Wir statt Gier. Gordon Müller-Eschenbach
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wir statt Gier - Gordon Müller-Eschenbach страница 4
Es ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis, dass sich die „Eliten“ der großen Wirtschaftsnationen, deren Partikularinteressen sich weit über diesen Kampf erhoben haben, bis heute moralisch auf dieser Survival-Logik ausruhen. Sie verpassen die Möglichkeit etwas zu schaffen, das anderen, aufstrebenden Ländern ein Vorbild im ursprünglichen, moralischen Sinne des Wortes sein könnte: Eine Form von Erfolg, die nicht allein die Erfüllung von Eigeninteressen, sondern von gemeinschaftlichen Interessen zum Ziel hat. Gemeint sind gemeinschaftliche Interessen, die eben nicht verordnet sind (wie im Fall von China), sondern aus dem Inneren der Gemeinschaft erwachsen. Alles andere ist gefährlich und freiheitsfeindlich. Doch die Politik vergibt die Chance, Bedrohungen der Freiheit und Menschenrechtsverletzungen durch undemokratische Länder von der glaubwürdigen Position dessen zu geißeln und gegebenenfalls sogar abzustrafen, der ein intaktes Wertegerüst vorlebt.
Stattdessen pochen Politiker auf die Einhaltung von Werten, deren Bedeutung sie selbst längst verlernt haben. Gleichzeitig verdienen machtnahe Wirtschaftszweige Billionen damit, Terroristen mit Waffen zu beliefern und menschenrechtsfeindliche Systeme im Sinne der „Entwicklungshilfe“ zu unterstützen – im Glauben, ihnen die eigenen Vorstellungen von Erfolg aufdrücken zu können. Wir sind betriebsblind geworden: Unser im Ursprung christliches Wertesystem, das in Wahrheit längst im Sinne vielfältiger Partikularinteressen pervertiert worden ist, gilt als gesetzt und unantastbar. Wir vertreten unsere Position mit der agitatorischen Arroganz der Unfehlbarkeit, die historisch betrachtet jenen Regimes innewohnte, die dem Absturz geweiht waren. Wir haben allen Grund, alarmiert zu sein.
Wer dem Wandel trotzt, verliert
Ich bin froh darüber. Auf lange Sicht betrachtet ist Unglaubwürdigkeit die ultimative Suizidstrategie überkommener Machtstrukturen. Die Sklaverei wurde (weitgehend) ausgelöscht, weil sie mit dem Common Sense der postfeudalen Epoche nicht mehr vereinbar war. Diejenigen, die auf ihr vermeintlich angeborenes Recht beharrten, andere Menschen zu unterdrücken und zu instrumentalisieren, hatten am Ende das Nachsehen. Die Intelligenz der Masse setzt sich durch; wer auf der Unveränderbarkeit der Welt beharrt, wird scheitern. Es klingt banal, und doch ist es das Gesetz der Geschichte: Die von der Masse der Menschen ersehnte Revolution kommt immer, und wer sich ihr in den Weg stellt, wird früher oder später scheitern.
Mit solchen suizidalen Tendenzen haben wir es nicht nur in Regierungskreisen, sondern auch in anderen gesellschaftlichen „Pockets“ der Macht zu tun: Es ist jener Anspruch auf Deutungshoheit in Kombination mit einer schockierenden Fahrlässigkeit im Umgang mit Werten, die neben der Politik auch den Klerus, die Medien, die Gewerkschaften und andere vermeintlich werteprägende Instanzen unserer Gesellschaft dominiert. Wir finden sie überall, wo „Werte“ auf dem Etikett steht und bei genauerem Hinsehen Machterhalt drin ist. Doch auch hier gilt: Wer sich dem Wandel verweigert, wird scheitern. Immer – mal früher, mal später.
Children of the Revolution
Inzwischen mehren sich täglich die Anzeichen, dass eine Werterevolution nicht nur bevorsteht, sondern bereits begonnen hat. Die Produktivwirtschaft übernimmt dabei einmal mehr eine Vorreiterrolle und entwickelt gegen alle Widerstände Erneuerungstendenzen. Noch sind die Blockaden massiv: Die selbsternannten Bewahrer der Marktwirtschaft sind in Wahrheit ihre größten Feinde. Jene, die immer wieder neu über Werte diskutieren wollen und auf Nebenkriegsschauplätze ausweichen, um sich in eine ethisch unangreifbare Position zu bringen, sind in Wahrheit die größten Feinde jedes freiheitlichen Systems, das auf Werten basiert.
In Wahrheit geht es nämlich gar nicht darum, über Werte zu diskutieren – sondern über den Umgang mit ihnen. Unsere Grundwerte, die über die Kulturgrenzen hinweg weitgehend homogen sind, haben sich durchaus bewährt und eine Renaissance nach der anderen erlebt: Es sind gute Werte, die wir von Kindesbeinen an verinnerlichen. Woran wir immer wieder scheitern ist, dass wir die Deutungshoheit an diesen Werten, die eigentlich der Gemeinschaft dienen sollten, den selbsternannten Eliten ihrer Zeit überlassen. Wir haben sie zurückerobert, jedes Mal – doch der Zyklus Werte-Deutung-Macht-Machtmissbrauch-Revolution war immer wieder der gleiche.
Die ersten explizit formulierten Werte dienten – salopp formuliert – in grauer Vorzeit dazu, einen Haufen Wilder zu domestizieren, die sich noch schwer damit abfinden konnten, den evolutionären Schritt vom Tier zum Menschen geschafft zu haben. Kaum waren diese ersten „Etikette“ etabliert und eine Entwicklungsstufe geschafft, gingen die Stammesoberen daran, diese Errungenschaft für ihre Zwecke einzusetzen: Hierarchien wurden gebildet, in denen der Stärkere mit dem Schwächeren prinzipiell machen konnte, was er wollte – er hatte ja die Werte für sich gepachtet und war also grundsätzlich moralisch unantastbar. Bis zur nächsten Entwicklungsstufe, in der die Macht jener Eliten infolge massiven Missbrauchs von der Gemeinschaft wieder eingeschränkt wurde. Die Elite scheiterte, weil sie an ihrem Anspruch festhalten anstatt unter Einschränkung ihrer Macht die nächste Entwicklungsstufe erklimmen wollte. Macht gibt man nicht gern auf; deswegen muss sie in der Regel scheitern, um sich zu entwickeln. In der Wirtschaft ist es nicht anders.
Macht: ein zivilisatorischer Denkfehler
An der Tendenz der Instanzen, auf der bestehenden Entwicklungsstufe stehenzubleiben und ihre Macht verwalten zu wollen, hat sich bis heute wenig geändert. Ebenso wenig erodiert ist jedoch die Kraft der Gemeinschaft: Veränderungen, die eine Mehrheit der Bevölkerung für notwendig hält, werden früher oder später eintreten. Zivilisatorischer Fortschritt ist unausweichlich. Eine Nummer kleiner: Die Erneuerung eines Systems wie der Wirtschaft eines Landes lässt sich nicht dauerhaft aufhalten. Dennoch verwenden die „Stammesoberen“ all ihre Energie darauf, sie zu verhindern oder doch zumindest zu verzögern. Eliten sind vermeintlich die Avantgarde der Gesellschaft; wir vertrauen jeweils für eine begrenzte Zeit darauf, dass sie uns tragende Wände bauen werden. Wir orientieren uns an ihnen als Boten des Fortschritts, wir folgen ihnen als Leitwölfe der Veränderung. Und laufen gegen Wände, ein ums andere Mal, wenn sie erkennen, dass Veränderung die Gefahr des Machtverlusts birgt, und kräftig auf die Bremse treten.
Die bittere Moral von der Geschicht‘: Macht ist nicht fortschrittlich, sondern per Definition fortschrittsfeindlich, weil auf ihren Erhalt ausgerichtet. Macht ist rückwärtsgewandt. Macht ist agitatorisch. Macht ist opportunistisch. Macht ist unethisch. Wir folgen den Falschen. Der homo oeconomicus ist streng genommen ein ziemlicher Neandertaler.
Die Selbstreinigungskraft der Gemeinschaft
Eines jedoch hat sich gewaltig verändert: Die Zyklen von Macht verkürzen sich mehr und mehr. Ungeachtet aller Bremsmanöver der jeweils herrschenden Schicht findet Fortschritt statt – wenn auch weit unter unseren Möglichkeiten. Immerhin hat der Emanzipationswille der Masse uns inzwischen auf ein Niveau gehievt, das uns erlaubt, uns unabhängig von elitären Informationsmedien und Deutungsmustern auf ungeahnte Weise miteinander zu vernetzen. Die Schwarmintelligenz, die sich im Internet und in sozialen Netzwerken bündelt, ist die größte Bedrohung, die Macht jemals hatte. Damit gehen zweifellos große Risiken einher; vor allem aber ist die globale Vernetzung eine gar nicht zu überschätzende Verheißung von Freiheit. Sie ist die ultimative Chance der Gemeinschaft, ihre Werte