Damals im Café Heider. Martin Ahrends
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Damals im Café Heider - Martin Ahrends страница 4
Hätten wir andere Möglichkeiten gehabt, hätten wir zum Beispiel reisen können, wäre das Heider wohl nicht so wichtig gewesen.
A: Einer nennt es sein Paris, mancher preist die Synergien, die dort loderten. Mein Verdacht ist, dass sie dort verpufft sind und nur dort, nicht rausgetragen wurden, es sei denn als betrunkene Geilheit und als solche ausschweifend bestattet. Von Bestattung redet man ungern, es war ja die eigene Jugend. Und es war heiter dort im Heider.
Es war toll gewesen, ich denk gern daran zurück. Es gab keine Wirkung nach außen. Ersatzfunktion ist nicht falsch, es hatte etwas Spannendes und Entspannendes. Von dort aus entwickelten sich die Partys, diese Orgien. In der DDR gab es eine eigene Feier-Subkultur. In der Literatur viel zu wenig beachtet. Um zehn machte das Heider zu. Bis halb elf musste klar gemacht werden, wo man hingeht. Das war der regelmäßige Ablauf, zumindest am Wochenende.
Ich hab mehrfach erwogen, in den Westen zu gehen, weil in den Achtzigern immer mehr meiner Freunde im Westen waren. Merkwürdiger- oder inzwischen verständlicherweise brach der Kontakt ab. Wenn jemand drüben war, hat er sich noch einmal gemeldet: Schöne Urlaubsgrüße von Mallorca! Und das war’s. Ich hab erwogen, rüberzugehen, aber nie ernsthaft. Erstens war’s mir zu gefährlich, und ich war schon der Meinung, dass das unser Land ist. Dass man nicht weggehen sollte, solange noch die geringste Chance auf Veränderung, auf Reform besteht. Ich hab lange an den ewigen Bestand der DDR geglaubt, aber einer reformierten DDR, so dachte ich zumindest in den späten Achtzigern. Das war ein Grund, hier zu bleiben. Hat sich im Nachhinein als richtig herausgestellt.
A: Das leuchtet mir sofort ein. Als ich 84 in den Westen kam wusste ich bald, dass alles, was ich in der DDR geworden oder nicht geworden war, was ich da angesammelt hatte an Wut und Erfahrung, plötzlich unsinnig, überflüssig war, es gehörte da nicht hin, sondern in den Osten. Hab versucht, meine Texte in den Osten zu rufen, was unsinnig war, weil sie da drüben nicht ankommen konnten.
Es wäre eine falsche Entscheidung gewesen, wenn es 89 nicht gegeben hätte. Da es 89 gegeben hat, war die Entscheidung richtig.
A: Das ist schön gesagt. Das macht auch meine Entscheidung zu gehen nicht falscher als sie es damals war.
Nach 89 habe ich viel machen können, politisch und publizistisch. Ohne die Revolution wäre ich wohl auf immer in irgendeiner wissenschaftlichen Hilfsfunktion beschäftigt worden. – Nach meiner Exmatrikulation hatte ich Hausverbot an der Humboldt-Uni, konnte dort aber später meine Fächer als Fernstudent abschließen. Danach durfte ich als wissenschaftliche Hilfskraft in der Bibliothek des Zentralinstituts für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften arbeiten. Ulrike Poppe, die ich aus verschiedenen Zusammenhängen relativ gut kannte, hat mit ihrem Vater gesprochen, der war Abteilungsleiter an der Akademie der Wissenschaften und konnte etwas für mich tun. Dort bin ich bis zur Auflösung der Akademie geblieben, zuletzt als stellvertretender Institutsdirektor; weil nach der Revolution Unbelastete gesucht wurden, und viele gab’s davon nicht an diesen Instituten. So bin ich in die Direktionsebene aufgestiegen.
Heider war eine Lebenskultur. Man unterschied sich von anderen. Überhaupt war unser oppositionelles Verhalten durch eine maßlose Arroganz geprägt. Wir verachteten den Normalmenschen als Spießer.
A: Das muß man in einer bestimmten Phase wohl, um die Genese auf sich zu nehmen, die Mühen und Entbehrungen auf dem Weg zur Elite, die einem verheißen ist, aber durch nichts versprochen. Man muß die Möglichkeit einräumen, Elite zu sein, bevor man es im entferntesten ist. Um es vielleicht zu werden. Das ist arrogant, jedenfalls im Rückblick. Wir wollten Verantwortung, auf den verschiedensten Ebenen, künstlerisch, intellektuell, politisch. Ein Merkmal vieler Leute, die ich mit diesem Buchprojekt kennen lernte. Die in diesem wunderbaren Wartesaal hängen blieben.
Oder weggingen. Aber von denen hat keiner, den ich kenne, eine nennenswerte Karriere gemacht. Viele sind arg gescheitert. – Aus der Heider-Kultur ist niemand hervorgegangen, der heute einen Namen hätte.
Das hockte da auf 200 Quadratmetern zusammen und brodelte jeden Abend vor sich hin
Andreas Hampel, Fotograf
Ich bin in der Proletenstadt Magdeburg geboren. 10 Klasse POS, wenn meine Mutter sich nicht so gut mit meinem Klassenlehrer verstanden hätte, wäre ich ein paar Mal nicht versetzt worden, weil ich so ein böser Junge war. Wir klauten lieber Mopeds und besoffen uns in den Kneipen mit 15, 16, als an der Schule teilzunehmen. Das führte zu zweifacher Vorstrafe, einem Vierteljahr Knast wegen Mopedklauens und Kneipenkloppereien. Meine Vorstrafen sind noch zu Ostzeiten gelöscht worden. Im Zuge dieser rüden Pubertät hatte ich Kontakt zu einer Jungen Gemeinde in Magdeburg und fand das spaßig und interessant. Weil man da relativ offen sein konnte. Ein lieber Diakon in Neustadt. Für mich war das faszinierend: Dass ich sagen kann, was ich will. Dieses Doppelleben, was man sonst zu führen hatte... Meine Mutter hat mich ständig herbeten lassen, wie die Fernsehuhr aussieht: Punkte, keine Striche. Die Lehrer stellten Fangfragen. Ich hab natürlich nur Striche gesehen, aber das hätte mir nicht rausrutschen dürfen. Ich lernte Zootechniker, wollte im Magdeburger Zoo arbeiten. Hab aber festgestellt, wie es da hinter den Kulissen aussieht – die Tiere taten mir leid, ich hätte die am liebsten rausgelassen, und fertig. Knochenarbeit für 525,- Mark plus Überstunden. War eine interessante Zeit, bin aber nach einem Vierteljahr raus. Wechselte planmäßig alle Vierteljahr den Job, weil ich das interessant fand. Das war im Osten kein Problem. Da gab’s ein Arbeitsamt in Magdeburg, da saß eine nette alte Dame an einem Holztisch mit einem Karteikartenkasten, die fragte mich: Wie viel willst du verdienen, und wie lange willst du dafür arbeiten. Recht offenherzig. Ich wollte wenig arbeiten und viel verdienen. Also Schädlingsbekämpfung, da verdiente man viel, weil man mit Giften zugange war. Und das hat meine Karriere als Kleinmöbelhändler befördert, weil wir im Winter über die Dörfer liefen und Rattengift verkauften pro Grundstück, musste jeder abnehmen, war eine Pflicht, wie in der Gewerkschaft zu sein. Drei Mark fuffzich, Tüte Rattengift. Und ich musste auf den Speicher und nach Ratten gucken. Da standen die alten Gründerzeitschränke. Wenn es sich lohnte, haben wir das den Bauern abgeschwatzt und aufgemöbelt und verscheuert. Das hatte keine Profidimensionen. Aber das Dreifache vom normalen Arbeitslohn war locker drin. Kohle machen – kein Problem. Wer im Osten regulär arbeiten gegangen ist, der hat was falsch gemacht.
In Potsdam bin ich bei der DEFA erst als Kleindarsteller, später als Kaskadeur beschäftigt worden. Da gab es drei Profis und 15 Leute für Kneipenschlägereien und so was. Da hat man affenartig viel Geld verdient. Diesen Thälmann-Mehrteiler drehten wir mit zwei Drehstäben gleichzeitig, damit das zum Thälmanngeburtstag fertig wurde. Da verdiente ich mich dumm und dämlich, war wunderschön. Mal SA-Mann, der einen Juden verkloppt, mal KZ-Häftling... Die Kleinstadt der dreißiger Jahre drehten wir in Buna, das sah alles noch genauso aus, wenn man das Nötigste ausgebessert hatte.
1980-81 sind wir nach Polen, als das streng verboten war, haben bei einer tschechischen Bäuerin unsere Rucksäcke leer gemacht und sind durch den Kuhdrahtzaun nach Polen, da war schon Ausnahmezustand, es war keinem Deutschen mehr möglich, einzureisen. Was ich später erst erfuhr: ein paar Theologiestudenten, die zu der Zeit legal in Polen waren und Solidarnosz-Zeitungen nach Deutschland mitgebracht hatten, kriegten dafür 18 Monate Knast. Zur selben Zeit waren wir illegal in Polen, einfach aus Neugier, was da passiert. Und es passierten Sachen, mir ist die Pumpe stehen geblieben... Kriegsrecht.
Ich klingelte einen Polen raus, zehn D-Mark, dafür nahm der uns nach Krakau mit, da kannte ich mich am besten aus. Unterwegs verkauften die noch groß