sie alles.” Ira stöhnte. “Außer Ihnen lebt keiner mehr.”
“Nö nee? Das ist ein schlechter Scherz!” Lukas stand auf und holte die Zeitung von gestern. Er warft ihr den Anzeigenteil zu und fragte nervig. “Steht das in einem Zusammenhang? Ist das Ihre Idee?”
“Oh, Sie haben einen Namensvetter?”
“Hatte, einer von uns ist tot”, sagte Lukas nachdenklich. “Warum ausgerechnet wir beide? Weshalb nehmen Sie nicht Ihre jungen spritzigen von der Uni.”
“Sollte Ihnen entgangen sein, dass ich Ihr Wissen ansprach? Außerdem haben die damals noch im Sandkasten gespielt.”
" Das war
die Zusage. Ich habe auch nichts Anderes erwartet, aber wir reisen inkognito. Das heißt, zwei Herren im dunklen Anzug finde ich ebenso auffällig wie ein paar Naturburschen die im Wald rumstreunen.”
Wann hatte er ja gesagt? „Wie haben Sie sich das gedacht mit der Reise inkognito?”
“Ich dachte an ein Paar, wir sind ein Paar”
“Das ist nicht Ihr Ernst! Ich soll mit Ihnen einen Flitterwöchner spielen, abgesichert mit gesetzlicher Unfallversicherung der Berufsgenossenschaft?”
“Ich dachte eher an einen Mann in der Midlife-Crisis der sich mit einer Affäre seine Jugend zurückholen will. Kommt doch öfter vor und man kann herrlich geheimtun, wegen der Ehefrau oder der Firma, die nicht wissen darf, dass man mit der Sekretärin unterwegs ist, mit gesetzlicher Unfallversicherung der Berufsgenossenschaft, versteht sich. Sehen Sie da jetzt ein moralisches Problem?” Ira hätte ihm jetzt gerne sein spöttisches Grinsen um die Mundwinkel mit einem heftigen Stoß in die Rippen ausgetrieben.
Lukas stand auf, und packte ein paar Kleidungsstücke in die Reisetasche.
Mein Gott,
haben Sie keinen Keller?”, fragte Ira, als Lukas den Kofferraum seines Volvos geöffnet hatte. Er schwieg und fragte sich mit welchen bleischweren Utensilien sie reiste, die er gerade über die Ladekante hievte.
Lukas pachtete wieder das Schweigen und rutschte auf den Fahrersitz neben Ira. Startete den Motor.
Das Radio plärrte erbarmungslos als Lukas den Motor startete. Es war ihm eine neue Erfahrung, dass ihm die Heavy Metal-Klänge, die Melanie ihm ständig zumutet so angenehm vertraut waren.
Die Stadt war gespenstisch leer um die Zeit. Erst auf dem Südring belebte sich die Straße etwas. Lukas bog auf die Shell-Tankstelle ab um zu tanken.
Im Shop wollte er mit der Kreditkarte bezahlen, aber sie war ungültig.
Der Herkules hinter dem Tresen füllte mit seiner Körpermasse die ganze Kassenzone aus und grinste breit. Kurz entschlossen fingerte Lukas das Portemonnaie aus der Hosentasche, murmelt innerlich ein Stoßgebet, denn Bargeld führte er selten mit.
Herkules zeigte seinen Spaß in dem er die Fäuste ineinander windet. Lukas fragte ob er später zahlen kann, denn er war bekannt, als solventer und ehrlicher Kunde, der stets sein Auto zur Innen- und Außenwäsche abgab, nie mit Trinkgeld geizte. Es war nie ein Problem, wenn er seine Brieftasche vergessen hatte. Doch Herkules griente nur. Lukas beschlich das Gefühl, er sollte etwas unternehmen um nicht zwischen diese Fäuste zugeraten. Madam Eichmann dürfte inzwischen auch bemerkt habe, dass Lukas in der Klemme saß. Lukas entschuldigte sich und schlich zum Wagen. Ira hatte längst verstanden. Das Seitenfenster war unten und sie hielt Lukas das Geld entgegengestreckt. Herkules steckte die Scheine ein.
Der Mann war Lukas unsympathisch, er wird mit Jo reden, wenn Jo auf sein Geld wert legt. Am Ausgang rief Lukas, “und bestellen Sie Jo einen schönen Gruß!”
“Jo?”, fragte Herkules.
“Jo, dein Chef!”
“Ich bin der Chef.”
Könnten Sie
die Musik wechseln?”, fragte Ira kurz vor dem Kölner-Ring.
“Haben Sie etwas gegen Heavy Metal? Meine Tochter beglückt mich regelmäßig damit.”
“Sie haben eine Tochter?”
Dafür kassierte sie einen bösen Seitenblick.
„Das ist nie Heavy Metal, eher sphärisch, intergalaktischer Not-Gesang“, scherzte sie versöhnlich.
“Ich habe kein Hip-Hop”, konterte Lukas. Er wechselte die CD.
“Etwas stimmt nicht, irgendetwas ist durcheinander. Mein Telefon ist abgemeldet, meine Kreditkarte ist abgelaufen. Ein alter Bekannter fordert sein Erbe ein. Bei mir zu Hause liegt die Rheinische Post mit meinem Nachruf. Ich wette, ich bin in den nächsten Stunden grau.”
“Steht Ihnen ausgezeichnet, die grauen Schläfen”, antwortete sie aufrichtig.
“Was!!!”
Heftiger Regen setzte ein.
Trotz aufbrausendem
Unwetter waren sie auf der Autobahn gut vorangekommen. Lukas war viel auf der Welt rumgekommen und zum souveränen Fahrer geworden.
Sie befuhren die Bundesstraße 51 von Euskirchen in Richtung Trier und hatten gerade die Raststation Olzheim hinter sich gelassen. Plötzlich musste er den Wagen stark gegenlenken und auf der rechten Spur zum Stillstand bringen. Plattfuß lautete die Diagnose.
Seufzend stieg Lukas aus und schlug den Kragen seines weißen irischen Troyers hoch. Es traf ihn fast der Schlag, beim Anblick der abgefahrenen Sommerreifen. Genau jener Schlag sauste durch seine Eingeweide und entlud sich mit einem Tritt auf das Hinterrad. Hallo es war Winter, und er wusste genau, dass dies kein Zufall oder seine Vergesslichkeit war.
Jetzt nervte ihn noch das Not Rad, welches er nicht auf die Antriebsachse ziehen durfte. Also auf und ab bocken, Vorderrad runter, Not Rad auf die Achse, Vorderrad nach hinten. Er war schon beim Lösen der Radmuttern nass.
“Haben Sie nicht aufgepasst, als Sie den Wagen aus der Werkstatt holten?”, fragte Ira. Sie stand mit einem winzigen Schirm über ihm.
Die Gedanken-Autobahnen in Lukas grauen Zellen meldeten hohes Verkehrsaufkommen, aber die Worte blieben im Stau stecken, denn welche Frau lässt sich gerne blöde Kuh nennen? Irgendwie waren die Machtverhältnisse nicht so verteilt wie er es für richtig hielt.