Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi
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Das Herannahen des Zuges machte sich durch mancherlei Anzeichen immer mehr bemerkbar: Bahnbeamte waren in eifriger Bewegung, um die Vorbereitungen zu seinem Empfange zu treffen, Gepäckträger liefen hierhin und dorthin, es erschienen Gendarmen und die höheren Stationsbeamten, es fand sich ein zahlreiches Publikum ein, um Ankommende abzuholen. Durch den Kältedunst hindurch sah man Arbeiter in kurzen Pelzen und weichen Filzstiefeln über die Schienen der sich mannigfach miteinander verschlingenden Gleise laufen. Man hörte das Pfeifen einer Lokomotive auf einem vom Bahnsteige weiter ab liegenden Gleise und wie eine schwere Masse in Bewegung gesetzt wurde.
»Nein«, sagte Stepan Arkadjewitsch, der die größte Lust verspürte, Wronski etwas von Ljewins Absichten auf Kitty zu erzählen, »nein, du hast meinen lieben Ljewin doch nicht richtig beurteilt. Er ist ein sehr nervöser Mensch und wird manchmal unangenehm, das ist ja wahr; aber dafür ist er auch zu anderen Zeiten außerordentlich nett. Er ist ein durchaus ehrenhafter, aufrichtiger Charakter und hat ein goldenes Herz. Gestern lagen allerdings ganz besondere Gründe vor«, fuhr Stepan Arkadjewitsch mit vielsagendem Lächeln fort; er hatte das aufrichtige Mitgefühl, das er tags zuvor für seinen Freund empfunden hatte, vollständig vergessen und empfand jetzt etwas ganz Ähnliches, aber für Wronski. »Ja, es war ein Grund vorhanden, aus dem er entweder besonders glücklich oder besonders unglücklich sein konnte.«
Wronski blieb stehen und fragte geradezu: »Was meinst du für einen Grund? Hat er etwa deiner Schwägerin einen Heiratsantrag gemacht?«
»Leicht möglich«, erwiderte Stepan Arkadjewitsch. »Ich hatte gestern den Eindruck, als ob er so etwas vor hätte. Und wenn er früh wegging und übler Laune war, so wird es wohl so gewesen sein. Er ist schon so lange in sie verliebt und tut mir außerordentlich leid.«
»Sieh, sieh! – Ich glaube übrigens, daß sie auf eine bessere Partie rechnen kann«, sagte Wronski, nahm eine selbstbewußte Haltung an und setzte seine Wanderung auf dem Bahnsteige fort. »Übrigens kenne ich ihn zu wenig«, fügte er hinzu. »Ja, das ist wohl eine unangenehme Lage! Darum ziehen auch die meisten den Umgang mit Damen der Halbwelt vor. Ein Mißerfolg bei einer solchen beweist nur, daß man nicht genug Geld hatte; aber hier liegt man mit seinem persönlichen Werte auf der Waagschale. – Aber da kommt der Zug.«
Wirklich pfiff in der Ferne bereits die Lokomotive. Nach einigen Augenblicken erzitterte der Bahnsteig, und keuchend ihren Dampf ausstoßend, den die Kälte sogleich herunterdrückte, rollte die Lokomotive heran, mit dem langsam und taktmäßig sich zusammenbiegenden und ausstreckenden Hebel des Mittelrades und mit dem grüßenden, dick vermummten, reifbedeckten Maschinisten. Und hinter dem Tender, immer langsamer und mit immer stärkerer Erschütterung des Bahnsteiges, glitt der Wagen mit dem Gepäck und mit einem winselnden Hunde vorüber; endlich folgten die Personenwagen und blieben mit einem letzten Zittern stehen.
Der Zugführer, eine hübsche, männliche Erscheinung, hatte noch während des Fahrens seine Signalpfeife ertönen lassen und sprang nun ab; unmittelbar nach ihm stiegen ungeduldige Fahrgäste einzeln aus: ein Gardeoffizier in sehr gerader Haltung, mit strenger Miene um sich blickend, ein vergnügt lächelnder junger, beweglicher Kaufmann mit einer Handtasche, ein Bauer mit einem Quersack auf der Schulter.
Wronski, der neben Oblonski stand, betrachtete die Wagen und die Aussteigenden und hatte seine Mutter vollständig vergessen. Was er soeben über Kitty er fahren hatte, regte ihn auf und freute ihn. Unwillkürlich hob sich seine Brust, und seine Augen leuchteten. Er fühlte sich als Sieger.
»Die Gräfin Wronskaja befindet sich in jenem Abteil dort«, sagte der forsche Zugführer, der an Wronski herantrat.
Diese Worte des Zugführers rüttelten ihn aus seinen Gedanken auf und brachten ihm wieder seine Mutter und das bevorstehende Wiedersehen mit ihr in Erinnerung. Im Grunde seines Herzens hegte er keine besondere Verehrung für seine Mutter und auch keine Liebe, ohne sich über den Grund dafür eigentlich klar zu sein; jedoch konnte er, in Übereinstimmung mit den Anschauungen der Kreise, in denen er lebte, und infolge seiner Erziehung, sich gar kein anderes Verhältnis zu seiner Mutter vorstellen als das des unbedingten Gehorsams und der größten Hochachtung, und er bekundete Gehorsam und Hochachtung nach außen hin mit um so größerer Beflissenheit, je weniger er seine Mutter im Herzen verehrte und liebte.
18
Wronski folgte dem Zugführer zu dem Wagen und blieb am Eingang des Abteils stehen, um eine aussteigende Dame vorüberzulassen.
Mit dem erfahrenen Urteile des Weltmannes hatte Wronski beim ersten Blicke auf die äußere Erscheinung dieser Dame ihre Zugehörigkeit zur besten Gesellschaft festgestellt. Er entschuldigte sich und schickte sich nun an, in den Wagen einzusteigen, fühlte sich jedoch veranlaßt, sich noch einmal nach ihr umzusehen, nicht deshalb, weil sie sehr schön war, auch nicht wegen ihrer vornehmen Erscheinung und bescheidenen Anmut, die in ihrer ganzen Gestalt zur Erscheinung kam, sondern weil in dem Ausdrucke des lieblichen Gesichtes, als sie an ihm vorbeiging, etwas ganz besonders Angenehmes und Freundliches gelegen hatte. Als er sich umschaute, wandte sie gleichfalls den Kopf zurück. Die glänzenden grauen, durch die dichten Wimpern schwarz erscheinenden Augen richteten sich mit prüfender Aufmerksamkeit und freundlichem Ausdrucke auf sein Gesicht, als ob sie in ihm einen Bekannten erkenne, wandten sich dann aber sofort von ihm ab und der vorüberströmenden Menge zu, als wenn sie dort jemand suchten. Dieser kurze Blick hatte Wronski doch die verhaltene Lebhaftigkeit erkennen lassen, die wie ein Schimmer auf ihrem Gesichte spielte und zwischen den glänzenden Augen und den roten, leise lächelnden Lippen hin und her huschte. Es war, als schlösse ihr Wesen eine solche Überfülle von Lebenslust ein, daß diese sich unwillkürlich bald in dem Glanze der Augen, bald in dem Lächeln des Mundes bekunden müsse. Und wenn sie diesen Glanz in den Augen absichtlich dämpfte, so leuchtete er wider ihren Willen in dem kaum wahrnehmbaren Lächeln auf.
Wronski stieg in den Wagen. Seine Mutter, eine hagere alte Dame mit schwarzen Augen und schwarzen Löckchen, betrachtete ihren Sohn mit zusammengekniffenen Augen und lächelte dann ein wenig mit den schmalen Lippen. Darauf erhob sie sich von dem Polstersitze, übergab der Kammerjungfer eine kleine Reisetasche und streckte ihrem Sohne ihre kleine, trockene Hand zum Kusse hin; dann hob sie seinen Kopf von ihrer Hand in die Höhe und küßte ihn auf die Wangen.
»Hast du mein Telegramm erhalten?« fragte sie. »Bist du gesund? Ja? Nun, Gott sei Dank!«
»Hatten Sie eine gute Fahrt?« fragte der Sohn seinerseits, indem er sich neben sie setzte und unwillkürlich nach einer weiblichen Stimme vor der Tür hinhorchte. Er wußte, daß es die Stimme der Dame war, der er beim Hereinkommen begegnet war.
»Ich kann trotzdem nicht darauf eingehen«, sagte die Stimme der Dame.
»Das ist so eine Petersburger Anschauung, gnädige Frau.«
»Nicht eine Petersburger Anschauung, sondern einfach eine weibliche.«
»Schade, nun, dann gestatten Sie mir, Ihnen die Hand zu küssen.«
»Auf Wiedersehen, Iwan Petrowitsch! Bitte, sehen Sie sich doch einmal um, ob mein Bruder nicht da ist, und schicken Sie ihn zu mir her!« sagte die Dame dicht an der Tür und kam wieder in das Abteil herein.
»Nun, haben Sie Ihren Bruder gefunden?« fragte die Gräfin Wronskaja, sich zu der Dame wendend.
Wronski wurde sich jetzt darüber klar, daß dies Frau Karenina sein müsse.
»Ihr Bruder ist hier«, sagte er und erhob sich. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie nicht sogleich erkannt habe; aber unsere Bekanntschaft ist ja nur so kurz gewesen«, fuhr er mit einer Verbeugung fort, »daß Sie sich meiner gewiß gar nicht erinnern.«