Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi
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Читать онлайн книгу Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi страница 67
Es versteht sich von selbst, daß er mit keinem seiner Kameraden von seiner Liebe sprach, ja selbst bei den ärgsten Zechgelagen ließ er sich kein Wort darüber entschlüpfen (übrigens betrank er sich überhaupt nie so, daß er die Herrschaft über sich selbst verloren hätte) und stopfte denen seiner leichtsinnigen Kameraden den Mund, die sich erlaubten, Anspielungen auf sein Verhältnis zu machen. Aber trotzdem war seine Liebe in der ganzen Stadt bekannt; alle errieten mehr oder weniger genau die Natur seiner Beziehungen zu Frau Karenina; die meisten jungen Männer beneideten ihn gerade um das, was ihm bei dieser Liebe das Peinlichste war: daß Karenin eine so hohe amtliche Stellung bekleidete und daher diese Liebschaft den Blicken aller ausgesetzt war.
Von den jungen Frauen hatten sehr viele Anna von jeher beneidet, und es hatte sie schon lange verdrossen, daß Anna in der Gesellschaft als eine ›durchaus anständige Frau‹ bezeichnet zu werden pflegte; diese freuten sich nun in der Voraussetzung, daß ihre Vermutungen richtig seien, und warteten nur auf den endgültigen Umschwung der öffentlichen Meinung, um mit der ganzen Wucht ihrer Verachtung über Anna herzufallen. Sie hielten bereits die Schmutzklumpen in Bereitschaft, mit denen sie sie bewerfen wollten, sobald der rechte Augenblick gekommen wäre. Dagegen waren die meisten Leute, die sich in höherem Lebensalter und in höherer Stellung befanden, sehr mißvergnügt über dieses sich vorbereitende gesellschaftliche Ärgernis.
Wronskis Mutter war, als sie von dieser Liebschaft gehört hatte, anfangs damit zufrieden gewesen, erstens, weil ihrer Meinung nach nichts so geeignet war, einem jungen Manne in glänzender Lebensstellung den letzten Schliff zu geben, wie ein Liebesverhältnis in den höchsten Schichten der Gesellschaft, und zweitens, weil Frau Karenina, die ihr so gut gefallen und ihr so viel von ihrem kleinen Sohne erzählt hatte, nun doch – nach der Auffassung der Gräfin Wronskaja – von ganz demselben Schlage war wie alle schönen, vornehmen Frauen. Aber neuerdings hatte sie erfahren, daß ihr Sohn eine ihm angebotene, für seine ganze Laufbahn wichtige Stellung nur deswegen abgelehnt habe, um im Regiment in Petersburg zu bleiben, wo er mit Frau Karenina zusammentreffen konnte; sie hatte erfahren, daß hochgestellte Persönlichkeiten sein Verhalten stark mißbilligten; so änderte sie denn ihre Meinung. Auch das mißfiel ihr, daß nach allem, was sie über diese Liebschaft hörte, es sich dabei nicht um ein glänzendes, unterhaltsames Verhältnis im Stile der großen Welt handele (dagegen hätte sie nichts gehabt), sondern um eine Art von verzweifelter Werther-Leidenschaft, die ihn zu Torheiten verleiten konnte. Sie hatte ihn seit seiner überraschenden Abreise aus Moskau nicht mehr gesehen und ihn jetzt durch Vermittlung ihres ältesten Sohnes aufgefordert, zu ihr zu kommen.
Auch der ältere Bruder war mit dem jüngeren unzufrieden. Er untersuchte nicht, von welcher Art diese Liebe sei, ob groß oder klein, leidenschaftlich oder nicht leidenschaftlich, lasterhaft oder nicht lasterhaft (er selbst, obwohl er Frau und Kinder hatte, hielt eine Tänzerin aus und urteilte daher über dergleichen nachsichtig); aber er wußte, daß diese Liebe Mißfallen bei Leuten erregte, nach deren Gunst man streben mußte, und daher mißbilligte er das Benehmen seines Bruders.
Außer seiner dienstlichen Tätigkeit und seinem Verkehr in der Gesellschaft hatte Wronski noch eine andere Neigung: die für Pferde; für Pferde hatte er eine große Leidenschaft.
Für dieses Jahr war unter anderen ein Offiziersrennen mit Hindernissen angesetzt. Wronski hatte sich für dieses Rennen eingeschrieben, sich eine englische Vollblutstute gekauft und war nun trotz seiner Liebe mit Leib und Seele, wiewohl nicht etwa maßlos, bei den Vorbereitungen zum Rennen.
Diese beiden Leidenschaften waren einander wechselseitig nicht hinderlich. Im Gegenteil, er brauchte etwas, was ihn beschäftigte und interessierte, unabhängig von seiner Liebe, etwas, wobei er sich von den allzu heftigen Gemütsaufregungen erfrischte und erholte.
19
Am Tage des Rennens in Krasnoje Selo kam Wronski früher als gewöhnlich in den Speisesaal des Regimentskasinos, um ein Beefsteak zu essen. Er hatte keine besonders strenge Kost nötig, da sein Gewicht genau den vorschriftsmäßigen viereinhalb Pud gleichkam; aber dicker durfte er auch nicht werden, und darum vermied er Mehlspeisen und Süßigkeiten. Er saß da, den Rock über der weißen Weste aufgeknöpft, beide Ellbogen auf den Tisch stützend, und blickte, während er auf das bestellte Beefsteak wartete, in einen französischen Roman, der auf seinem Teller lag. Er sah nur darum in das Buch, um nicht mit den beständig kommenden und gehenden Offizieren reden zu müssen; aber er überließ sich dabei seinen Gedanken.
Er dachte daran, daß Anna versprochen hatte, ihm heute nach dem Rennen ein Zusammensein zu gewähren. Aber da er sie seit drei Tagen nicht gesehen hatte und inzwischen ihr Mann aus dem Auslande zurückgekehrt war, so wußte er nicht, ob unter diesen Umständen das Zusammensein heute möglich sein werde oder nicht, und wußte auch nicht, wie er es in Erfahrung bringen sollte. Zum letzten Male hatte er sich mit ihr in dem Landhause seiner Cousine Betsy getroffen. Das von Karenins bewohnte Landhaus besuchte er möglichst selten. Jetzt jedoch wäre er gern dorthin gefahren und erwog die Frage, wie das unauffällig anzustellen sei.
›Selbstverständlich werde ich sagen, Betsy habe mich hingeschickt, um sich erkundigen zu lassen, ob sie zum Rennen kommen werde. Ich fahre bestimmt hin‹, war das Ergebnis seiner Überlegungen, und nun hob er den Kopf vom Buche in die Höhe. Indem er sich das Glück, sie wiederzusehen, lebhaft vorstellte, strahlte er über das ganze Gesicht.
»Schicke jemanden nach meiner Wohnung«, sagte er zu dem Diener, der ihm das Beefsteak auf einer heißen silbernen Platte brachte. »Ich ließe sagen, es solle so schnell wie möglich die Kutsche dreispännig angespannt werden.« Dann zog er die Platte zu sich heran und fing an zu essen.
Aus dem daneben befindlichen Billardzimmer hörte man das Anstoßen der Bälle, Sprechen und Lachen. Durch die Eingangstür des Speisesaales traten zwei Offiziere herein: der eine ein noch sehr junges Bürschchen mit schmalem, feinem Gesichte; er war erst kürzlich aus dem Pagenkorps in das Regiment eingetreten; der andere ein dicker, älterer Offizier mit einem Armband am Handgelenk und verquollenen, kleinen Augen.
Wronski warf einen Blick zu ihnen hin und machte ein verdrießliches Gesicht; er tat, als ob er sie gar nicht bemerke, und begann, indem er nach seinem Buche hinschielte, gleichzeitig zu essen und zu lesen.
»Nun, stärkst du dich für die Arbeit?« sagte der dicke Offizier und setzte sich neben ihn.
»Wie du siehst«, erwiderte Wronski stirnrunzelnd und wischte sich, ohne nach ihm hinzusehen, den Mund.
»Fürchtest du nicht, zu dick zu werden?« fuhr jener fort und drehte dabei einen Stuhl für den jungen Offizier zurecht.
»Wie?« fragte Wronski ärgerlich, verzog mit einer Gebärde des Widerwillens das Gesicht und zeigte seine kräftigen, lückenlosen Zähne.
»Ob du nicht fürchtest, zu dick zu werden?«
»Ordonnanz, Sherry!« rief Wronski, ohne ihm zu antworten, legte das Buch auf die andere Seite und las weiter.
Der dicke Offizier nahm die Weinkarte und wandte sich an den jüngeren Kameraden:
»Suche selbst aus, was wir trinken wollen«, sagte er, reichte ihm die Karte hin und sah ihn an.
»Vielleicht Rheinwein?« versetzte dieser. Er schielte schüchtern zu Wronski hin und bemühte sich, mit den