Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi страница 107
›Ich kann dadurch nicht unglücklich werden, daß ein verachtenswertes Weib ein Verbrechen begangen hat; es kommt nur darauf an, den besten Ausweg aus der schwierigen Lage zu finden, in die sie mich versetzt hat. Und ich werde ihn finden‹, sagte er zu sich, indem er die Stirn immer mehr in Falten zog. ›Ich bin nicht der erste und werde nicht der letzte sein.‹ Und ganz abgesehen von den aus der Weltgeschichte zu entnehmenden Beispielen, von Menelaus an, der durch die Schöne Helena damals allen wieder von neuem ins Gedächtnis zurückgerufen war, vergegenwärtigte Alexei Alexandrowitsch sich eine ganze Reihe von Fällen aus der Gegenwart, in denen Frauen aus den höchsten Gesellschaftskreisen ihren Männern untreu geworden waren. ›Darjalow, Poltawski, Fürst Karibanow, Graf Paskudin, Dram ... Ja, auch Dram, so ein ehrenhafter, tüchtiger Mann ... Semjonow, Tschagin, Sigonin‹, all diese betrogenen Ehemänner stellte Alexei Alexandrowitsch sich im Gedächtnis zusammen. ›Allerdings fällt auf diese Männer ein der gesunden Vernunft widerstreitendes ridicule; aber ich meinerseits habe darin nie etwas anderes als ein ihnen zugestoßenes Unglück gesehen und sie stets wegen eines solchen Unglücks bedauert‹, sagte Alexei Alexandrowitsch zu sich, wiewohl das der Wahrheit nicht entsprach und er Unglückliche dieser Art nie bedauert, sondern nur sich selbst in seiner Selbstachtung immer mehr gehoben gefühlt hatte, je mehr sich die Beispiele von Frauen häuften, die ihren Gatten die Treue brachen. ›Es ist das ein Unglück, das einen jeden treffen kann. Und dieses Unglück hat nun auch mich getroffen. Es handelt sich jetzt nur darum, wie man diese Lage am besten übersteht.‹ Und nun durchdachte er eingehend die verschiedenen Wege des Handelns, die Männer in derselben Lage wie er eingeschlagen hatten.
›Darjalow hat sich duelliert ...‹
Über das Duell Betrachtungen anzustellen, dazu hatte Alexei Alexandrowitsch, als er noch ein junger Mensch war, sich immer ganz besonders hingezogen gefühlt, weil er seinem ganzen Wesen nach ein furchtsamer Mensch war und dies auch recht wohl wußte. Nicht ohne Entsetzen vermochte er an eine auf ihn gerichtete Pistole zu denken und hatte nie in seinem Leben von irgendeiner Waffe Gebrauch gemacht. Diese Ängstlichkeit hatte ihn in seiner Jugend oft veranlaßt, an ein Duell zu denken und sich in eine Lage hineinzuversetzen, wo er gezwungen sein würde, sein Leben einer solchen Gefahr preiszugeben. Als er in seiner Laufbahn Erfolg gehabt und eine feste Stellung im Leben erlangt hatte, war diese Überlegung bei ihm lange Zeit in Vergessenheit geraten; aber doch war sie ihm immer noch so geläufig, daß sie auch jetzt noch ihren Platz behauptete; und die Besorgnis wegen seiner Feigheit erwies sich auch jetzt noch als so stark, daß Alexei Alexandrowitsch die Frage eines Duells lange von allen Seiten erwog und gleichsam liebkosend damit spielte, wiewohl er im voraus wußte, daß er sich in keinem Falle duellieren werde.
›Zweifellos ist bei uns die obere Gesellschaftsschicht noch so wenig zuvilisiert (anders als in England), daß sehr viele (und unter diesen vielen waren auch Männer, auf deren Meinung Alexei Alexandrowitsch besonderen Wert legte) dem Duell eine gute Seite abgewinnen; aber was für ein Erfolg kann durch ein Duell erzielt werden? Nehmen wir an, ich fordere ihn‹, fuhr Alexei Alexandrowitsch in seinen Überlegungen fort; aber als er sich nun lebhaft die Nacht vorstellte, die er nach der Forderung verleben würde, und dann die auf ihn gerichtete Pistole, da zuckte er zusammen und wurde sich klar darüber, daß er das nie tun werde – ›nehmen wir an, ich fordere ihn. Nehmen wir an, man leitet mich an‹, dachte er weiter, ›man stellt mich auf meinen Platz, ich drücke auf den Abzug‹, sagte er bei sich und machte die Augen zu, ›und es stellt sich heraus, daß ich ihn getötet habe‹, sagte Alexei Alexandrowitsch zu sich und schüttelte mit dem Kopfe, um diese törichten Gedanken zu verscheuchen. ›Welchen Sinn hat es, einen Menschen zu töten, um das eigene Verhältnis zu einer verbrecherischen Gattin und einem Sohn zu ordnen? Ich werde mir nachher ganz ebenso darüber schlüssig werden müssen, was ich mit ihr machen soll. Oder, was noch wahrscheinlicher ist, ja zweifellos eintreten wird, ich werde getötet oder verwundet. Ich, ein schuldloser Mensch, ein Opfer fremder Schlechtigkeit, werde getötet oder verwundet. Das ist noch sinnloser. Und damit noch nicht genug: eine Forderung von meiner Seite würde eine unehrenhafte Handlung sein. Als ob ich nicht voraus wüßte, daß meine Freunde es nie zu lassen werden, daß ich mich duelliere, es nie zulassen werden, daß ein Staatsmann, den Rußland braucht, sein Leben einer solchen Gefahr aussetze. Was würde also die Folge sein? Die Folge würde sein, daß es schiene, als hätte ich, vorauswissend, daß es nie zu einer wirklichen Gefahr kommen werde, mich durch diese Forderung nur mit einem falschen Ruhm umgeben wollen. Eine solche Handlungsweise ist nicht ehrenhaft, das ist eine Unwahrhaftigkeit, ein Versuch, andere und sich selbst zu täuschen. Ein Duell ist hier ganz ausgeschlossen, und niemand erwartet ein solches von mir. Meine Aufgabe besteht darin, meinen guten Ruf zu wahren, dessen ich zur ungehinderten Fortsetzung meiner amtlichen Tätigkeit bedarf.‹ Die amtliche Tätigkeit, die schon früher in Alexei Alexandrowitschs Augen eine große Bedeutung gehabt hatte, erschien ihm jetzt ganz besonders wichtig.
Nachdem er ein Duell erwogen und verworfen hatte, machte Alexei Alexandrowitsch nunmehr die Scheidung zum Gegenstande seines Nachdenkens, den zweiten Weg, für den einige jener Männer, deren er sich erinnerte, sich entschieden hatten. Aber indem er in seinem Gedächtnisse alle ihm bekannten Fälle von Ehescheidungen durchmusterte (es waren ihrer gerade in der höchsten, ihm wohlbekannten Gesellschaft recht viele), fand er auch nicht einen einzigen Fall, wo der Zweck bei der Scheidung der gewesen wäre, den er selbst im Auge hatte. In allen diesen Fällen hatte der Ehemann die treulose Gattin abgetreten oder verkauft, und gerade der Teil, der als der schuldige nicht das Recht gehabt hatte, eine neue Ehe einzugehen, hatte von der Scheidung Vorteil gehabt: er war in ein künstlich ausgeklügeltes, quasi gesetzliches Verhältnis zu einem quasi Gatten eingetreten. Und was seinen eigenen Fall anlangte, so sah Alexei Alexandrowitsch ein, daß eine gesetzliche Scheidung, das heißt eine solche, bei der einfach auf Verstoßung der Frau erkannt wurde, unmöglich sei. Er sah ein, daß die verwickelten Lebensbeziehungen, in denen er sich befand, die Anwendung solcher groben Beweismittel, wie sie das Gesetz zum Erweise der Schuld der Frau forderte, ausschlossen; er sah ein, daß die über feineren Ton geltenden Anschauungen die Anwendung dieser Beweismittel, auch wenn sie wirklich vorhanden waren, nicht zuließen und daß durch die Anwendung dieser Beweismittel er selbst in der Meinung der höheren Kreise mehr erniedrigt werden würde als seine Frau.
Der Versuch, eine Scheidung zu erlangen, konnte nur zu einem Skandalprozesse führen, der seinen Feinden eine erwünschte Gelegenheit gewesen wäre, um ihn zu verleumden und von seiner hohen Stellung in der Welt herabzuziehen. Sein Hauptzweck, die Sache mit möglichst geringem Nachteil für sich zu ordnen, wurde auch durch eine Scheidung nicht erreicht. Außerdem war es klar, daß bei einer Scheidung, ja auch schon bei dem Versuche, eine solche herbeizuführen, seine Frau ihre Beziehungen zu ihm abbrechen und sich mit ihrem Liebhaber verbinden würde. In Alexei Alexandrowitschs Seele aber war, trotz seiner, wie es ihm schien, jetzt völligen Verachtung und Gleichgültigkeit gegen seine Frau, dennoch in bezug auf sie ein Gefühl zurückgeblieben: der Wunsch, sie nach Möglichkeit daran zu hindern, daß sie sich mit Wronski verbinde und so von ihrem Verbrechen Vorteil habe. Schon jener Gedanke versetzte Alexei Alexandrowitsch in eine solche Erregung, daß er bei der bloßen Vorstellung davon vor innerem Schmerz aufstöhnte, sich halb erhob und seinen Platz im Wagen wechselte und noch eine Weile nachher, mit finster zusammengezogener Stirn, seine frierenden, knochigen Beine mit dem dicken, weichen Tuch umwickelte.
›Außer einer förmlichen Scheidung könnte ich auch so verfahren wie Karibanow, Paskudin und dieser gute Dram, das heißt mich von meiner Frau trennen‹, fuhr er, nachdem er sich etwas beruhigt hatte, in seinen Erwägungen fort. Aber er fand, daß auch diese Maßregel mit demselben Übelstande verbunden sei wie eine Scheidung, daß sie nämlich schmähliches Aufsehen errege und, was die Hauptsache war, daß sie, genau wie eine förmliche Scheidung, seine Frau ihrem Liebhaber in die Arme warf. ›Nein, das ist unmöglich, unmöglich!‹ sagte er laut vor