Damals im Café Heider. Martin Ahrends

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Damals im Café Heider - Martin Ahrends

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überall an, nachts um vier, klingelten die Leute raus, um denen ihre Blaubeeren zu verkaufen. Wir wussten erst nicht, was da gespielt wird... Kurz vor Krakau fliegt dem der Auspuff ab, gleich war die Polizei ran, und wir stellten uns schlafend. Die hätten uns ausgewiesen, in der DDR hätten wir wenigstens zwei Jahre dafür gekriegt. Von Krakau brachte ich einen West-Berliner Lehrer nach Auschwitz, bisschen was erzählt, hab ich zweihundert Westmark gekriegt, damit konnten wir gut überleben. Überall die provisorischen Solidarnosz-Büros, überall Lautsprecher, da wurden die neuesten Nachrichten von der Streikfront bekannt gegeben, davor paar hundert Leute, die applaudierten. In den Büros in Warschau, Krakau, Tschenstochau feierten sie uns wie Helden: Wie seid ihr hier reingekommen?! Sie haben unsere Kraxen mit Solidarnosz-Fahnen und Broschüren vollgeschmissen. Nach 14 Tagen sind wir zurück, wieder über diesen Kuhzaun, vorher mit einem Zöllner getrampt, nachts durch den Wald, und wir dachten die ganze Zeit, der hat seinen Leuten Bescheid gesagt, und wir werden jeden Augenblick hochgezogen. Da wirst du hellhörig. Bei jedem Motorgeräusch in den Busch gesprungen. Wir sind in die Slowakei, bei der Oma wieder unser Zeug abgeholt, dann die Frage: Wie das Zeug aus der Slowakei nach Potsdam kriegen. Einen Rucksack haben wir leergemacht und das Zeug dagelassen, es halbiert, im Zug verteilte ich das ganze Papierzeug von Solidarnosz auf die Scheißhäuser, immer ein paar Papierhandtücher vorne stehen lassen, die Flugblätter dahinter, auf bestimmt zehn Klos. So ist dieses Zeug in den Osten gekommen. Die Sticker und Anstecker in die Unterwäsche von meiner Freundin. Die hat geklappert wie ein Weihnachtsbaum. Im Osten alles wieder rausgeholt, ist gut gegangen. Und danach erfuhren wir, dass da zwei 18 Monate abgegangen sind für ein paar Plakate. Na, da wurde uns erst mulmig, die hätten uns gleich nach Sibirien geschickt und fünftausend Kilometer weiter zum Gulagbauen vom Zug geschmissen.

      A: Ich war längst nicht so mutig. Aber in diesem polnischen Jahr 81 hab ich auch was riskiert und damit meine DDR-Karriere beendet. Das musste sein.

      Da hatten sie richtig Schiss, die Polit-Opas. Es war leichter, was aus dem Westen zu schicken, als von Polen, absolute Nachrichtensperre.

      Nach der Wende war ich wieder in Buna, fotografierte die marode Chemieindustrie, irgendwann saß mir die versammelte alte Betriebsleitung gegenüber, um die Fragen des „Westjournalisten“ zu beantworten..., war das komisch. Mit Sekretärin und allem. Ich wollte nur ein paar Fotos machen von diesem völlig verrotteten Werk.

      Das Heider zwischen Abrissviertel und den Behausungen der Künstler und Bohemiens war einfach günstig gelegen. Es hatte eine Inneneinrichtung, wo nichts stimmte. Skurril diese Mischung aus DDR-Möbeln und Wiener-Café-Anklängen und Kitsch in der Mokkastube. So waren die Leute: Zentrale für Randgruppen aller Art, Trinker, Punks. Auch helle kritische Köpfe und immer mal eine Meute Touris aus West-Berlin: die wussten nun gar nicht mehr, wo sie waren, aber das brachte wieder eine andere Mischfarbe dazu. Sehr schräg. Im Osten gab es kaum Läden, wo ein bisschen Subkultur gelebt werden konnte ohne Sanktion. In der Kirche gab’s das und als Ausnahme im Heider.

      A: Bei der HO haben Gäste eher gestört, Heider hat an seinen Gästen verdient, sie waren ihm nicht unwillkommen. Was dem Gast schmeichelt, der sonst wenig schmeichelhaftes erfährt.

      Die Bedienung war schon herb, die Tobsuchtsanfälle von Christa Köhler... Ich ließ meinen Köter zur Mundharmonika heulen in der Mokkastube, bloß damit Christa Köhler mal wieder schreiend nach hinten kam und man seine Bestellungen loswerden konnte. Unvorstellbar schräg, schräger als in jedem Kreuzberger Kellerladen. Hab ich im Westen nie erlebt so was. Mit Ausnahme dieser Hinterhofläden im Prenzlauer Berg kurz nach der Wende. Da sind eine Zeitlang ähnliche Dinge gelaufen, als das schwammig war, wie es weitergeht. Aber nur im Heider gab es diese Mischung aus Irren aller Kategorien und normalen Kaffeetrinkern und Kuchenessern. Das hockte da auf 200 Quadratmetern aufeinander und brodelte jeden Abend vor sich hin. Es war selten langweilig. Weil ständig was passierte. Diverse Auftritte. Es gab Lehrer, die zum Schachspielen kamen, Kulissenschieber, studierende der Gemeindepädagogik, die wieder in Fundis und Ketzer unterschieden. Kreative Typen, Schriftsteller, Liedermacher, Maler, Sten Preuß., Jörg Niebelschütz., Krone. Es gab Fotoausstellungen in Privatwohnungen. Wir machten Straßentheater: Am 7. Oktober mit rotgeschminktem Gesicht über die Straßen gehen und mal die Reaktionen abwarten. Wir wollten mit leeren Plakaten am Ersten Mai teilnehmen und, falls jemand fragt, den Leuten Stifte in die Hand drücken: Schreibt doch drauf, was euch gefällt. Einmal trugen sie mich in einer Sänfte über den Broadway, haben sich vor mir gebeugt und flachgelegt: „Der König kommt, der König kommt!“ – Elflein-Straße sind wir rein, und als die Meute groß genug war, 300 Leute oder mehr, fing ich an, die aktuellen ND-Schlagzeilen zu deklamieren. Brüllend. Ohne Kommentar. Da war Hochspannung, alle dachten, jetzt kommt die große Brandrede zum Volksaufstand. Als das erste Bullenauto auftauchte, haben wir uns relativ schnell verpisst. Zwei von unseren großen Mitmachern waren richtig hauptamtlich bei der Stasi. Deshalb waren die Bullen so schnell ran.

      Vögeleien waren einfach unkomplizierter, in meiner Studienzeit war ich allerdings drei Mal beim H-und-G-Arzt wegen Tripper. Aber die ganze Partymeute auch, das war also durchaus normal. Bei Heider war um 10 Schluss, in irgendeiner von diesen Lotterbuden verpassten wir uns die finale Flasche, und irgendwelche Leute, die sich mochten, zogen sich in eine dunkle Ecke zurück und machten da ihr Nümmerchen. Oder so. Das sprach sich schnell rum, wenn so was stattfand. Ich hatte mit West-Berliner Mäuschen zu tun, die zufällig im Heider gestrandet waren. Der Unterschied zu heute ist eine damals direktere Form der Annäherung zwischen den Geschlechtern. Kein langes Abchecken, keine Kennlerngespräche, die doch zum selben Ergebnis führten. Man konnte einfach sagen: Ich würd’ gern mit dir schlafen, und wenn das auf Gegenliebe gestoßen ist, war’s gut. Heute hängt da ein viel zu großer Apparat an Sicherheitsdenken dran, Zukunftsangst und all der Quatsch, den einem die Wirtschaft aufdrängt, und der die Leute kaputtmacht. Man ist mit einem Wust von Dingen befasst, die mit einem nichts zu tun haben.

      Geheiratet haben wir wegen Wohnung und Ehekredit. Ich war viel zu grün dafür. Unsere Tochter war kein Wunschkind, aber im Osten war das kein Problem, ein Kind zu haben. Wir wohnten traumhaft, drei riesengroße Altbauzimmer in der Charlottenstraße, Parkett, Stuck, wunderbar. Für 125 Mark. Im Frühjahr und Herbst musste man aufs Dach und flicken. Aber die Dachwohnung darüber konnten wir illegal mitnutzen.

      chapter3Image1.jpegIm Heider kam man täglich vorbei, das gehörte sozusagen zur Wohnung dazu, war ein Teil unserer großen Kommune. Es war ein Gemeinschaftsraum, der zu unseren verschiedenen Wohnungen gehörte, ein Treffpunkt eben. Da wurde ernsthaft diskutiert, aber wir wussten, dass wir vieles nicht sagen konnten, da waren, wie sich später herausgestellt hat, überall Richtmikrophone in der Zwischendecke. Und zwischen uns saßen Informanten, schon um rauszukriegen, wer als nächstes einen Ausreiseantrag stellt oder die nächste illegale Lesung plant. Wir waren keine Leute, die Morgens noch die Druckerschwärze vom Flugblattdrucken unter den Fingernägeln hatten. Es hatte was Pubertäres. Da gab es keine Umstürzler wie zum Beispiel im Slavia in Prag. Eher ein Spaßort. Und zum Spaß gehörten diese kleinen illegalen Aktionen. Zum Beispiel sind wir mal zu dem Ort gegangen, wo die Potsdamer Synagoge gestanden hatte. Da gab es keinerlei Zeichen. Wir sind – ein paar Gemeindepädagogen mit Leuten aus der jüdischen Gemeinde Berlin – da hingezogen und haben Windlichter hingestellt und Totengebete gesungen. Die Stasi war sofort da, wir haben uns, wie abgesprochen, auf getrennten Wegen von dem Ort entfernt. Da hatte jeder einen Stasimann am Hacken. Der Effekt war, dass einen Tag vor dem 9. November im nächsten Jahr im Seminar angerufen wurde: Sie können ihre Leute zu Hause lassen, die Stadt hängt jetzt was auf. Die Stadt hat da eine Gedenktafel aufgehängt.

      Also: Keine RAF, keine Honecker-Attentate. Aber Schreiber, Maler, Fotografen, Theaterprojekte. Wartesaal und Entwicklungskammer. Roger und ich, wir schmiedeten jahrelang neue Fluchtpläne, das war so ein Sport. Ich hatte einen Ausreise-Antrag gestellt und eben meine Zeit zu warten. In dieser Zeit hat man nachgedacht über Ballons. Roger durfte seinen behinderten Stiefvater in den Westen begleiten und kam nicht wieder. Und ich bat meine damalige Freundin Anna, mir einen Ballon zu nähen, die war Textilgestalterin, sie hätte das gemacht. Jedoch kam

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