Hans Fallada: Damals bei uns daheim – Band 187e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ханс Фаллада
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Читать онлайн книгу Hans Fallada: Damals bei uns daheim – Band 187e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski - Ханс Фаллада страница 12
Und wir Jungen machten es nicht anders. Zwar hatten die Portiers Anweisung, allein kommende Kinder nicht in den Bau zu lassen, aber wir wussten uns schon zu helfen. Rasch wählten wir in der Vorhalle eine dickliche, nicht gar zu energisch aussehende Madam und gingen nun sittsam rechts und links von ihr durch die verbotene Pforte, wobei wir uns, an ihr vorbei, eifrig unterhielten.
Waren wir dann erst im Bau, so streiften wir ihn von oben bis unten ab. Lange schien es, als kämen wir nie mit ihm zu Ende. Immer wieder entdeckten wir neue Abteilungen, drangen in völlig Unbekanntes ein. Wir müssen dabei Ähnliches empfunden haben wie Livingstone oder Stanley, als sie in den Schwarzen Erdteil vorstießen. Und alles war mit den wunderbarsten Schätzen gefüllt. Wir träumten davon. Wir unterlagen derselben Verblendung wie ganz Berlin, das sich in jener Zeit, da solcher Prunk noch neu war, in den Gängen und vor den Tischen drängte: eine fieberische Besitzgier, eine wahre Kaufwut hatte alle erfasst. Hier sah auch der Ärmste die Reichtümer der Welt vor sich ausgebreitet, nicht in Läden verstreut, die zu betreten er nie gewagt hätte, sondern gewissermaßen grade für ihn zurechtgelegt...
Noch als wir das ganze Warenhaus besser kannten als die dritte Konjugation mit monere, blieb es doch weiter das einzige Ziel unserer Spaziergänge. Es war ja ein ziemlich weiter Weg von der Luitpoldstraße bis zum Leipziger Platz, aber auch dieser Weg war nicht allen Zaubers bar. Wir liefen entweder durch die Martin-Luther-Straße über den Lützowplatz am Landwehrkanal entlang, den ich schon als Junge ganz besonders geliebt habe, oder wir gingen durch die Kleist- und Bülowstraße, wo die Riesenbuddeleien und Rammereien für den Bau der Hoch- und Untergrundbahn nicht enden zu wollen schienen. Dann bogen wir in die Potsdamer Straße ein, die mit ihren vielen Schaufenstern auch zum Verweilen lockte.
Im Warenhaus hatten wir unsere Lieblingslager, vor allem das Bücherlager selbstverständlich und die Spielwarenabteilung. Aber ich speziell bevorzugte besonders die vergleichsweise leere Bettenabteilung. Da ging ich gerne auf und ab. Ich liebte das Ansehen und den Geruch der steifen roten, blauen und gestreiften Inlettstoffe, ich liebte die großen Kästen, mit einer Glasscheibe an ihrer Vorderseite, in denen so leicht und duftig die Bettfedern lagen, von der feinsten Eiderdaune bis zur grob gesplissenen Hühnerfeder. War aber gar erst die große Maschine zum Reinigen der Bettfedern in Gang, und ich konnte hineinsehen in den tanzenden, sich drehenden Wirbel aus Federn und Staub, so kannte mein Entzücken keine Grenzen!
Hans Fötsch wieder bevorzugte die Lebensmittelabteilung. Da ging er mit seiner sommers wie winters sprossigen Nase genusssüchtig witternd auf und ab, sah andächtig zu, wie herkulische Fleischer mit Rindervierteln und Schweinehälften jonglierten, wie starke Hirsche ausgeworfen wurden, und stand zum Schluss am längsten vor den Glasbassins mit den lebenden Flussfischen. Blau- und gelbschuppige Karpfen bewegten sich dort, träge die Flossen rührend, während ihre Erbfeinde, die Hechte, jetzt ohne alle Angriffsabsicht still und reglos über dem Grunde standen, auf dem sich Aale verknäult hatten.
Zum Schluss gingen wir meist noch in die Uhrenabteilung, die leider nur klein war. Wir lauschten andächtig dem Ticken vieler, vieler Uhren. Es schien hier gewissermaßen eine Werkstatt der Zeit zu sein, dieses unbegreifbaren Dinges Zeit, das wir nie verstehen konnten, das uns jeden Tag unfasslich verwandelte, uns uns selber immer fremder machte. Dieser unheimlichen Zeit schienen wir hier näher gekommen beim Kuckucksruf der Schwarzwälder Uhr, beim Gongschlag der Standuhren und Regulatoren, und vor allem bei jenen Uhren, die wir „Schleifuhren“ getauft hatten. Sie saßen unter einem Glassturz, und das blanke, messingpolierte Werk bewegte sich offen vor unseren Augen, vorwärts, rückwärts, immer eine halbe Drehung, völlig lautlos, aber eben sichtbar. So stellte ich mir „Zeit“ vor: rückwärts, vorwärts, vor allem aber lautlos.
Sahen wir dann wirklich einmal auf das Zifferblatt dieser Uhren, so entdeckten wir oft, dass es zum Heimlaufen schon viel zu spät war. Willig opferten wir den letzten Groschen unseres Taschengeldes und fuhren mit der Elektrischen. Glücklich und strahlend kamen wir daheim an, verrieten aber, um einem etwaigen Verbot vorzubeugen, den Eltern nie das Ziel unserer Exkursionen. Wir waren ganz einfach spazieren gegangen. Wohin? Och...
Dann kam ein Tag unter den Tagen, da der Zauber des Warenhauses für uns verblasst war. Wir gingen ratlos darin umher und begriffen weder, warum wir dies einmal hinreißend schön gefunden hatten, noch warum es jetzt plötzlich nicht mehr schön sein sollte. Wir suchten unsere besten Attraktionen auf: sie blieben ohne alle Wirkung auf uns. Wir fanden alles einfach langweilig. Die Zauberbetten hatten jetzt die überzeugendste Ähnlichkeit mit unseren Betten zu Haus, in denen wir jede Nacht ohne Aufhebens schliefen. Der Käse stank, und die Karpfen riefen die Erinnerung an „Karpfen polnisch“ wach, den es zu Silvester gab und der uns nicht grade besonders schmeckte.
War diese Entdeckung schon schlimm genug, so war die Lösung der Frage: Was fangen wir mit unserem langen freien Nachmittag an? noch viel heikler. Wir waren das Herumstromern so gewöhnt, dass uns bei dem Gedanken, daheim in unseren Buden über Büchern zu sitzen, entsetzte. Unser Sitzfleisch juckte uns.
Schließlich machte Hans Fötsch einen Vorschlag, der mir einleuchtete: „Wir gehen einfach durch die Linden zum Schloss, da bin ich lange nicht gewesen. Wollen doch mal sehen, ob SM zu Hause ist.“
Wir verließen also das Warenhaus durch den Ausgang nach der Vossstraße und gingen am düsteren Justizministerium vorbei durch die Wilhelmstraße zu den Linden. Es war ein trüber, aber trockener Nachmittag im November. Auf dem Mittelweg unter den mächtigen Linden klebte das feuchte, tote Laub sich an unseren Schuhen fest. Die prunkvollen Läden anzusehen, verschmähten wir, wir waren von Prunk gesättigt.
Als wir aber in die Nähe der Passage kamen, meinte Hans Fötsch, wir könnten uns wenigstens den Eingang von Kastans Panoptikum ansehen. Diese Wachsfigurenschau genoss damals bei den Berlinern großes Ansehen.
Fötsch war schon ein paarmal darin gewesen, mich hatten noch immer Geldmangel und ein strenges Verbot vom Vater ferngehalten. Der dicke, goldbetresste Portier imponierte mir schon sehr, als ich mich dann aber durch die Neugierigen vor dem Schaufenster gedrängt hatte, kannte mein Entzücken keine Grenzen.
Vor einem panoramaartig gemalten Hintergrund, der eine märkische Kiefernlandschaft zeigte, sogar mit einem azurblauen Seezipfel, stand ein schlanker Herr in schwarzem Gehrock mit grau gestreiften Hosen, auf dem Haupt einen Zylinderhut. Das etwas blasierte Gesicht hatte hübsche rote Bäckchen, im Auge trug der Herr ein blitzendes Monokel, und sein schöner brauner Vollbart lag so untadelig in Locken, als habe ihn eben erst der Hoffriseur des Kaisers, Herr Haby, gekräuselt.
In der Hand hielt dieser Herr einen Revolver, gesenkt zur Erde, und der Blick seiner etwas blöden Puppenaugen war auf einen ihm zu Füßen liegenden, ähnlich gekleideten Herrn gerichtet, auf dessen weißer Hemdenbrust ein bräunlich-roter Fleck sichtbar war. Dieser Erschossene, mit grauenhaft naturgetreu brechendem Blick, vertrat aber den schwarzen, bleichen Typus. Ein Kind sah sofort, dass dies der Schurke, der Blonde aber der Held war, der dem Schuft die verdiente Strafe erteilt hatte. Unter dem Ganzen stand „Der Rächer seiner Ehre“, und die Szene war sicher eine Darstellung der damals recht häufigen Duelle, in denen der betrogene Gatte nicht so sehr die eigene Ehre wie die seiner Frau zu rächen meinte.
Wie gesagt, diese Gruppe machte in ihrer maskenhaften Starrheit und dabei doch mich völlig überzeugenden Lebendigkeit den tiefsten Eindruck auf meine Phantasie. Das Groteske in der